Rechtsextreme über den Fall Edathy: Das ideale Opfer
Regierungskrise im Fall Edathy – eigentlich ein Glücksfall für braune Verschwörungstheorien. Doch aus rechten Kreisen ist erstaunlich wenig zu hören.
BERLIN taz | Eigentlich sollten in der NPD-Zentrale gerade die Korken knallen: Sebastian Edathy, Sozialdemokrat mit indischem Vater, engagierter Kämpfer gegen rechts und zuletzt Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, steht im Verdacht, kinderpornografisches Material beschafft und konsumiert zu haben. Inzwischen haben sich Spitzenpolitiker aus Union und SPD in dem klebrigen Netz aus Gerüchten und Verdächtigungen verfangen, die erste Regierungskrise klopft an die GroKo-Tür. Doch bei den Rechten stecken die Korken in den Flaschen, nur vereinzelt werden sie geschüttelt.
Auf der Homepage der NPD ist über den Fall Edathy nichts zu lesen, kein Wort. Stattdessen verweisen die braunen Kameraden auf ihr Sprachrohr Deutsche Stimme. Dort tituliert Chef-Hetzer Lars Petersen Edathy als „klassischen Perspektivpolitiker“ mit „aufreizend aggressivem Auftrumpfen“. Man solle gut auf eigene Kinder aufpassen, denn das „Böse“ sei „politisch gut organisiert und beinahe unangreifbar“.
Diese Aufforderung ist perfide, jedoch vergleichsweise zurückhaltend. Schließlich hatte die rechtsradikale Partei immer wieder mit Forderungen nach Einführung der Todesstrafe für vermeintliche „Kinderschänder“ im braunen Sumpf gefischt.
Auch „Politically Incorrect“, einer der führenden rechtspopulistischen Blogs in Deutschland, reagiert bislang verhalten. Dort wirft ein Autor dem SPD-Politiker vor, er „belüge“ die Öffentlichkeit und habe bereits im November von Ermittlungen gegen ihn erfahren. Auch hier: erstaunliche Zurückhaltung.
Rechte Parolen
Aber warum eigentlich? Ist dieser Fall nicht ein gefundenes Fressen für rechte Parolen, Verunglimpfungen und Hasstiraden? Ist Edathy nicht ein ideales Opfer? Für Matthias Quent, Mitarbeiter am Kompetenzzentrum Rechtsextremismus der Universität Jena, erklärt die vergleichsweise verhaltenen Reaktionen so: „Die politisch organisierten Rechtsextremen in Form der NPD sind derzeit nicht interventionsfähig. Sie sind mit innerparteilichen Querelen und Wahlkämpfen beschäftigt.“ Die Partei könne nicht auf aktuelle politische Debatten reagieren. „Es gibt niemanden, der es macht“, sagt Quent. Außerdem habe man Angst, Edathy mit Staatsverschwörungstheorien zu entlasten, schließlich gehe man in diesen Kreisen davon aus, dass er als NSU-Ausschussvorsitzender politisch geschützt und gewarnt worden sei.
Radikalere Stimmen finden sich stattdessen in Kommentaren und sozialen Medien. Hier sprießen schwere Beleidigungen und Verschwörungstheorien: „Kann es sein, dass Edathy die ’Rechten‘ bekämpft hat, weil u. a. die NPD die Todesstrafe für Kinderschänder forderte?“, wird dort gemutmaßt.
Vielleicht ist eine deutlichere Positionierung in diesem Fall aber auch gar nicht nötig: Die Aufregung der „Mainstream-Medien“ sei groß, die rechte Szene zeige sich damit weitestgehend zufrieden, sagt Quent.
Und wenn Franz-Josef Wagner in der Bild-Zeitung von Edathy als Mann, „der krank ist“, schreibt und dies mit seiner politischen Tätigkeit in Verbindung bringt („44, schwul, Vater Inder, Mutter Hannoveranerin, Soziologie-Studium, Aufsteiger, NSU-Aufklärer, nachts aber ein anderer Mensch“), knallen in der NPD-Zentrale wahrscheinlich doch die Korken. Ganz leise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil