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Rechtsextreme Partei in neuer RegierungJetzt nicht auch noch Estland

Das Parlament bestätigt die fragwürdige Koalitionsbildung in Tallinn. Folgt noch ein EU-Staat, in dem demokratische Prinzipien ignoriert werden?

Schwarzhüte – nein danke! Demonstrant*innen protestieren vor dem estnischen Parlament Foto: reuters

Stockholm taz | In Estland ist ein schwarzer Herrenhut zu einem Streitobjekt auf politischen Demonstrationen geworden. In natura – oder durchgestrichen auf Plakaten. Manchmal auch mit Zündschnur versehen. Ähnlich wie ein bekannter deutscher Rechtsaußen nie ohne seine Dackelkrawatte auftritt, ist der Hut das besondere Kennzeichen von Mart Helme, dem Vorsitzenden von EKRE, der „Estnischen Konservativen Volkspartei“.

Dieser Hutträger will eine „Nullquote“ bei Flüchtlingen, er meint, man müsse Estland vor „islamischer Invasion“ und „Kriegszonen wie in Schweden, Deutschland und Frankreich“ schützen und äußerte im vergangenen Jahr: „Klopft man Negern an den Kopf, klingt es hohl.“ Der 69-Jährige wird jetzt Innenminister in Estlands neuer Regierung.

Die wurde am Mittwochabend mit einer Mehrheit von 55 der 101 Mandate vom Parlament bestätigt. Es ist eine Dreier-Koalition aus der links-liberalen Zentrumspartei, der konservativen Isaama und EKRE. Ministerpräsident ist der Zentrumsvorsitzende Jüri Ratas. Eine Regierungsbeteiligung der rechtsextremen EKRE, einer nationalistischen, rassistischen, homophoben und EU-skeptischen Partei, galt vor der Parlamentswahl vom 3. März als kaum vorstellbar. Keine der anderen Parlamentsparteien wollte mit ihr zusammenarbeiten.

Aber EKRE, vier Jahre zuvor kleinste Partei im Parlament, wurde mit 18 Prozent nun drittstärkste Kraft und rückte in eine Schlüsselrolle. Eine „große“ Koalition aus der siegreichen rechtsliberalen Reformpartei und dem zweitplazierten Zentrum hätte den Einfluss von EKRE im Parlament minimieren können. Aber diese mögliche Konstellation scheiterte schon in der Sondierungsphase. Beide Parteien schieben sich dafür gegenseitig die Schuld zu.

EKRE wird Estlands Haltung zur EU bestimmen

Und ausgerechnet Jüri Ratas, dessen Zentrumspartei als die am weitesten linksstehende im Parlament gilt, hatte daraufhin keine Bedenken, eine Regierung mit EKRE zu bilden. Ebenso wie Isamaa köderte er sie mit großzügiger Postenvergabe. Alle im Verhältnis zur EU wichtigen Schlüsselministerien darf EKRE verwalten.

Ihr Vorsitzender macht kein Hehl, wo er Estland in der Gemeinschaft positionieren will: „Wir wollen dem Kurs von Ungarn und Polen folgen.“ Mart Helmes Sohn Martin wird Finanzminister. Er sieht Estland von einem „Bevölkerungsaustausch“ bedroht und verspricht, das Land werde ein „weißes Land“ bleiben.

Die Ministerriege von EKRE ist durchweg männlich. Im 15-köpfigen neuen Kabinett sind überhaupt nur zwei Posten – Erziehungs- und Bevölkerungsministerium – mit Frauen besetzt. In der bisherigen Regierung gab es immerhin ein Drittel Frauen. Estland sei auf dem Weg in die Vergangenheit, kommentiert Jevgeni Ossinovski, Vorsitzender der Sozialdemokraten.

Die neue Regierung spaltet die Nation. „Meint ihr das im Ernst?“, stand auf einem der Plakate, die Anfang April auf einer Anti-EKRE-Demonstration in Tallinn zu sehen war, „Estland darf nicht Ungarn werden!“ auf einem anderen. Und TeilnehmerInnen skandierten „Keine Braunhemden“. Estlands jüdische Gemeinde warnte vor einer Regierung, die nationale Minderheiten ausgrenzen wolle und die Gesellschaft in „solche, die dazugehören und solche, die nicht dazugehören“ aufteile.

Ex-Präsident Ilves warnt vor Intoleranz und Hass

Er habe in verschiedenen Ämtern dafür gekämpft, dass Estland als „würdiges Mitglied in der Familie der zivilisierten Nationen“ betrachtet werde, schrieb Toomas Hendrik Ilves, der von 2006 bis 2016 Estlands Staatspräsident war, in der vergangenen Woche auf Facebook. Nun habe er die Sorge, dass das Land ein weiterer osteuropäischer „failed State“ werden könne, in dem die Prinzipien der liberalen Demokratie ignoriert würden.

EKRE verbreite „Intoleranz, Hass, Spott und Drohungen“ klagt Ilves. Menschen mit anderer als heterosexueller Orientierung würden als „Perverse“ und „Behinderte“ beschimpft, denen man das Wahlrecht entziehen sollte.

Man drohe Richtern an, dass ihre „Köpfe rollen“ würden, fordere vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, EKRE-kritische Journalisten „aus dem Verkehr zu ziehen“ und habe für den Fall, dass EKRE nicht in die Regierung aufgenommen werde, gedroht, es würden „Aufstände organisiert“ werden, im Vergleich zu denen frühere Proteste Sonntagsspaziergänge gewesen seien. Ilves: „Ich kann nicht glauben, dass dies Estland ist.“

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13 Kommentare

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  • "Beide Parteien schieben sich dafür gegenseitig die Schuld zu."

    Ganz stimmt das nicht. Reformierakond hat bis zum Schluss eine Koalition mit Keskerakond vorschlagen wollen. Kaja Kallas war am Ende sogar bereit, auf den Premierministerposten zu verzichten, der ihr in einer solchen Koalition eigentlich zugestanden hätte.

    Das Problem lag alleine bei Jüri Ratas, der nicht auf Macht und Geld verzichten will und es sogar in Kauf nimmt, einen Großteil seiner Wählerschaft zu verlieren, um Premierminister zu bleiben. Seine Partei ist nämlich bei Russland-Esten sehr beliebt - diese widerum sind keine Freunde von EKRE.

  • Oha, noch jemand, der sich mit estnischer Politik auskennt. Ihnen ist klar, dass Reformierakond, die in der Opposition landen, die meisten Stimmen bekommen haben?

  • Es wird mir immer ein Rätsel sein und auch bleiben, dass es ausgerechnet deutsche gibt, die Rechtsextremismus wählen und hofieren, wie es hier wieder einige Kommentatoren aufzeigen!

    Was dort in Estland vor sich geht, kann auch hier in Deutschland recht schnell passieren, da einige aus der CDU im Osten tatsächlich mit dem Gedanken spielen, mit der absolut rechtsextremen Ost AFD zu koalieren!



    Sollte es dazu kommen, wird es weder auf Dauer ein demokratisches Deutschland, noch eine funktionierende EU geben!

    Die EU hat zwar auch jetzt schon ihre Legitimität fast völlig in den Bevölkerungen verspielt, da auch dort weiterhin die machtpolitischen Spielchen der einzelnen Parteien Vorrang vor dem Notwendigen haben, wie man bei dem Umgang mit Orban und seiner Partei sehen kann, anstatt sie auszuschließen, wird sie nur suspendiert, damit Weber seine Stimmen bekommen kann, um den Posten von Juncker zu erben!

    Wenn die EU nicht beginnt, harte Konsequenzen gegen die Polen, die Ungarn und die anderen Staaten, einzuleiten, bis hin zum Rauswurf aus der Gemeinschaft, werden diese Länder für den Untergang der EU sorgen, allein wegen der Untätigkeit der EU Politiker, denen der Erhalt ihrer Posten wichtiger ist, als der effiziente Fortbestand der Union an sich!

