Rechte Videospielkultur: Von „Fortnite“ zu Alt-Right?
Computerspiele gelten nicht mehr als Gewaltanleitung. Doch Kritiker wenden ein, dass sie ein Sammelbecken für Nationalisten seien. Was ist dran?
Weltweit zählt das Battle-Royal-Spiel „Fortnite“ mittlerweile 250 Millionen Spieler. Und es werden täglich mehr. Das Prinzip ist simpel: 100 Spieler werden mit einem Fallschirm über einer Insel abgeworfen, wo sie um Waffen und andere Ressourcen konkurrieren. Wer als Letzter übrig bleibt, hat gewonnen.
Wo die „Fortnite“-Gamer um eine goldene Krone kämpfen, kämpfen Eltern gegen die vermutete Sucht ihrer Kinder. In den USA und anderen Ländern werden Kids dafür in Entzugskliniken geschickt. An den Schulen häufen sich die Klagen der Lehrer – die Schüler seien übermüdet und kaum aufnahmefähig. In Großbritannien haben Schulen Briefe an Eltern verschickt, in denen vor den Gefahren des Battle-Royal-Spiels gewarnt wird. Das Spiel mache Jugendliche aggressiv und gewalttätig. Die britische Verhaltensforscherin Lorrine Marer sagt, „Fortnite“ wirke wie Heroin.
Das Computerspiel war vor einigen Wochen noch einmal verschärft ins Gerede gekommen, weil der Attentäter im neuseeländischen Christchurch in seinem mörderischen Manifest explizit auf das Spiel Bezug nahm. Bei dem Anschlag auf zwei Moscheen wurden im März 50 Menschen ermordet und mehrere Dutzend verletzt. „Fortnite“, heißt es im Manifest, „trainierte mich, ein Killer zu sein und auf den Leichen meiner Feinde ‚the Floss‘ zu tanzen. Nein.“ Man weiß nicht, ob die Aussage ernst gemeint war, weil ihr ein „Nein“ nachgeschoben ist.
„Fortnite“ steht seitdem jedenfalls im Zusammenhang mit einem rechtsterroristischen Anschlag. Der Attentäter hatte seine Tat aus einer Ego-Shooter-Perspektive auf Facebook live gestreamt, die GoPro-Kamera verlieh dem Stream eine gewisse Videospiel-Ästhetik. Die Tat kündigte der Attentäter im Onlineforum 8chan an, einem der Hauptagitationsplätze der Gamergate-Szene.
Es gab in Deutschland schon einmal eine Diskussion über Ego-Shooter-Spiele – nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002. Ein 19-Jähriger tötete damals an einer Schule 16 Menschen und sich selbst. Im Zentrum der Kritik stand damals „Counterstrike“, das der Täter selbst spielte. „Software fürs Massaker“, titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung – das Spiel habe den „Handlungscode für den Amoklauf“ geliefert.
Mittlerweile ist die Rezeption von Computerspielen etwas differenzierter. Games gelten nicht mehr als Gewaltanleitung, sondern als eigene Erzählform. Das Literaturarchiv Marbach will unter seiner neuen Direktorin, der Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter, künftig auch Computerspiele sammeln. Unter dem erweiterten Literaturbegriff ließe sich gewiss auch „Fortnite“ subsumieren. Das Game erzählt eine Abenteuergeschichte, und es trägt mit Tänzen zur Kulturproduktion bei. Weil ein Terrorist sich auf ein Spiel beruft, ist es noch nicht moralisch diskreditiert.
Gleichwohl ist die Gamer-Community ein spezielles Milieu im Netz: Fast drei Viertel der „Fortnite“-Spieler sind männlich. Dass in diesem Biotop sexistische Vorurteile und Stereotype gedeihen, ist nicht verwunderlich. In der sechsten Saison des Erfolgsspiels wurden der weiblichen Figur „Calamity“ wippende Brüste einprogrammiert, was dem Entwickler den Vorwurf des Sexismus eintrug.
Daraufhin korrigierte Epic Games die Animation. In Online-Foren wurde das neue „Feature“ aber durchaus goutiert: „Die beste Physik, die das Game je hatte. So authentisch“, kommentierte ein Reddit-User. Gerade der spielerische Kontext erlaubt es, die Spielregeln des politischen Diskurses der Lächerlichkeit preiszugeben.
Der Computerspielforscher Megan Condis schrieb jüngst in einem Gastbeitrag für die New York Times, dass Videospiele einen Nährboden für weiße Nationalisten bildeten. Diese Spiele, so seine These, seien ein „idealer Rekrutierungsort“, weil sie mit einem leicht verständlichen „Narrativ der unwillkommenen ‚Invasion‘ ‚unserer Räume‘“ daherkämen. Über Memes würde die Ideologie der White Supremacists verbreitet und salonfähig gemacht. Der Weg von „Fortnite“ zu Alt-Right sei da nicht mehr weit.
