Rechter Mordanschlag in Saarlouis 1991: Festnahme nach 11.583 Tagen
Ein zweiter Beschuldigter ist wegen des Brandanschlags festgenommen worden, 32 Jahre nach der Tat. Er gilt als Anführer der damaligen Neonazi-Szene.
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Der von nationalsozialistischen und rassistischen Überzeugungen geprägte Tatverdächtige St. habe damals eine hohe Stellung in der regionalen Skinhead-Szene eingenommen und habe mutmaßlich auf den bereits angeklagten Hauptbeschuldigten eingewirkt und ihn in seinem Tatentschluss bekräftigt. Wegen des offenbar rassistisch motivierten Brandanschlags steht in Koblenz bereits der 51-jährige Peter Werner S. vor dem Oberlandesgericht, er ist angeklagt wegen Mordes und 20-fachen versuchten Mordes.
Bei dem Attentat in der Nacht zum 19. September 1991 starb Samuel Yeboah an seinen schweren Verbrennungen. Der Asylbewerber aus Ghana wurde 27 Jahre alt. Zwei weitere Opfer brachen sich Knochen beim Sprung aus Fenstern, 18 weitere Bewohner*innen konnten physisch unverletzt fliehen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte damals trotz einer bundesweiten Welle rechter Gewalt in alle Richtungen und stellte das Verfahren nach elf Monaten ein – obwohl es allein in den Jahren 1991 und 1992 mehr als zwanzig Anschläge auf Flüchlingsunterkünfte in den Landkreisen Saarlouis und Saarbrücken gab und Hinweise auf Tatverdächtige aus der rechten Szene, auf die antifaschistische Initiativen seit Jahrzehnten immer wieder hinwiesen.
Mutmaßlicher Täter prahlte auf einer Grillparty
Seit dem Sommer 2020 ermittelte die Polizei in Saarland nach einer verspäteten Anzeige durch eine Zeugin erneut – der Angeklagte hatte mit der Tat bei einer Grillparty geprahlt. Das Verfahren landete bei der Generalbundesanwaltschaft. Im Januar 2021 gab es erste Durchsuchungen, im April 2022 wurde Peter Werner S. wegen dringenden Tatverdachts festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem am Dienstag festgenommenen Peter St. vor, dass dieser in der Tatnacht mit dem Hauptverdächtigen und weiteren rechten Skinheads in einer Kneipe gesessen habe. Dabei habe St. habe mit Blick auf rechte Gewalt in Ostdeutschland zum hierarchisch unterstellten S. gesagt: „Hier müsste auch mal so was brennen oder passieren.“ S. schritt offenbar noch in der selben Nacht zur Tat, als er kurz darauf in den frühen Morgenstunden das Asylbewerberheim in der Saarlouiser Straße anzündete. Er habe das Gebäude betreten, im Treppenhaus des Erdgeschosses Benzin ausgegossen und es in Brand gesteckt.
Martina Renner, Rechtsextremismus-Expertin von der Linken, fragte: „Was mag es für die Betroffenen rechter Gewalt bedeuten, dass mehr als 30 Jahre vergehen, bis es ernsthafte Anstrengungen gibt, den Mord an Samuel Yeboah aufzuklären?“ Es brauche umfassende Ermittlungen zu allen ungeklärten Anschlägen in den Neunzigern, forderte Renner. Die Antifa Saar fordert im Zusammenhang mit der Anschlagsserie einen Untersuchungsausschuss und Entschädigungen für die Opfer.
Mittlerweile haben Sicherheitsbehörden Fehler eingestanden, der Landespolizeipräsident hat sich entschuldigt. Einige der überlebenden Opfer des Attentats mussten später noch einen weiteren versuchten Brandanschlag auf eine andere Unterkunft erleiden. Die mittlerweile Festgenommenen tauchten später auf Fotos auf, die sie bei einer Nazi-Demo zusammen mit den NSU-Terroristen Zschäpe, Mundlos und Wohlleben zeigten.
Hinweise zurückgewiesen
Das Antifa-Magazin „Der Rechte Rand“ beschrieb die jahrzehntelange mangelnde Aufklärung mit Blick auf die damaligen Verhältnisse im Saarland so: Gegen antifaschistische Initiativen gab es Repression, für die Rechten „akzeptierende Sozialarbeit“. Im Fall Saarlouis hätten Antifa-Strukturen im Zusammenhang mit dem tödlichen Brandanschlag schon seit den Neunzigern auf S. hingewiesen. Politiker wie Sicherheitsbehörden hätten die Hinweise zurückgewiesen.
Kritik gibt es auch an der Kreisstadt und ihrem Umgang mit dem mörderischen Brandanschlag. Erst vor zwei Jahren wurde am Jahrestag eine Hinweistafel aufgestellt. Die Stadt habe 30 Jahre lang vertuscht und verharmlost, es handele sich dabei um ein „Erinnern ohne Vergangenheit“. Einen bereits 2001 von Antifaschist*innen am Rathaus befestigten Gedenkstein hatte die Stadt wieder entfernen lassen – für einen der mutmaßlichen Verantwortlichen gab es ein Strafverfahren.
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