Rechtsextreme vor Gericht: Dummschwätzer oder Terroristen?

In Dresden hat der Freitaler Rechtsterrorprozess begonnen. Neonazi-Gewalt beschäftigt die Gerichte derzeit auch anderswo.

Polizisten, Besucher und Demonstranten vor einem gerichtsgebäude

Das Oberlandesgericht Dresden vor Prozessbeginn Foto: dpa

DRESDEN taz | Um zehn Uhr zehn hat Richter Thomas Fresemann den Prozess eröffnet: Vor dem Oberlandesgericht Dresden beginnt der Prozess zu einer Gewaltserie gegen Flüchtlinge und Linke im Sommer 2015 in Freital. Acht Angeklagte stehen vor Gericht, 19 bis 39 Jahre alt. Der Vorwurf: Rechtsterrorismus. Es wird einer der größten Prozesse, die das Land Sachsen je erlebt hat.

Schon um 7.30 Uhr warteten rund 30 Zuhörer vor dem Gericht, rund 20 Antifa-Anhänger versammelten sich zu einer Kundgebung. „Kritisch“ wolle man den Prozess begleiten, sagte ein Redner. „Wir befürchten, dass es keine lückenlose Aufklärung geben wird.“

Dann gab es Aufregung: Zwei Sprengstoffspürhunde schlugen in einer Toilette an. Eine halbe Stunde später gibt die Polizei Entwarnung – es war nur ein Gummipflegemittel. Die Verhandlung kann beginnen.

Der Vorwurf des Rechtsterrorismus beschäftigt die Justiz dezeit auch anderswo. Ende Januar rückte die Polizei auf Geheiß der Bundesanwaltschaft bei dem 66-jährigen Reichsbürger Burghard B. in Schwetzingen, Baden-Württemberg, an. Auch sechs andere Beschuldigte in fünf weiteren Bundesländern wurden durchsucht.

Der Vorwurf: Eine rechtsterroristische Vereinigung habe die Gruppe gebildet und bereits Pläne gefasst, Polizisten, Flüchtlinge und Juden anzugreifen. Nach taz-Informationen sieht die oberste Anklagebehörden Deutschlands die Vorwürfe inzwischen erhärtet. Sie bereitet derzeit eine Anklage wegen Rechtsterrorismus vor. Es wäre die nächste nach dem Fall Freital.

Prozess gegen die „Oldschool Society“

Auch hier wäre es ein Signal: Im Oktober 2016 hatte ein Reichsbürger in Bayern bei einem Polizeieinsatz einen Beamten erschossen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte darauf ein verschärftes Vorgehen gegen das Milieu an. Eine Terroranklage gegen die Gruppe von Burghard B., der im Internet offen mit Gewalt gedroht hatte, würde ein entsprechendes Zeichen setzen.

Die Bundesanwaltschaft plädierte auf Haftstrafen von viereinhalb bis sieben Jahren

Seit dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) 2011 gab es neben Freital bisher nur eine Anklage wegen Rechtsterrorismus: gegen die „Oldschool Society“. Seit April 2016 wird den drei Männern und einer Frau aus Sachsen, Bayern und NRW vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gemacht. Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte geplant zu haben – mit Brand- und Nagelbomben.

Inzwischen steht die Urteilsverkündung kurz bevor. Die Verteidiger forderten in ihren Plädoyers Freisprüche für die Angeklagten: Die Anschlagspläne seien nur Dummschwätzereien gewesen. Die Bundesanwaltschaft plädierte dagegen auf Haftstrafen von viereinhalb bis sieben Jahren.

Fast vier Jahr NSU-Prozess

In München wird seit fast vier Jahren der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte verhandelt. Zuletzt wurde eine wichtige Etappe genommen: Die Richter schlossen die Anhörung des Psychiaters Henning Saß ab, der Zschäpe in einem Gutachten volle Schuldfähigkeit attestierte.

Das Ende der Beweisaufnahme hängt jetzt im Wesentlichen an den Zschäpe-Verteidigern: Sie kündigten zuletzt an, dass sich die 41-Jährige eventuell noch von einem zweiten Psychiater begutachten lassen wolle. Das könnte dauern. Offiziell ist der Prozess noch bis Januar 2017 angesetzt. Das Gericht muss die Termine aber nicht ausschöpfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.