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Rechte Kampfbegriffe zu MigrationSkandale, Tourismus und Industrien

Markus Söder spricht von „Belehrungsdemokratie“ und normalisiert damit rechte Vokabeln. Von „Asyltourismus“ bis „Asylindustrie“ – ein Glossar.

Industrie? Tourismus? Oder Rettung? Geflüchtete verlassen die „Aquarius“ in Valencia Foto: ap

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert ein Ende des „Asyltourismus“ und spricht von „Belehrungsdemokratie“ – erfunden hat er das Wort allerdings nicht. Diese und andere Kampfbegriffe gibt es seit Jahrzehnten, im Moment werden sie von rechts wieder besonders gerne aufgegriffen. Der Überblick.

„Asyltourismus“ – verwendet von Markus Söder (CSU) am vergangenen Donnerstag in einem Tagesthemen-Interview. Söder und der CSU-Innenminister Horst Seehofer benutzen das Thema Asyl zur Zeit, um von München und Berlin aus Wahlkampf für die Landtagswahl in Bayern im Oktober zu machen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte das Wort wenige Tage zuvor schon in einem Interview mit dem Handelsblatt verwendet. „Asyltourismus“ suggeriert, Flucht sei so etwas wie ein Lifestyle und unterstellt Geflüchteten, sie kämen ganz freiwillig nach Europa. Das Wort ist nicht neu. Als das Grundrecht auf Asyl in Deutschland in den 1990er Jahren verschärft wurde, trugen genau diese Sprachbilder zu der ablehnenden Stimmung gegenüber Geflüchteten bei. Söder setzt damit auf ein begriffliches Framing, das sich schon einmal bewährt hat.

„Asylskandal“, auch Bamf-Skandal – Ein Skandal, der groß schien und immer kleiner wurde. Die Vorwürfe gegen die Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sind schwerwiegend. Es geht um Asylbescheide, die möglicherweise unrechtmäßig positiv beschieden wurden. Die Ermittlungen laufen noch, aber einige angebliche Fakten wurden bereits korrigiert. So handelt es sich zum Beispiel nicht um bis zu 1.200 Betrugsfälle, wie oft berichtet wurde, sondern um 578 Fälle, bei denen ein Widerruf notwendig sein könnte. Vieles bleibt zu klären, etwa inwiefern die damalige Chefin der Bremer Außenstelle, Ulrike B., gezielt gegen Vorschriften verstoßen hat. Das Problem: Das Wort „Skandal“ ist in der Welt, auch wenn sich die Affäre im Nachhinein als kleiner herausstellt. Keine Zweifel gibt es übrigens daran, dass sich seit 2015 in Deutschland die Wartezeiten in Asylverfahren verdoppelt haben. Das ist ein Skandal.

„Asylindustrie“ – Ende April diesen Jahres verhinderten Geflüchtete im baden-württembergischen Ellwangen eine Abschiebung. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Dobrindt reagierte umgehend mit einem Kampfbegriff von rechts-außen und forderte ein Ende der „Asylindustrie“ und der „Anti-Abschiebe-Industrie“. Rechte wollen die angebliche „Asylindustrie“ vor allem als ein Milliardengeschäft darstellen, an dem wahlweise die Bundesregierung, Wohlfahrtsverbände oder Schleuser dickes Geld verdienen sollen. Das gezielte „Herholen“ von Geflüchteten als Geschäftsmodell ist auch ein beliebtes Motiv. Dobrindts Forderung ist ein deutliches Wahlkampfangebot an die rechte Zielgruppe.

„Asylmissbrauch“ - Jeder Mensch hat das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen sowie darauf, dass dieser Antrag geprüft wird. Das heißt: Auch wer wahrscheinlich keine Aussicht auf Asyl hat und trotzdem einen oder mehrere Anträge stellt, ist im Recht. Der Begriff unterstellt, dass massenweise unberechtigt Asylanträge gestellt würden, er ist eng verwandt mit der Phrase „Wir können nicht alle aufnehmen“. Gerne wird in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung zwischen „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „echten“ Geflüchteten betont, obwohl das Asylrecht diese bereits vornimmt. Was problematisch genug ist.

„Asylbewerber*in“ - Nanu, was macht der denn hier? Ist das nicht eine nüchterne Tatsachenbeschreibung? Nicht ganz. Es stimmt, „Asylbewerber*in“ wird im offiziellen Sprachgebrauch synonym mit „Asylsuchende*r“ benutzt – für eine Person, die einen Asylantrag gestellt hat, zu dem es noch keinen Bescheid gibt. Das Problem: Menschen bewerben sich nicht um Asyl, sie stellen einen Antrag um zu prüfen, ob sie ein Recht darauf haben. Es ist kein Job, Erasmusstipendium oder Yoga-Retreat, wofür man sich bewirbt. Große Begriffe neigen zu Verallgemeinerungen und Vereinfachungen. Komplexe Realitäten erfordern jedoch sprachliches Differenzieren. Sonst entstehen schiefe Bilder in der Vorstellung – und zwar nicht nur bei den Rechten.

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5 Kommentare

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  • Auch die Flucht der Männer ist keine Alternative!

     

    Auch die heutigen Flüchtlinge müssen sich an der sozial-revolutionären Umwälzung ihrer Herkunftsländer beteiligen!

     

    Die Flucht ins westliche Wohlstands- und Konsumparadies ist keine Lösung für die Zurückgelassenen, die Frauen mit ihren Kinder, die unterversorgten Kranken und Verletzten, die sozial Armen und Alten, in den Armuts-, Kriegs- und Krisenregionen.

