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Reality-Show „Kaulitz & Kaulitz“Hauptsache, alle gucken mich an

Die Brüder Bill und Tom Kaulitz von der Band Tokio Hotel haben einen neuen Kanal. In der Realityserie „Kaulitz & Kaulitz“ inszenieren sie sich selbst.

Selfie mit Sonnenbrille: Tom und Bill Kaulitz Foto: netflix

S o eine knapp sitzende, rosafarbene „Lederhosn“ ist schon schick. Dazu Plateau-Heels in Hot Pink, einen rosafarbenen Blazer, Make-up und Big Hair – und schon passt der fesche Buam wunderbar auf’s Oktoberfest.

So sieht es jedenfalls Bill Kaulitz, Toms Zwillingsbruder. Die Szene aus der soeben gestarteten, die – laut Eigenangabe – Streamingcharts dominierenden Realityserie „Kaulitz & Kaulitz“ zeigt, wie die beiden seit Jahren in Hollywood ansässigen, Magdeburger Tokio Hotel-Gründer sich auf einen Besuch beim alljährlichen Münchner Identitätsfest vorbereiten. Dass Bill sich der im konservativen Bayern zuweilen noch immer funktionierenden Provokation seines exaltiert-queeren Outfits bewusst ist, steht dabei außer Frage.

Die Aufmerksamkeit der Medien hat er jedenfalls. Nach ein paar Flirtereien mit einem deutschen Youtuber im Käfer-Zelt finden sich Bill und sein Galan besoffen knutschend in den Schlagzeilen – für den Youtuber hagelt es daraufhin homophoben Hass im Netz. Bill Kaulitz dagegen ist sich der Unterstützung durch seinen Bruder und sein soziales Umfeld sicher. „Kaulitz & Kaulitz“ erzählt von funktionierenden, von Liebe, Toleranz und Respekt geprägten Beziehungen.

Tolerant und freundlich

Und unterscheidet sich damit stark von den üblichen Reality-TV-Intentionen. Statt exploitativer, durch dementsprechende Effekte dramatisierter Streitereien, Doofheiten und Oberflächlichkeiten, denen das Publikum mit einem hämischen „Gott sei Dank, ich bin nicht so“ begegnen soll, sieht man zwei – nicht wirklich interessante, aber nette – Brüder, die sich gegenseitig mit dem Kosenamen „Maus“ anreden, und immer wieder Kraft aus diesem wundersamen, unsicht- aber fühlbaren Zwillingsband ziehen.

Und auch die restlichen Beteiligten, Freund:innen, Assistent:innen, Bandkollegen, die Kaulitz-Mutter, sind tolerant und freundlich. Selbst wenn Bill Kaulitz seine (hiermit ohne Expertise ferndiagnostizierte) „histrionische Persönlichkeitsstörung“, sein anstrengendes Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom in die Vollen auslebt. Hauptsache, alle gucken mich an, wiederholt der selbstbewusste Bill, dem es unmöglich ist, einen Satz nicht mit „ich“ zu beginnen.

Dass man sich ihn tatsächlich anguckt, gern am teilweise exotischen, liberalen, durchaus erstrebenswerten Bruder-Leben zwischen Champagner, Hollywood Hill-Villa, Preisgalas, Heidis Halloweenparty und Hotel-Luxussuite teilnimmt, ist nicht überraschend. Verwunderlich und irgendwie auch hoffnungsvoll könnte jedoch sein, dass die Serie, die an der formalen Oberfläche eine krakeelende, bunte Promi-Reality-Show ist, diese tiefsitzende humanistische Botschaft so schön weitergeben kann.

Zwillingskonstrukt mit Doppelgängersymbolik

Das freut nicht nur die Brüder, deren Broterwerb die genuine Prominenz (viel mehr als das Musikmachen) ist, und macht nicht nur deren Wer­be­ver­trags­part­ne­r:in­nen inklusive Heidi Klum und das Streamingportal glücklich. Sondern schafft es vielleicht tatsächlich, den Zu­schaue­r:in­nen unauffällig einige Portionen Toleranz und Offenheit unterzuschieben.

Dabei hilft das Zwillingskonstrukt, das in der Kulturgeschichte eng mit der in der Romantik etablierten Doppelgängersymbolik verbunden ist. Selbst wenn man Bill mit seiner ausgestellten Exzentrik und der gekünstelten Überraschungsmimik manchmal am liebsten leisedrehen möchte, ist es faszinierend, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu seinem Bruder Tom, dem ruhigeren, wenn auch ebenso unnatürlich pseudomännlich wirkenden Korrektiv anzugucken. Man kann sich selbst dabei je nach Laune eher in Richtung Bill oder Tom lehnen.

Es steckt schließlich alles in uns drin: Zu Partyzeiten wäre man lieber der promiskuitive, angeschickerte, queere Bill. Manchmal freut man sich aber auch darauf, einfach nur zu Heidi nach Hause zu kommen und das kleine Malheur der jungen Hunde wegzuputzen. Eben ein ganz normales Leben.

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4 Kommentare

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  • Die Autorin schafft es im Trash, der nichts anderes will als Trash zu sein, eine "tiefsitzende humanistische Botschaft" zu entdecken. Das ist ein Auge um das ich sie beneide. Mehr noch beneide ich die Chuzpe mit der die Kunsttheorie hierfür zurechtgebogen wird. Der Topos des Doppelgängers —egal ob Romantik oder schon bei den ollen Griechen (Helenas Doppelgängerin) — oder wo auch immer sonst, ist eigentlich fern vom "Zwillingskonstrukt". Es ist just der springende Punkt, dass es fremde Gleiche sind. Egal ob in Siebenkäs oder bei Poe oder Dostojewski, kein Zwilingskonstrukt weit und breit. Bei Dostojewski beschliessen die Fremden immerhin, wie Zwillinge zu leben. Wie dem auch sei und egal wie man es dreht, man kriegt in den doppelten Kaulitz kaum eine kulturtheoretische Bedeutung jenseits deres der erwähnten Bierzelte reingeschmuggelt. Sie sind nicht Kastor & Pollux. Vorerst und bis auf Weiteres bleiben sie peinliche Erinnerung an Tokio Hotel.

  • ‚… und schon passt der fesche Buam wunderbar auf’s Oktoberfest‘

    Eigentlich ist ja jeder Kommentar schon ein Zuviel an Aufmerksamkeit, aber: es muss ‚der fesche Bua‘ heißen (bzw: hoaßn);

    Buam ist entweder Dativ Singular (‚es ghead dem Buam‘) oder aber Nominativ Plural (‚de Buam genga grod‘, es funktioniert aber auch ‚de Buama genga grod‘) vom Nominativ: ‚da Bua‘.

  • Das Titanic-Plakat:



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    - Tokio Hotel.



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