    Durch die Untätigkeit und die Unentschlossenheit der EU gegen diese Marodeure vorzugehen, kommen immer mehr Staaten dazu, in denen die Populisten Stimmengewinne verzeichnen können, weil sie es schaffen den Menschen Weiß zu machen, dass die EU durch ihre Untätigkeit in allen wichtigen Bereichen der Politik, die den Bürger betreffen, hoffnungslos versagt!

    Begonnen mit der Migration und dem Versagen der Außengrenzsicherung, bis hinzu der Verschleppung des Brexit, wird dem EU Bürger ständig aufgezeigt, dass die EU zu einem absolut zahnlosen Tiger verkommen ist!

    Speziell auch für die Ost Mitglieder, stellt sich die Ohnmacht der EU gegenüber der Verteidigung gegen Russland sehr ernsthaft dar, denn sie haben direkte Grenzen zu Putin

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Eine ungarische Journalistin sagte einmal in einem Interview der ÖRe zum Rechtstrend der neuen östlichen bzw. Ex-Warschauer Pakt Staaten in der EU: „Der Demokratielack ist nur dünn aufgetragen und schabt sich bei Belastung recht schnell wieder ab.“ Besser kann man/frau es nicht ausdrücken. Was mir aufstößt ist, europäisch abkassieren - gerne nehme ich Eure Subventionen - und dann national agieren - bleibt mir mit Flüchtlingen vom Hals.

  • “Eine Regierungsbeteiligung der rechtsextremen EKRE, einer nationalistischen, rassistischen, homophoben und EU-skeptischen Partei,...“ kleiner haben wir es heutzutage ja gar nicht mehr. Wer nicht die SPD/Grünen/Linken ist, auf den müssen ja logischer alle o.g. Attribute zutreffen.

  • Kurzum: Die Linken sind in der Opposition, nicht in der Regierung. Und das ist natürlich "das Ende der Demokratie"!

    • @Rainer Möller:

      Sie scheinen sich ja mit der estnischen Politik auszukennen. Erzählen Sie mir doch bitte mehr davon! Vor allem würde mich interessieren, seit wann Reformierakond links ist. :)

    • @Rainer Möller:

      Sie meinen, die hier vorgestellten rassistischen und homofeindlichen Äußerungen dürfen in einer Demokratie möglich sein?

  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    Besser wird's nicht.



    Da kann noch so viel über "Exfunction Rebellion, Friday for future" als erneuernde Bewegungen geschrieben werden...



    Das- ist die Realität von der man ausgehen muss.



    Wie ich immer sage. Die Massenmenschenautomaten sind mit Lob, Geld Drohungen,Angstmacherei leicht zu regieren .



    Leider lässt "Gott regnen über Gerechte wie Ungerechte " gleichermaßen

  • Die Esten haben tatsächlich ihre demokratische Wahlentscheidung getroffen ohne vorher einen taz-Journalisten um Erlaubnis zu fragen.



    Aber vielleicht haben sie in der Vergangenheit einfach schlechte Erfahrungen gemacht mit deutscher und sowjetischer "Betreuung".

    • 9G
      94797 (Profil gelöscht)
      @Poseidon:

      Genau. Und dann wählt man rechts . Tolle Sache das. Da ändert dann doch endlich mal was. Ööööhm..... Die haben tatsächlich nix gelernt aus deutscher und sowjetischer "Betreuung", wie Sie das richtigerweise sagen.

    • @Poseidon:

      Welcher Teil im Artikel verleitet Sie dazu anzunehmen, dass der Autor gerne gefragt worden wäre?

      Von 17,8% für EKRE auf "die Esten" zu schließen ist wohl nur ein weiterer Hinweis auf Ihre seltsame Wahrnehmung.

      • 9G
        94797 (Profil gelöscht)
        @bohem:

        Die 17% sind die, die so " mutig" waren, diese Partei zu wählen.



        Latent sind es hier ,wie da , wie dort bedeutend mehr mit faschistoiden Ansichten.



        Das ist leider nun mal so und " ich begehre, nicht schuld daran zu sein (Matthias Claudius)