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Rechtsextreme DrohmailseriePolizeichef ist Job los

Auch die Kabarettistin İdil Baydar wurde von hessischen Polizeicomputern ausgespäht. Nun tritt der Landespolizeipräsident zurück.

Geht in Rente, ein bisschen plötzlich: Landespolizeipräsident Udo Münch Foto: Arne Dedert/dpa

Berlin taz | Die rechtsextreme Drohmailserie gegen Politikerinnen und Prominente, mit Schwerpunkt in Hessen, hat nun auch personelle Konsequenzen. Am Dienstagnachmittag verkündete Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) den Rücktritt von Landespolizeipräsident Udo Münch. Dieser habe eingeräumt, ihn nicht rechtzeitig über Datenabfragen zu später Bedrohten auf Polizeicomputern informiert zu haben, sagt Beuth. Man sei sich einig, „dass eine derart herausragende Information, sowohl für die Ermittlungen als auch für die politische Bewertung dieser Drohungen, unmittelbar hätte erfolgen müssen“.

Zuletzt war bekannt geworden, dass es auch zu der Kabarettistin İdil Baydar eine Datenabfrage auf einem hessischen Polizeicomputer gegeben hatte. Baydar erhält seit vielen Monaten rechtsextreme Drohschreiben, nach eigenen Angaben zuletzt auch von einem Absender namens „SS Obersturmbannführer“. Unter dem gleichen Alias wurden zuletzt die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Berliner Linken-Fraktionschefin Anne Helm bedroht – hier zusätzlich mit dem Kürzel „NSU 2.0“ und unter Angabe persönlicher Adressdaten.

Beuth bestätigte, dass es zu Baydar eine Datenabfrage auf einem Wiesbadener Polizeirevier gab. Dies und einen möglichen Zusammenhang zu der Bedrohungsserie nannte er „ungeheuerlich“. Die Abfrage soll im März 2019 erfolgt sein. Wer dafür verantwortlich war, sei noch nicht geklärt. Ein identifizierter Beamter bestreitet offenbar die Abfrage – er wird in den Ermittlungen nur als Zeuge geführt.

Auch im Fall Wissler erfolgte die Abfrage in Wiesbaden, und auch hier bestreitet der Beamte, unter dessen Login dies erfolgte, diese Abfrage. Demnach nutzten womöglich andere Polizisten seinen Account. Schon im August 2018 war es zudem zu „NSU 2.0“-Drohschreiben gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız gekommen, auch hier mit Nennung persönlicher Daten und ebenfalls zuvor abgerufener Polizeidaten, damals in einem Frankfurter Revier.

Ermittlungen mit „höchster Priorität“

Der Verdacht, dass es einen Zusammenhang zwischen all diesen Drohungen und eine Polizeibeteiligung geben könnte, „lastet schwer“, sagte Beuth. Noch aber sei ein kausaler Zusammenhang nicht nachgewiesen. Die Ermittlungen dazu liefen mit „höchster Priorität“. Beuth bekräftigte, dass er erst am vergangenen Mittwoch von den Datenabfragen gegen Wissler und Baydar von Landespolizeipräsident Münch informiert wurde.

Als ungeheuerlich bezeichnet der hessische Innenminister die Bedrohungsserie

Diese späte Mitteilung sei „nicht akzeptabel“. Beuth hatte zunächst das LKA Hessen dafür verantwortlich gemacht und einen Sonderermittler für die Behörde ernannt. Mehrere Medien berichteten dann aber über interne Vermerke, nach denen das LKA das Polizeipräsidium bereits im März über die Datenabfrage zu Wissler informierte.

Dies räumte Münch, der die hessische Polizei seit zehn Jahren anführte, nun ein. Er habe in einer Videokonferenz von der Datenabfrage erfahren, diesen Sachverhalt aber nicht bewusst wahrgenommen und deshalb auch Beuth nicht informiert. Münch selbst habe um seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand gebeten, so Beuth. Dem sei er nachgekommen. Der Minister lobte Münch als „redlichen und verbindlichen Mann“. „Er übernimmt als oberster Polizist Verantwortung für Versäumnisse, die er nicht allein zu vertreten hat.“

İdil Baydar machte der Polizei dagegen schwere Vorwürfe. „Was ich wirklich seltsam finde, ist, dass sich kein einziger Polizist bei mir meldet“, sagte sie der taz. „Meine Bedrohungslage scheint der Polizei egal zu sein.“ Auch Martina Renner und Anne Helm hatten das LKA scharf kritisiert. Seda Başay-Yıldız sagte dagegen, das LKA sei die einzige Institution, die sie schütze.

Opfert sich der Präsident?

Beuth kündigte nochmals Reformen bei der hessischen Polizei an. Alle Strukturen würden nun „gründlich geprüft“, um Missstände abzustellen. Auch sollen alle Polizisten neue Log-in-Daten für die Datensysteme erhalten und eine Weitergabe bestraft werden. Man drücke den „Reset-Knopf“.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen zu den Drohmails führt, erklärte, dass sie in dem Komplex seit August 2018 „unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden und kriminalistisch sinnvollen Ermittlungsmöglichkeiten ohne Unterlass“ ermittele. Neben den Beschuldigten seien mehr als 30 Zeugen befragt und eine Vielzahl an Kommunikationsüberwachungen veranlasst worden. Dass die Bedrohungen aber „aus der Anonymität des Internets“ kämen, schaffe Herausforderungen.