Im Guardian stellte der Literaturwissenschaftler Alfie Bown die These auf, dass waffenstarrende Videospiele den Aufstieg der neurechten Bewegung angeheizt hätten. Spiele seien „ideologische Konstruktionen“, die vom zeitgeschichtlichen Kontext geprägt sind. Wo unter der Bush-Administration Computerspiele wie „Battlefield“ eine „aggressive Außenpolitik“ promoteten, lägen nach dem Brexit Spiele mit Hang zu Isolationismus oder Empire-Denken im Trend. Trumps Diskurs über eine Mauer zu Mexiko würde letztlich auch die Spiele-Logik bedienen.
Drohungen und Gewaltaufrufe
Dass es tatsächlich eine direkte Verbindungslinie von der Gaming-Kultur zur neurechten Bewegung gibt, zeigt die Vita von Steve Bannon. Der einstige Chefstratege von US-Präsident Donald Trump heuerte 2005 als Finanzberater bei dem Start-up Internet Gaming Entertainment (IGE) in Hongkong an, das sein Geld mit dem Verkauf virtueller Güter verdiente.
Die Firma beschäftigte chinesische Clickworker, die für 25 Cent die Stunde Credits anhäuften, die dann an Spieler in Europa und den USA verkauft wurden, damit diese Level überspringen oder neue Spielewelten freischalten konnten. Zu den „Hauptkunden“ gehörten World-of-Warcraft-Spieler. Sogenannte „Goldfarmen“ schossen damals in China wie Pilze aus dem Boden.
Bannon ließ seine Kontakte an der Wall Street spielen und überzeugte Goldman Sachs, 60 Millionen Dollar in das Start-up zu investieren. Schon damals hatte sich Bannon auf Cheats – Schummelcodes, die das Spiel erleichtern – verlegt, eine Technik, die ihm bei seinen späteren Wahlkämpfen nützlich sein sollte. Nachdem jedoch der amerikanische Spielentwickler Blizzard Entertainment, der unter anderem „World of Warcraft“ herausgibt, schärfer gegen den Online-Betrug vorging und 30.000 Konten sperrte, wurde IGE der Geldhahn zugedreht – die Einnahmen brachen ein.
Als Bannon 2012 beim Online-Medium Breitbart einstieg, rekrutierte er den Journalisten Milo Yiannopoulos, der zur Ikone der Gamergate-Bewegung avancierte, welche die feministische Kritik an der Sexualisierung und Misogynie in Videospielen mit Drohungen und Gewaltaufrufen beantwortete. „Ich stellte fest, dass sich Milo sofort mit diesen Kids vernetzen kann“, sagte Bannon über seinen Schützling.
Keine Kausalkette
„Du kannst diese Armee aktivieren. Sie kommen durch Gamergate oder was auch immer herein und wenden sich dann der Politik und Trump zu.“ Nicht wenige von Trumps Trollen kamen aus der Welt der Online-Games. „Diese entwurzelten, weißen Männer hatten Monsterkräfte“, jubilierte Bannon. Dass Trump Videospiele für das Schulmassaker in Parkland, bei dem im Februar 2018 17 Menschen getötet wurden, verantwortlich machte, wirkt da recht zynisch.
Die Frage ist nur, ob man einem Spiel Unrecht tut, wenn man es eilfertig zum Übungsplatz für neurechte Bewegungen erklärt, und ob darin nicht auch eine Kulturverachtung mitschwingt, weil Computerspiele nun mal Teil unserer Kultur sind – egal wie vergiftet die „Gamerkultur“ sein mag.
Nach dem Großbrand in der Kathedrale Notre-Dame in Paris gab das Entwicklerstudio Ubisoft sein Spiel „Assassin’s Creed Unity“, für welches das gotische Bauwerk virtuell rekonstruiert wurde, eine Woche lang kostenlos zum Download frei. Damit könnte der Computerspiele-Hersteller einen Beitrag zum Wiederaufbau leisten. Games sind also nicht nur destruktiv, sondern durchaus konstruktiv.
Es wäre zu kurz gegriffen, eine Kausalkette von „Fortnite“ zu Alt-Right herzustellen. Natürlich ist nicht jeder Gamer ein Rechter. Trotzdem ist nicht von der Hand zu weisen, dass das netzkulturelle Phänomen des Trollens, das lustvolle Torpedieren von Gruppenregeln, inzwischen Eingang in die politische Kultur gefunden hat.
Gamergate war sozusagen das Präludium der populistischen Internationale: Die denunziatorischen Methoden gehören mittlerweile zum Standardrepertoire der Trumps, Le Pens und Orbáns. Trump trollt die Community ständig mit irgendwelchen Invektiven und Attacken. Wenn er aus einem internationalen Abkommen aussteigt, wirkt das so, als wenn jemand trotzig den Gruppenchat verlässt. Das politische Spiel, das derzeit in den USA gespielt wird, das Stammesdenken, das Erobern von Terrains, das Errichten von Forts, das Zum-Abschuss-Freigeben des (politischen) Gegners, es wurde bereits durchgespielt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm