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Rechte Ideologen an der Uni SiegenMeinungsfreiheit war nie gefährdet

Beim Streit um Auftritte von Sarrazin und dem AfDler Jongen ging es nicht um Toleranz, wie manche meinen. Es ging um Hochschuldidaktik.

Die Frage ist: Ist es sinnvoll, Ideologen wie Thilo Sarrazin Reputationsgewinn zu verschaffen? Foto: dpa

Denken, das heißt, sich der Anstrengung des Begriffs zu befleißigen, lässt sich nur im Zwiegespräch, im Dialog, im Für und Wider des Argumentierens erlernen. Das war und ist seit zweieinhalbtausend Jahren so – von nichts anderem zeugen Platons Dialoge.

Indes: Um all das geht es beim jüngst bekannt gewordenen Streit an der Universität Siegen überhaupt nicht. Auch ging es nicht, wie manche meinen, um Meinungsfreiheit und Toleranz, als sich die Universität Siegen in Gestalt von Niels Werber weigerte, den Auftritt der rechtsradikalen Ideologen Thilo Sarrazin und Marc Jongen in einem vom Philosophen Dieter Schönecker geplanten Seminar zu finanzieren.

Es geht also überhaupt nicht darum, dass die Universität Siegen wider die Voltaire zugeschriebene Äußerung „Du bist anderer Meinung als ich, aber ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen“ verstoßen hat. Die Meinungsfreiheit war nie gefährdet: Nie und zu keiner Zeit wurde es Sarrazin und Jongen verboten, auf dem Gelände der Universitär Siegen (in einem Seminar) zu sprechen.

Worum es schlicht und ergreifend ging, das war eine hochschuldidaktische Frage, also darum, ob es hochschul- und philosophiedidaktisch sinnvoll ist, die argumentativen Schwächen sogenannten „rechten Denkens“ im direkten Dialog mit dessen prominenten Vertretern einzuüben, dafür auch noch Geld aufzuwenden und derlei Ideologen einen Reputationsgewinn zu verschaffen.

Sarrazin ist ein in der Wolle gefärbter Rassist

Bei alledem muss man sich klarmachen, dass die Überzeugungen von Sarrazin und Jongen zwar nicht so verrückt sind wie die Meinungen, dass die Erde eine Scheibe und Merkel ein Echsenwesen sei, sie sich aber von den Annahmen etwa der „Reichsbürger“, dass die Bundesrepublik rechtens gar nicht existiere, in ihrer Seriosität mitnichten unterscheiden.

Gewiss: Angehende Philosophinnen sollten lernen, derlei argumentativ zu widerlegen. Dazu hat zumal die britische Universitätslandschaft ein bewährtes Instrument entwickelt: Die „debating society“, in der Studierende in Form eines Rollenspiels gehalten sind, exakt die Argumente der jeweils gegnerischen Partei so gut wie überhaupt nur möglich öffentlich zu vertreten.

In und mit dieser argumentativen Rollenübernahme lernen die Teilnehmerinnen gleichsam von innen her, worin die möglichen Schwächen und Stärken eines ihnen auch fremden, am Ende widerwärtigen Arguments bestehen.

Thilo Sarrazin jedenfalls ist ein in der Wolle gefärbter Rassist, wie seine Behauptungen zur Weitergabe inzüchtigen Erbguts unter türkischen Immigranten belegen; zu dem, was die Nichtigkeit seiner mühsam angelesenen islamkundlichen Kenntnisse betrifft, hat die Fachwelt inzwischen alles Erforderliche gesagt.

Und was den Kantianer Dieter Schöneck betrifft, so steht auch er in einer Tradition. Die Geschichte der Philosophie, in diesem Fall sogar Platon selbst im Dialog „Theaitetos“, überliefert eine Episode aus dem Leben des Vorsokratikers Thales von Milet: „Thales […] fiel, als er sich mit den Sternen beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen. Da soll ihn eine witzige und reizende thrakische Magd verspottet haben, weil er zwar die Dinge am Himmel zu erkennen begehre, ihm aber, was ihm vor den Füßen liege, entgehe.“

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10 Kommentare

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  • Danke für den Hinweis auf die Platonischen Dialoge. Kann man mal wieder sehen, wie Zeitung lesen bilden kann. Wenn auch nur ansatzweise.

    Nein, ein Plato ist Sarrazin gerade nicht. Der Mann führt keine Dialoge. Er doziert und polemisiert dabei. Es geht ihm offenbar weniger um eine Wahrheit als vielmehr um Geld und Aufmerksamkeit. In sofern passt er immer noch sehr viel besser in die allgemeine Medienlandschaft als an eine deutsche Uni, auch wenn die Uni vielleicht nicht (mehr) ist, was sie mal sein wollte, und ihre Erwartungen an sich selbst Stück für Stück der neuen Realität anpasst.

