: Raves und rechtsfreie Räume
Die Ausstellung „Nineties Berlin“ in der Alten Münze widmet sich den Berliner Neunzigern etwas einseitig und klischeebeladen – einzig ein Maschinenpistolenpark sorgt für Irritation
Von Vanessa Prattes
Ein lautes Knallen. Polizeisirenen kommen näher. An den Seiten der brennenden Autos bildet sich eine Front aus Polizisten mit Schutzschilden und Wasserwerfern. Plötzlich ist man mitten in der Hausbesetzerszene des Berlins der 90er Jahre. Im nächsten Moment ertönen aus den Boxen dröhnende Technobeats, und eine Menschenmenge aus tanzenden Leuten zieht vorbei. Dieser starke Schnitt zwischen Revolte und Party vollzieht sich auf einer 270-Grad-Leinwand in der multimedialen Ausstellung „Nineties Berlin“, die das DDR-Museum in der Alten Münze zeigt.
„Das eigene Wissen wird erweitert, Klischees überdacht und Geschichte hautnah erlebt.“ Damit werden die interaktiven Ausstellungen auf der Website des DDR-Museums beworben. Auf der Startseite gibt es nostalgische DDR-Rezepte und den „DDR-Führer“ als E-Book zum Herunterladen in fünf Sprachen. Dass die Geschichte der DDR in der Tourismusbranche eine gewinnbringende Einnahmequelle ist, ist längst bekannt. Nach den 70ern und 80ern wird jetzt mit den 90ern die Post-DDR-Zeit entdeckt und als Spektakel inszeniert. Das klischeebeladene Bild des Berliners, der die Nächte bei illegalen Raves im Untergrund verbringt, Pflastersteine nach Polizisten wirft und gegen alles und jeden rebelliert, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Dabei werden politische Ereignisse nach dem Fall der Mauer wie der Sturm auf das Stasigelände im Januar 1990 oder der Umzug der Regierung von Bonn nur oberflächlich angerissen.
13 im Kreis angeordnete überlebensgroße Videostelen sollen mit Zeitzeugeninterviews die Geschichte verbildlichen und individualisieren. Was in Teilen gelingt. Neben bekannten Künstlern, Musikern und Politikern wie Taner Bahar, Inga Humpe, Danielle de Picciotto oder Gregor Gysi kommen auch Randfiguren wie Hausbesetzer und Hooligans zu Wort. „Du hast im Prinzip einen rechtsfreien Raum gehabt. Praktisch wie Anarchie“, sagt Sven Friedrich, Ladenbesitzer des „Hoolywood“, der Erlebnisse aus der Hooliganszene schildert.
Dem geringen historischem Anspruch stehen unterhaltsame Elemente aus der Technoszene gegenüber. Bereits am Eingang erschafft der dunkle, lange Tunnel mit zwei Leuchtmarkierungen auf dem Boden und tiefen Bässen die Atmosphäre eines langen Clubeingangs. Zentren der Berliner Underground- und Technobewegung wie das Tacheles, der Eimer, der Tresor oder das Tecknozid kann man in einem Labyrinth entdecken. An den Wänden des Labyrinths tauchen beim Durchqueren immer wieder aufgemalte Ratten auf. „Weil viele Clubs im Keller lagen, traf man dort auch immer auf Hunderte Ratten“, erinnert sich der Künstler Stefan Schilling, der zusammen mit seinem Sohn Gustav Sonntag das Labyrinth gestaltete. Beide sind eng mit dem ehemaligen Kunsthaus Tacheles verbunden. Wer in den Neunzigern in der Clubszene Berlins unterwegs war, wird einige charakteristische Graffiti, gemalte Bilder, Schriftzüge und Songs wiedererkennen.
Inmitten eines Raums, dessen Wände von Spiegeln bedeckt sind, steht eine Soundbank in Form eines Technics-DJ-Plattenspielers. Darauf sind einzelne Hymnen der Loveparade-Ära abspielbar. Ein Blick an die Decke zur modellierten Siegessäule und auf Fotos von der Loveparade zeigt die Ausmaße des Technozugs. Entlang des Raums wird die Entwicklung der Loveparade skizziert. Unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ trafen sich 150 Menschen zu der ersten Loveparade. Das kleine Treffen entwickelte sich zu einem Massenspektakel mit 1,5 Millionen Teilnehmern. „Berlin erlebte einen Imagewandel von der grauen Maus zur Partymetropole“, sagt Jörn Kleinhardt, der Kurator des Raumes.
Mitkurator Jörn Kleinhardt
Zwischen den lauten Bässen, Bildern bunt bemalter Mauerteile und Gesichtern von feiernden Menschen verblassen die Schattenseiten der Stadtgeschichte. Der Raum „Fear the Wall“ mit dem Grauen im Todesstreifen zeigt sie ansatzweise. An einer Wand hängen 140 Kalaschnikow-Attrappen, die auf den Betrachter gerichtet sind. Beklemmung macht sich breit. Für den Besucher ein Bruch mit der Leichtigkeit, die im Rest der Ausstellung vermittelt wird.
Direkt gegenüber finden sich in weißer Schrift die Namen der am Todesstreifen getöteten Bürger sowie die der im Dienst umgekommenen DDR-Soldaten. Für jedes Opfer gibt es eine Pistole. Mit dem Smartphone sind Kurzbiografien der Personen abrufbar. „Hier soll daran erinnert werden, dass die Mauer kein Spaß war, sondern dass Menschen erschossen wurden“, sagt Stefan Wolle, Kurator dieses Raums und wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums.
Das bleibt allerdings einer der wenigen Irritationsmomente in einer Schau, die sich zu selten von den Oberflächenphänomenen dieser Zeit löst.
„Nineties Berlin“, Alte Münze, Molkenmarkt 2, bis Februar 2019, tgl. 10 – 20 Uhr
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