Die hessische SPD nannte den Münch-Rücktritt einen „Akt der politischen Verzweiflung“. Dessen Loyalität zu Beuth sei legendär. Dass er den Minister nicht informierte, sei „schlicht nicht glaubhaft“. Der Polizeipräsident opfere sich, um Beuth zu schützen. Auch die Linke forderte, dass sich Beuth „nicht länger weg­ducke“ und für Fehler geradestehe.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Stimme Dir 100% zu. Der Fisch fängt bekanntlich vom Kopf her an zu stinken: Die hessische Bouffier-Regierung ist laut Opposition für die Behinderung des hessischen parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschuss (PUA) verantwortlich. Ministerpräsident Bouffier verweigerte den nordhessischen V-Leuten im NSU-PUA die Aussagegenehmigung. Linken-Politiker Hermann Schaus regt sich -zurecht - heute noch über die zahlreichen geschwärzten geschwärzten und gänzlich verweigerten VS-Akten im 1. hessischen NSU-PUA auf: "(...) Ich habe wenig Erwartungen in diesen Innenminister, der zudem bisher immer sämtliche kritische Nachfragen kleingeredet hat! Die Erfahrung aus dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss zeigt, dass insbesondere seitens der CDU bzw. des CDU-geführten Innenministeriums gemauert und Akten in einem Umfang geschwärzt oder gar nicht freigegeben wurden, dass man nur den Kopf schütteln kann. (...)"



    www.jungewelt.de/a...r=hermann%7Cschaus

  • Wer ermittelt da eigentlich? Die Staatsanwaltschaft? Ganz schlecht, da erfahrungsgemäß die Judikative und die Executive normalerweise sehr eng zusammenarbeiten und schon so was wie ein familiär freundschaftliches Miteinander pflegen.



    Es erinnert an die Untersuchungen gegen prügelnde Polizisten bei Demos wo am Ende dann der Verprügelte der es gewagt hat Anzeige zu erstatten verknackt wird weil er,



    a) keine Lobby hat



    b) es gewagt hat Polizisten anzuzeigen,



    c) zufällig vor Ort war.



    d) wahrscheinlich eh links, gruen, Teesocke, schwul*innen ist oder irgend eine nicht-germanische Weltanschauung pflegt.



    Es ist so ähnlich, wie wenn ich in einem Geschäft eine leckere Tafel Schokolade klaue und nach dem erwischt werden fordert mich der Filialleiter auf doch bitte alle Beweise dieser schändlichen Tat zu sammeln, zu katalogisieren und zur Beweisführung vorzulegen. Er sei so lange beim Mittagessen.



    Und nun zu einem anderen Punkt. Was sind das eigentlich für Pappnasen die für die Auswahl vom Polizeinachwuchs zuständig sind? Vermutlich auch so eher rechts gelegene Zeitgenossen die Gewaltphantasien richtig geil finden. Sorry, aber ein richtig guter Personalchef würde schon beim Vorstellungsgespräch so braun gefärbte Typen identifizieren und aussortieren. Wieso geht es bei der Polizei nicht?

  • Person weg, Problem bleibt.



    Münch ist nicht zufällig bei der nationalen Wendt-Truppe DPolG Mitglied??

  • 0G
    00842 (Profil gelöscht)

    Er sei "überzeugt davon, dass es keine rechten Netzwerke in der hessischen Polizei gibt", sagt Polizeigewerkschafter Rainer Wendt (DPolG). Dann muss es ja stimmen, schließlich ist Wendt für seine Ehrlichkeit bekannt. (Achtung: Ironie!) Auch er gehört zu denen, die verdrängen, vertuschen und als Ablenkung "Generalverdacht" rufen. Woher er seine Weisheit hat, ist schleierhaft. Müssen erst wieder Menschen sterben, wenn Morddrohungen umgesetzt werden? Keine Sorge, Rainer Wendt wird eine neue, passende Ausrede finden. Hauptsache, die Polizei bleibt frei von jeglichem Makel.

  • Die illustre Runde der Spitzen hessischer Sicherheitsorgane konnte es bereits vor der Wissler-Drohbrief-Affäre nicht gut miteinander, wie hessenschau.de berichtet.



    “(…) Am Wochenende zuvor hatte jemand an die FAZ und die Frankfurter Rundschau durchgestochen: Wenn Beuth über die Wissler-Abfrage im Wiesbadener Polizeirevier so lange nichts wusste, dann sei er selbst dafür verantwortlich. (...)“



    Mit Sicherheit keine Freunde



    Heikler wird der Streit im Sicherheitsapparat noch durch lang gepflegte institutionelle Eifersüchteleien und persönliche Animositäten. Die Spitzen von Ministerium und Landespolizeipräsidium einerseits sowie LKA andererseits waren sich schon vor der Drohmail-Affäre nicht grün. (...)“ (hessenschau.de, 14.07.20)



    www.hessenschau.de...ausschuss-100.html

    • @Thomas Brunst:

      Mag sein, aber offenbar ist das nur ein Teil der Misere. Innherhalb der hessischen Behörden scheint es einige rechte U-Boote zu geben und wenig Neigung, die hochgehen zu lassen. Da bekommen bekannte Neonazis Waffenscheine, verschwinden plötzlich wegen einer neuen Gefahrenabschätzung vom Bildschirm des Verfassungsschutzes, da kommen Ermittlungen nicht voran ... Da ist was faul im Staate Dänemark.

  • "Man drücke den 'Reset-Knopf'."

    Wow-wow-wow! Das klingt ja hochtechnisch und geheimnisvoll!

    Die älteren unter uns mögen sich daran erinnern, dass ältere Computer, insbesondere wenn von einem Betriebssystem schlechterer Qualität befallen, so ein Knöpfchen für alle Fälle hatten...

    Ich verstehe ja auch nicht, warum Herr Münch gehen muss. Die müssen halt ihren Saftladen in Ordnung bringen, das ist alles.