Reality-Show „Hype House“: Depri in der Villa
Die Netflix-Serie „Hype House“ begleitet den Alltag eines Kollektivs von Tiktok-Stars in Kalifornien. Eine ziemlich traurige Veranstaltung.
„Ich konzentriere mich immer darauf, etwas zu produzieren was trendet oder viral geht.“ Mit diesen Worten erklärt Alex Warren seine Arbeit. Der 20-Jährige verdient sein Geld vor allem mit Videos von kostspieligen Pranks, die er bei Youtube, Tiktok und Instagram hochlädt. Doch momentan läuft es nicht so gut für ihn, seine Zahlen sind in den letzten zwei Monaten gesunken. „Und mein Geld hängt von meinen Zahlen ab.“
Das letzte Experiment war zu langweilig, die Streicheleinheit mit einem Babyfuchs und der Kampf mit einem Sumoringer scheinbar auch, deswegen beschließt Alex, mit seiner Freundin Kouvr eine Scheinhochzeit zu feiern. Innerhalb von 24 Stunden macht er ihr einen Antrag, bereitet die Feierlichkeiten vor. Es gibt eine Zeremonie mit Kuss, eine Hochzeitstorte, und natürlich wird der Brautstrauß geworfen – und alles wird gefilmt. Das Video erreicht bei Youtube über zwei Millionen Menschen. Doch ein Happy End bleibt trotz allem aus: Kouvr ist traurig, dass es die Hochzeit nur zum Schein gibt, und der Tag endet für die beiden mit einem Beziehungsstreit.
So also sieht scheinbar ein ganz gewöhnlicher Tag im Hype House aus. Das Hype House gibt es seit Ende 2019 und ist eine Villa in Moorpark, gut eine Stunde nördlich von Los Angeles gelegen. Bewohnt wird es von zehn Tiktoker*innen – oder Content-Creators, wie sie sich selbst nennen –, die gemeinsam und alleine Videos von Pranks, Tanzeinlagen oder persönlichen Geschichten machen. Das Ziel des Kollektivs: gemeinsam mehr Reichweite, mehr Follower:innen, mehr Geld. Die Villa wird mit dem Content bezahlt, den sie auf dem eigenen „Hype House“-Tiktok-Account hochladen.
„Hype House“ bei Netflix
Dass Content-Creators sich zu Kollektiven zusammenschließen und gemeinsam wohnen, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Durch mediale Berichterstattung unter anderem der New York Times bekam „Hype House“ Anfang 2020 nicht nur enorm viel Aufmerksamkeit, sondern auch viele Nachahmer:innen. Vergangenen Sommer hat die Kreativagentur WeCreate ein ähnliches Projekt für deutsche Tiktoker:innen gestartet und schickte zwölf von ihnen in eine Villa nach Ibiza.
Leider nicht lustig
Die achtteilige Netflix-Serie möchte nun ein Behind-the-Scenes von denjenigen Menschen machen, die eh fast jeden Aspekt ihres Lebens ins Netz stellen. Und selten war es so traurig, das Leben von reichen und berühmten Menschen zu beobachten. Denn statt kreativer Brainstorm-Meetings, lustiger Making-of-Szenen von verpatzten Pranks oder spannenden Gossips über die Tiktoker gibt es deprimierende Szenen aus dem Hype House.
Kaum eine:r der Bewohner:innen scheint überhaupt noch Lust zu haben, darin zu wohnen. Die berühmtesten von ihnen, Charli D’Amelio und Chase Hudson, sind längst ausgezogen und machen ihr eigenes Ding. Der Quasichef des Hauses Thomas Petro beschwert sich über mangelndes Engagement seiner Mitbewohner:innen. Und nicht nur Alex scheinen langsam die Ideen auszugehen, wie man weiter kreativ bei Tiktok sein kann.
Wie erfolgreich man bei Tiktok ist, hängt deutlich stärker vom Algorithmus ab als bei Youtube oder Instagram. Man kann sich nicht auf seiner großen Follower:innenschaft „ausruhen“, sondern muss ständig neu herausfinden, mit welcher Art von Video man aktuell viral gehen kann. Dass das einen Druck erzeugt, ist den „Hype House“-Akteur:innen anzusehen. Doch statt ihn in der Sendung zu thematisieren und problematisieren, reden die Bewohner:innen am Ende eigentlich nur über Geld und ihre größte Angst: gecancelt zu werden.
Im Gegensatz zu „Selling Sunset“ oder „The Real Housewives“ funktioniert „Hype House“ also nicht als Eskapismus in der Pandemie. Im besten Fall kann die Serie ein abschreckendes Beispiel für mögliche Nachahmer:innen sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?