    Denken lernen kann man gut, in dem man Platon folgt. Die absolute Wahrheit finden eher nicht. Zumindest kann ich das dem Wikipedia-Eintrag entnehmen, der über den Platonischen Dialog ausführt: „Fast alle Werke Platons sind [...] fiktive Gespräche zwischen zwei bis vier Diskutierenden. Die Dialoge enthalten zwar Platons authentisches Gedankengut, aber weil er Vertreter unterschiedlicher Positionen zu Wort kommen lässt und selbst nicht als Gesprächspartner auftritt, lässt sich seine eigene Auffassung den Texten nur indirekt entnehmen. [...]. Hinzu kommt, dass manche Äußerungen scherzhaft, ironisch, übertrieben oder nur andeutend sind. Die in der dialogischen Darbietungsform liegende Herausforderung für den Leser ist für Platons Auffassung vom philosophischen Diskurs charakteristisch.“

    Bei Sarrazin ist das vollkommen anders. Der Mann weiß, was er will. Vor allem von den anderen. Insofern muss er Dekan und Prodekan Niels Werber wohl eher wie ein Konkurrent erschienen sein. Und einen Konkurrenten scheint ein Mann wie Weber nicht dulden zu wollen auf seinem ganz privaten Hühnerhof. Womöglich sollte der Philosophen Dieter Schönecker ja in einem neuen Seminar die hochschuldidaktische Frage diskutieren (lassen), was Platon dazu sagen würde. Entlassen wird man ihn ja hoffentlich nicht gleich dafür.

  • sorry, diese Argumentation ist ja fast noch schlimmer. Es ist ja wohl der Kern der Wissenschaftsfreiheit, dass der Hochschullehrer selbst bestimmt, auf welche Weise er seinen Studenten Wissen vermittelt - da hat der Senat oder Dekan oder wer auch immer sich schlicht nicht einzumischen.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Dr. McSchreck:

      Aber zahlen müssen Senat oder Dekan dafür nicht, gelle ?

    • @Dr. McSchreck:

      Wenn ich das richtig verstehe, ging es auch nur um die Bezahlung. Unbezahlt hätte Sarrazin weiter gerne in das Seminar kommen können?

      • @Hanno Homie:

        Eine notorisch klamme Einrichtung wie eine Universität wird den Referenten Reisekostenerstattung anbieten, jedes mehr würde mich überraschen.

        Die Formulierung "dafür auch noch Geld aufzuwenden" ist sehr ungenau, damit bleibt völlig unklar, ob Reisekosten oder Honorare gemeint sind.

      • @Hanno Homie:

        Die Frage wäre - das beantwortet der Artikel leider nicht - ob der Dozent einfach sein Budget so ausgeben wollte, wie es der Leitung nicht gefiel oder ob er zusätzliche Mittel forderte.

        Dann könnte ich verstehen, dass man dies verweigert.

        • @Dr. McSchreck:

          Ja wie *¿* - Schreck laß nach - wa!

          Männer! Also die wollen doch nur das -



          Eine! Wollnichwoll*¡*



          Reisekostenabrechnung*!* Na toll.



          & willich Sie mal raten - Siegen!



          Siegen - Liegt nunmal - seit altersher.



          & Schwer - inne SiegerlandKarpaaten.



          & Da hett jede Stoffel - in sei groot Muul



          Ne groote groote - heiß Kartoffel.



          & kaut de bit Sprekken gar nich fuul!

          Vermute daher - auch nicht grad schön.



          Ein echt pekuniäres Sprachproblem.



          Also eher Euro-Diggen&Schürfen*.



          &



          Das wird mann doch nochmal Sagen -;)



          Dürfen.

          unterm—-einst - kaa Shit in mei Beritt:



          “Waas - Suerlandisch Pilsken ala Merz -



          Stößt ehna auf - ein Scherz! - Wartens.



          Erstmal ab - Gaaanz&gaaar ungenant.



          Woll. Heiße Kartoffel & im Siegerland!



          Das! is ers’mal toll - Wollnichwoll*¡*“



          &



          Ja dess Justizia‘ Lauf - So kam ich drauf!

          &Däh* Diggen&Schürfen - 2.500 Johr de.wikipedia.org/w...gbau_im_Siegerland

          No! Allens chlor*¿*

  • Mit dem Argument kann ja jede Debatte als Trockendiskurs geführt werden. Gleichsam göttliche Instanzen (in der Uniadministration?) definieren dann, wer würdig für einen direkten Diskurs ist.



    Viel entscheidender ist doch, dass Ihro Merkwürdigkeiten wie Sarazzin und Co an einer Debatte gar nicht interessiert sind, sondern das ganze nur als Propaganda-Plattform sehen. Aber, mal ehrlich, das gilt für alle anderen Politiker, die an Unis eingeladen werden, genauso.



    Vielleicht sollte es einfach mal als Eweiterung der Lebenserfahrung der Studierenden werden, Weltwissen sozusagen....

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Ignaz Wrobel:

      Unsinn. Es erweitert das Denken nicht, einem rechten Ideologen dabei zuzuhören, wie er wissenschaftlich falsch begründete Thesen äußert, die jeder Ersti sauber falsifiziert bekommt.

    • @Ignaz Wrobel:

      Sorry - aber nickname -

      Is doch nicht von ungefähr - oder doch*¿*