Recherche zu Coronahilfen für Bücher: Keine Zensur in der Kulturförderung
Ausgerechnet ein öffentlich-rechtlicher Sender fordert eine staatliche Prüfung von Kulturinhalten, die Nothilfe vom Bund bekommen.
W as reitet Deutschlandfunk Kultur, nun schon zum zweiten Mal das 2-Milliarden-Euro-Bundes-Notprogramm „Neustart Kultur“ für den Kulturbereich in der Coronakrise zu skandalisieren? Erst vor einem halben Jahr kritisierte der Sender, dass auch Galerien eine Förderung in der Krise erhielten, die sie gar nicht gebraucht hätten, und forderte allen Ernstes mehr Bürokratie bei der Kulturförderung. Um jetzt zu behaupten, mit den Corona-Fördermitteln für den Literaturbereich seien Rechtsextremisten unterstützt worden. In beiden Fällen bleibt der Sender eine schlüssige Beweisführung schuldig.
Die Überschrift der aktuellen Recherche „Corona-Fördermittel für rechtsextreme Buchprojekte“ legt nahe, dass ein erheblicher Teil der Fördermittel für rechtsextreme Inhalte vergeben wurde. Rechnet man nach, schrumpft die Größenordnung dieses vermeintlichen Skandals schnell: Der Sender nennt vier Fälle nach seiner Ansicht problematischer Förderungen mit insgesamt knapp 24.000 Euro. Das sind 0,34 Prozent der Gesamtfördersumme von 6,8 Millionen Euro für 955 Buchprojekte. Jeder Fall ist, wenn sich der Rechtsextremismus belegen lässt, eindeutig ein Fall zu viel.
Der Sender glaubt allen Ernstes, wenn nicht Kulturverbände wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Mittel an die Verlage verteilt hätten, hätte der Staat eine inhaltliche Prüfung aller mit Fördermitteln ermöglichten Bücher streng durchführen können. Nun mussten alle Verlage, die eine Förderung erhalten haben, natürlich schriftlich bestätigen, mit der Förderung keine jugendgefährdenden, gewaltverherrlichenden, verfassungsfeindlichen oder strafbaren Inhalte zu veröffentlichen. Eine weitergehende Prüfung war in dem Programm nicht vorgesehen. Und will Deutschlandfunk Kultur wirklich, dass der Staat künftig eine weitergehende Prüfung durchführt?
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
Eine Zensur findet nicht statt, das ist die eindeutige Maßgabe des Grundgesetzes. Erstaunlich, dass man einen öffentlich-rechtlichen Sender an diese Selbstverständlichkeit erinnern muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja