Recht am eigenen Bild: Vorsicht beim Polizisten-Filmen

Ein Mann postete Demo-Aufnahmen auf Twitter. Weil Beamte zu erkennen waren, wurde er milde verurteilt. Aber er zahlte einen hohen persönlichen Preis.

Zwei Männer filmen mit ihren Handys ein Feuer, dahinter Demonstranten

Alles gut, solange keine Po­li­zis­t:in­nen im Bild sind: Filmen bei den G20-Krawallen in Hamburg Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Als Boris B. den Gerichtssaal betritt, stellt sich sein Anwalt schützend vor ihn. Er schirmt ihn ab vor der Kamera eines Morgenpost-Fotografen. Nach kurzer Diskussion gibt dieser entnervt auf und zieht ohne Foto wieder ab. Boris B. setzt sich schweigend auf seinen Platz. Es ist der Platz des Angeklagten.

Seine langen braunen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. Sein rotes Hemd ist zu groß. Er ist 33 Jahre alt, aber in diesem Moment wirkt er jünger. Später wird er dem Richter erzählen, wie sehr ihn der Prozess belastet hat. Wie ihn das Verfahren in eine Depression trieb und wie er deshalb sein Studium abgebrochen hat.

Ende 2019 war die Debatte um das neue Hamburger Polizeigesetz in vollem Gange. Am 15. November protestierten etwa 2.000 Gegner des Gesetzes auf der Reeperbahn. Boris B. war auch dabei. Er filmte das Geschehen mit seinem Handy. Später postete er das Video auf seinem Twitter-Kanal.

In dem Video, das im Gerichtssaal gezeigt wird, ist zu sehen, wie Polizisten ihn ansprechen und auf ihn zukommen. Man kann ihre Gesichter erkennen. Dass die betroffenen Beamten deshalb Strafantrag gestellt haben, erfährt er erst im Februar 2020. Damals wird er, ebenfalls bei einer Demonstration, von mehreren Beamten in eine Seitengasse geführt. Aus Sorge um seine eigene Sicherheit startet er auf Twitter einen Livestream. Alle seine Follower konnten die Situation jetzt live mithören.

Handy abgenommen

Die Polizisten hatten ihn, der einige Monate zuvor ihre Kollegen gefilmt hatte, wiedererkannt und nahmen ihm sein Handy ab. Dann teilten sie ihm mit, dass ein Strafverfahren gegen ihn laufe. Der Vorwurf: Verletzung der Persönlichkeitsrechte der gefilmten Beamten. Als sie merken, dass sein Handy auch an diesem Abend mitläuft, stellen sie noch einen zweiten Strafantrag.

All dies schildert Boris B. eineinhalb Jahre später dem Richter. Mehrfach versagt ihm dabei die Stimme.

Anschließend entbrennt eine Diskussion über juristische Feinheiten, in der zwei Dinge klar werden: Ja, der Angeklagte hat damals eine Straftat begangen. Aber: „Beide Fälle stellen keinen besonders schweren Verstoß dar“, so der Richter.

Polizeieinsätze zu filmen, ist erst einmal legal. Es ist sogar wichtig, um eventuelles Fehlverhalten zu dokumentieren. Aber auch Polizistinnen und Polizisten dürfen im Allgemeinen selbst darüber entscheiden, ob ein Bild, auf dem sie zu erkennen sind, gemacht oder veröffentlicht werden darf.

Bilder und Videos, die auf Demonstrationen gemacht wurden, können aber meistens als Bildnis der Zeitgeschichte gewertet werden, da sie gesellschaftlich und politisch relevant sind. Somit ist eine Veröffentlichung meist zulässig. In der Verhandlung gegen Boris B. argumentierte das Gericht jedoch damit, dass eine Berichterstattung möglich gewesen wäre, wenn B. vor Veröffentlichung des Videos die Gesichter der Beamten verpixelt hätte.

Auch das gesprochene Wort der Polizist:innen ist besonders geschützt. B. nahm es ohne deren Kenntnis auf und veröffentlichte es in seinem Twitter-Livestream.

Rechtmäßig wären beide Veröffentlichungen gewesen, wenn der Angeklagte damit einen Rechtsbruch der Polizei dokumentiert hätte. Dies nachzuweisen, ist aber meist relativ aufwendig.

Und dann geht es um ihn, um Boris B. Er lebt zusammen mit seiner Freundin, verdient etwa 1.300 Euro im Monat und arbeitet im Einzelhandel. Sein Fotografiestudium brach er ab, nachdem er von den Vorwürfen gegen sich erfuhr. Es sei einfach nicht mehr möglich gewesen. Geblieben ist ihm nur ein Studienkredit, dessen Tilgung ihn über 200 Euro im Monat kostet.

Trotz alledem bleibt die Staatsanwaltschaft bei ihrer Forderung nach einer Geldstrafe von 1.800 Euro. Der Richter sieht das anders und fasst die Situation mit den Worten zusammen: „Ist halt dumm gelaufen.“ Er verwarnt den Angeklagten und setzt eine Geldstrafe von 2.000 Euro zur Bewährung aus. B. muss das Geld also nur zahlen, wenn er in den nächsten zwei Jahren noch einmal straffällig wird. Damit er nicht komplett ungeschoren davonkommt muss Boris B. 600 Euro an eine gemeinnützige Organisation spenden.

Nach etwa zwei Stunden Verhandlung bleiben viele Fragen offen. Ist es richtig, dass Menschen, die auf Demonstrationen filmen, Angst haben müssen, plötzlich vor Gericht zu stehen? Wenn Polizeibeamte sofort Strafantrag stellen, wenn ihr Gesicht auf Videos zu erkennen ist – wie sollen Grenzüberschreitungen der Staatsmacht dann dokumentiert werden?

Für Boris B., der nach der Urteilsverkündung mit seinem Anwalt vor dem Gerichtsgebäude steht, sind all diese Fragen egal. Er zieht hastig an seiner E-Zigarette, während sein Verteidiger ihm letzte Tipps mit auf den Weg gibt. Er kann sich kaum noch darauf konzentrieren. Für die nächsten zwei Jahre würde er sich zurückhalten, meint er dann: „Erst mal keine Demos für mich.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.