Rechte von Sexarbeiterinnen: Versicherte Arbeit – wie jede andere
Haben SexarbeiterInnen die gleichen Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen? Darüber entscheidet jetzt das Hamburger Sozialgericht.
2012 war Natalja Dineva (Name aus Personenschutzgründen geändert) aus Osteuropa nach Deutschland gekommen, gelockt von der Anzeige eines Escortservices. Es ging um Sexarbeit, darauf hatte sie sich eingelassen. Unterkunft und Kleidung wurden gestellt, der Arbeitgeber kümmerte sich um Werbung und Fahrt in Clubs zu potenziellen Kunden. Nach ein paar Tagen sagte der Mann, er müsse sich um ihre Papiere kümmern. Von Einsperren sagte er nichts.
Noch blieb die Frau ruhig, in dem kleinen Appartement in Hamburg, in dem sie auch Kunden empfing. Am Telefon verschob sie Termine mit Freiern. Dann las sie im Internet von einer Frau, die vor dem Typen warnte. Da wollte Dineva nur noch weg und sprang aus dem Fenster, zweiter Stock. Mit gebrochenem Rücken und kaputten Beinen kam sie ins Krankenhaus. Inzwischen lebt sie wieder in ihrem Heimatland, noch immer berufsunfähig, weitere Behandlungen sind nötig.
Die Hamburger Beratungsstelle Koofra und Katrin Kirstein, Dinevas Anwältin, erzählen die Geschichte der Prostituierten. Vorsichtig, nicht zu viele Details. Dineva selbst hat Angst, ihr Arbeitgeber hat ihr gedroht, er wisse, wo ihre Familie wohnt. Weil sie nicht direkt gegen ihn aussagen will, wurde das Strafverfahren eingestellt.
„So passiert das häufig“, erzählt Katharina Meiser von Koofra. Bis zu 60 Frauen melden sich jährlich bei der Hamburger Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel. Die meisten kommen aus Rumänien, Bulgarien, Deutschland. Manche unter Zwang, viele freiwillig, so wie Dineva. Erst nach und nach werde häufig klar, dass die Arbeitsverhältnisse ausbeuterisch sind.
Zugang zu grundlegenden Arbeitnehmerrechten
Wollen die Opfer Entschädigung, blieben in der Vergangenheit nur zwei wenig aussichtsreiche Wege. Selbst wenn der Täter im Strafverfahren zu Schmerzensgeld verurteilt wurde, sei regelmäßig nichts zu holen, so Anwältin Kirstein, die seit Jahren Opfer von sexueller Ausbeutung vertritt. Bleibt noch das Opferentschädigungsgesetz, bei dem der Staat einspringt. Doch das greift bislang nur, wenn ein tätlicher Angriff zur Verletzung führte. Und auch dann erst nach Jahren, nach Ablehnungen, Widersprüchen und Prozessen.
Im Fall von Natalja Dineva hatten Anwältin und Beratungsstelle 2012 Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt. Alle in Deutschland Beschäftigten sind automatisch versichert. Bei einem Unfall, der im Zusammenhang mit der Arbeit steht, zahlt die Unfallversicherung. Und zwar unter anderem Behandlung, Arbeitsausfall und, bei Arbeitsunfähigkeit, eine Rente.
Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte ab. Es sei zwar ein Unfall, aber die Frau nicht abhängig beschäftigt. „Das ist ein weit verbreitetes Klischee über die Prostitution, in der angeblich alle selbstständig arbeiten“, so Kirstein. Den Prozess finanzierte ein eigens für solche Fälle eingerichteter Rechtshilfefond des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Nun verkündet das Hamburger Sozialgericht das Urteil. Dass es in erster Instanz zugunsten von Dineva ausfällt, hatte der Richter schon signalisiert. „Ein guter Beginn“, sagt Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Damit würde anerkannt, dass es abhängig Beschäftigte in der Sexbranche gibt, und Klarheit geschaffen für jene, die sich im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung verletzen oder erkranken. „SexarbeiterInnen haben damit Zugang zu grundlegenden ArbeitnehmerInnenrechten“, hofft auch Anwältin Kirstein. Und für ihre Mandantin nach vier Jahren auf die ersehnte Entschädigung.
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