Ratschlag von Mutti: „Fragen kostet nichts“
Es gibt Fragen für Anfänger und Fragen für Fortgeschrittene. Dank ihrer Mutter ist unsere Autorin Profi. Fragen gibt ihr Vertrauen in ihre Mitmenschen.
Ü ber den Gang gelehnt schaue ich den Mann auf Platz 03C flehend an. „Würden Sie Ihren Platz mit mir tauschen? Ich würde gerne neben meiner Freundin sitzen“, frage ich und schiebe hinterher: „Ich habe so Flugangst.“ „Nein!“, er setzt sich den Kopfhörer zurück aufs Ohr und schließt die Augen. Die Frau links neben mir will auch nicht tauschen, sie hat extra den Platz am Gang gebucht. Beim Check-in waren mir die 20 Euro für gemeinsame Sitze zu teuer.
Wenn man zusammen bucht, warum darf man dann nicht zusammensitzen? Aber jetzt werde ich unruhig, ich hasse fliegen. Ich kann auf keinen Fall allein sitzen. Die Flugbegleiterin klickt schon die Gepäckfächer zu.
Fragen kostet nichts. Mit diesem Credo bin ich aufgewachsen. Ich glaube, meine Mutter hat keine Phrase so oft benutzt. Dicht gefolgt von „Wir sind nicht aus Zucker“, wenn sie wieder bei Eisregen spazierengehen wollte. Wenn ich zögerlich war, mich etwas nicht getraut habe, sagte sie: Fragen kostet nichts. In ihrer Stimme lag so viel Elan, dass ich nicht anders konnte, als zu fragen. So mache ich es noch heute.
Es gibt Fragen für Anfänger:innen: nach dem Weg fragen, die Kollegin um Hilfe bitten oder die Pizza Funghi mit doppelt so vielen Pilzen bestellen. In Restaurants mit einem QR-Code zum anonymen Bestellen trotzdem fragen, welches Gericht denn das Beste ist.
Fortgeschrittene können zum Beispiel den Kundenservice löchern. Ich fragte zuletzt, ob ich die elektrische Zahnbürste auch ein zweites Mal umsonst austauschen kann, ob es normal ist, dass der Pullover so eine schlechte Qualität hat. Ob ich das Expressporto wirklich zahlen muss, wenn der Versand über eine Woche gedauert hat. Jedes Mal war ich erfolgreich – und diese Fragen muss man sogar nur digital stellen.
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Kleine Frage, schöner Moment
Spannender wird es, wenn man eine Waschmaschine in einen Transporter hieven muss. Der halbe Meter zwischen Bordsteinkante und Ladefläche war für uns unüberwindbar. Wir konnten die Maschine kaum einen Zentimeter anheben. Also fragte ich einen vorbeilaufenden Mann, der nach regelmäßigen Besuchen im Fitnessstudio aussah, ob er anpacken kann. Er umarmte die Waschmaschine und stellte sie ins Auto, als hätte er einen Schuhkarton hochgehoben. Er sah zufrieden aus.
Am schönsten ist es aber, wenn man durch eine kleine Frage einen Moment mit einer fremden Person teilt. So wie neulich, als ich eine Frau an der Supermarktkasse fragte, ob ich vor darf. In ihrem Wagen türmte sich ein Wocheneinkauf, ich wollte nur einen Bund Petersilie bezahlen. „Klar“, sagte sie, „Sie haben ja nur die Blumen.“
Sie starrte das Grün in meiner Hand und musste wegen der Verwechselung laut lachen. Wer sagt, dass Petersilie nicht in eine Vase passt? Wir machten Witze. Ich bedankte mich bei ihr und ging beglückt aus dem Laden. Nicht weil ich schneller dran war, sondern weil es so eine nette Begegnung war. Zuhause stellte ich die Petersilie in ein großes Glas auf die Anrichte.
Fragen zu stellen gibt mir Vertrauen in die Mitmenschen, glaube ich. Dass dieses Prinzip in Reihe 3 des Billigfliegers an seine Grenzen stößt, will meine Freundin nicht hinnehmen. Sie ist mindestens fortgeschritten, hat schon als Kind die Bäckerin nach einer Streuselschnecke gebeten, wenn ihre Eltern nein sagten. Also fragt sie die Flugbegleiterin, ob noch zwei Plätze nebeneinander frei sind.
Wir dürfen ganz vorne mit extra viel Beinfreiheit Platz nehmen. Und ich kann ihre Hand beim Start fest drücken.
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