Rechte Anschlagserie in Berlin-Neukölln: Hipsterkiez mit Hakenkreuzen
Die rechten Taten bleiben weitgehend unter dem Radar der bundesweiten Öffentlichkeit. Doch die Opfer wissen ganz genau, wer gemeint ist.
Aber diese Geschichte spielt in Berlin-Neukölln. Ein Großteil der mehr als 60 Angriffe, Anschläge und Brandstiftungen, die der seit Mai 2016 laufenden Serie zugerechnet werden, ereignet sich dort, wo auch die mutmaßlichen Täter zu Hause sind, im Süden des Bezirks, viel weniger großstädtisch und viel weniger medial bekannt als der Norden. Aber ab und an trifft es auch den Norden, der dem Rest der Republik wahlweise als Hipster-Mekka oder Clankriminalitäts-Gruselmärchen bekannt ist. Zum Beispiel in dieser Woche, als die Fenster eines Imbissrestaurants, eines Spätkaufs sowie ein Treppenhaus großflächig mit Hakenkreuzen und SS-Runen besprüht wurden.
Vielleicht wäre es mit der bundesweiten Aufmerksamkeit auch einfacher, wenn durch diese Anschlagserie Menschen nicht nur eingeschüchtert, finanziell belastet und psychisch zermürbt würden, sondern wenn schon Menschen körperlich zu Schaden gekommen wären, so richtig. Bei Ferat Kocak, kurdischstämmiger Lokalpolitiker der Linkspartei, wäre es damals fast so weit gewesen, in einer Februarnacht 2018, als sein Auto nur ein paar Zentimeter neben der durchs Einfamilienhaus verlaufenden Gasleitung verbrannte.
Der Betreiber des Imbisses, auf dem am Dienstagmorgen große rote Hakenkreuze prangten, ist ein naher Verwandter von Ferat Kocak. Ob sich die Einschüchterung gegen ihn und seine Familie richtet oder allgemein gegen ein migrantisches Neukölln, ob die Täter dieselben waren wie die, die Kocaks Auto anzündeten, werden die Ermittlungen zeigen, würde man gern schreiben. Allein, die Ermittlungen haben in dieser Sache überhaupt noch nie irgendetwas gezeigt, weder jetzt noch bei der letzten Serie vor acht Jahren, als beispielsweise eine Einrichtung der Falken so oft attackiert wurde, dass die Jugendarbeit dort bis heute hinter einem meterhohen Hochsicherheitszaun stattfindet.
Tatort: Wildenbruchstraße
Die beschmierten Häuser befinden sich in der Wildenbruchstraße, die in der Liste der Tatorte dieser Serie bereits mehrfach auftaucht: 2016 deponierten Unbekannte einen Brandsatz vor einem linken Café, ein weiteres Lokal, das als Treffpunkt linker und migrantischer Gruppen dient, wurde schon zweimal attackiert, zuletzt vor wenigen Wochen. Ebenfalls in der Wildenbruchstraße, Ecke Sonnenallee, befindet sich in einem imposanten Gebäude: die Polizeidienststelle Direktion 5, Abschnitt 54.
Die Betroffenen der Anschlagserie, die vereint, dass sie sich gegen rechts engagieren, sei es als linke Aktivistin oder als Mitglied der Kirchengemeinde, kämpfen seit Jahren für Aufmerksamkeit und Aufklärung. Dabei haben sie schon viel erreicht: Wurde jahrelang selbst ein Zusammenhang zwischen den Taten angezweifelt, spricht mittlerweile auch Berlins Innensenator Andreas Geisel von rechtem Terror.
Und dass bei den Ermittlungen verheerende Fehler passieren, sind die Behörden längst gezwungen einzuräumen – etwa als die Sicherheitsbehörden Ferat Kocak auch deswegen nicht über die ihnen im Vorfeld bekannten Anschlagpläne informierten, weil sie mit der Schreibweise seines Namens überfordert waren. Dass Polizei und Verfassungsschutz inkompetent sind, ist angesichts der anhaltend ausbleibenden Ermittlungserfolge und langen Liste an Ungereimtheiten schließlich noch diejenige der möglichen Erklärungen, bei der die Behörden am besten wegkommen.
Worum es den Tätern geht, ist weit weniger undurchsichtig als das Handeln der Ermittler: Sie wollen so lange einschüchtern, bedrohen, fertigmachen, bis Menschen aufgeben. Daher braucht rechter Terror auch kein Bekennerschreiben: Am besten ist es, wenn nur die Opfer selbst wissen, dass sie gemeint sind. Genau deswegen ist Aufmerksamkeit und Solidarisierung so elementar, in Berlin wie in Sachsen. Die einzige Chance zu verhindern, dass die Strategie der Täter aufgeht, ist: den Opfern das Gefühl geben, dass sie nicht alleingelassen werden.
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