     

    Die Flucht aus schlechten sozialen Lebensbedingungen führt zu keiner Beseitigung der Ursachen für schlechte soziale Lebens- und Arbeitsbedingungen.

     

    Es ist nicht die Aufgabe der westlichen militärischen und polizeilichen Truppen, aus den Nato-Staaten, diese schlechten sozialen Lebensbedingungen zu beenden. Im Gegenteil, die westlichen Truppen aus Militär, Geheimdienst und Polizei, bei ihrem Einsatz in den Kriegs- und wirtschaftlichen Krisenländern, haben vor allem die zentrale Hauptaufgabe, die ökonomischen und geo-politischen Interessen ihrer (westlichen) Bündnisstaaten, Wirtschafts- und Rohstoffverbände -vor Ort- durchzusetzen.

     

    Auch wenn deren Einsatz in südlichen Krisenländern von bürgerlichen Gutmenschen und vormundschaftlichen w/m Paternalisten und analogen Rassisten, einschließlich von (vormaligen) Oliv-Bündnisgrünen und Pseudo-Linken, aktiv unterstützt wird, siehe das frühere Jugoslawien, die Ukraine, Nahost und u.a. Mali-Afrika, Sudan, Somalia, Kongo, so bleibt es vor allem die Aufgabe der Menschen in den Kriegs- und wirtschaftlichen Krisenländern selbst, sich von den jeweiligen Regime –auch gewaltsam– zu befreien.

     

    An der sozialen, ökonomischen und politischen (sozial-revolutionären) Befreiung der südlichen und nahöstlichen Länder und Regionen müssen sich auch die jungen Flüchtlinge selbst aktiv und politisch organisiert beteiligen!

     

    Beispielhaft für den sozialrevolutionären Befreiungskampf sind auch die kämpfenden kurdischen Frauen.

    {...}

     

    Fortsetzung, Teil II.

  • "Der Begriff (Asylmissbrauch) unterstellt, dass massenweise unberechtigt Asylanträge gestellt würden, er ist eng verwandt mit der Phrase „Wir können nicht alle aufnehmen“. Gerne wird in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung zwischen „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „echten“ Geflüchteten betont, obwohl das Asylrecht diese bereits vornimmt. Was problematisch genug ist."

     

    Wenn das Asylrecht diese Unterscheidung vornimmt, kann es doch nicht verwerflich sein, wenn sich Menschen darauf berufen. Natürlich kann man Gesetze kritisieren. Aber die Forderung, Gesetze anzuwenden, wird hier gleich gesetzt mit einer verwerflichen(rechten) Gesinnung. Das geht aber weit über die Kritik an einem Gesetz hinaus. Denn das ist eine Kampfansage gegen diejenigen, die sich auf den Rechtsstaat berufen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Belehrungsdemokratie passt schon. So wie dieser Artikel auch - belehrend - was darf man sagen, was nicht - definiert eine Minderheit hochgebildeter Menschen, die ihren Verstand besser für die Lösung tiefgreifender Probleme dieser Welt einsetzen könnten.

  • Ich sehe da ob nur einen Begriff, der tatsächlich ein "Geschmäckle" hat. :D

     

    "Asylindustrie" ist eine massive Übertreibung um die Arbeit von NGO's zu beschreiben, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Es ist in Ordnung, dass es Gruppen gibt, die Lobbyarbeit für Flüchtlinge betreiben. Jede gute Lobbyorganisation neigt in ihrem Arbeitsalltag dazu, teils überzogene Forderungen zu stellen um das Beste für die eigenen Schützlinge rauszuholen. Verdi und der DGB arbeiten doch auch nicht anders. Manchmal nerven die, teils an den Haaren herbeigezogenen, Ausführungen von Günther Burkhardt (Pro Asyl) und dennoch bleibt die Arbeit von Organisationen wie Pro Asyl wichtig für den Diskurs. Ich glaube der Unterschied zwischen Pro Asyl und Gewerkschaften ist wohl, dass Pro Asyl nicht für die deutsche Bevölkerung arbeitet (Warum sollten sie das auch tun?!). Dagegen haben viele Deutsche schon mal irgendwann von der Arbeit der Gewerkschaften profitiert oder unterstützen diese sogar durch eigene Mitarbeit.

    Übrigens ist der Begriff "Asyl-Industrie" ziemlich dumm, weil Industrie am Fließband produziert. Wenn überhaupt kann man hier von "Dienstleistung" sprechen. Aber wenn man jemanden schlecht reden will, neigt man halt zu Übertreibungen. So werden aus Rechtspopulisten Nazis gemacht und männliche Flüchtlinge zu Triebtätern.

     

    Bei den restlichen Begriffen weiß ich nicht, was man sich dabei gedacht hat. Wenn Flüchtlinge z.B. in Italien die EU betreten, dort Asyl beantragen und dann wegen besserer Zukunftsaussichten in andere EU-Länder weiterreisen, ist der Begriff "Asyl-Tourismus" durchaus eine treffende Bezeichnung.

     

    Im Gegenzug wäre es doch mal schön wenn die taz-Redaktion sich Gedanken machen würde, wie man als politisch korrekter Oberbedenkenträger Phänomene wie Asylmissbrauch (findet tatsächlich statt!) oder Asyl-Tourismus benennen darf.

    • @FrankUnderwood:

      Na, ich glaube der Begriff Industrie kommt in diesem Fall von den analog gebrauchten "Prison-Industrial Complex" und "Military-Industrial Complex" aus den USA, wobei ersterer auch eher eine Dienstleistung umschreibt. Industrie ist einfach wichtiger als der Dienstleistungssektor!