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Rationalität und CoronaVerlust der gemeinsamen Basis

In der Pandemie zeigt sich, dass das Reservoir an Gemeinschaftsgefühlen rasch erschöpft ist. Das gilt auch für die Protestierenden.

Coronaleugner demonstrieren auch im Auto Foto: Christian Mang

S owohl das Exzessive, das manch einem Coronademonstranten anhaftet, als auch die Rechtsextremen, die dabei mitmarschieren – gerade diese Mischung ruft die Kommentatoren auf den Plan. Sie schütteln den Kopf und fragen: Was ist das Gemeinsame all dieser Leute? Ist es das Virus, das diese unterschiedlichen Menschen zu einer Protestmasse verbindet?

Erst kürzlich meinte ein Kommentator, dass dem nicht so sei. Nicht das Virus sei das Verbindende. Was all diese unterschiedlichen Haltungen vereint, sei vielmehr der Verlust der gemeinsamen Basis. Eine hübsche Paradoxie. Was aber ist diese „gemeinsame Basis“, die da verloren ging? Gemeint war: das rationale Weltbild, das auf Wissenschaftlichkeit beruhe. Dieses würde die Basis der Demokratie bilden. Was im Umkehrschluss bedeutet: Verlässt man diese Basis, dann ist auch die Demokratie in Gefahr. Da ist wohl etwas dran und das lässt sich auch vielerorts beobachten und bestätigen. Aber man sollte bei solch einem Befund eines bedenken: Die Zeiten, wo die Demokratie fest auf dem Boden der Aufklärung stand, sind (so es sie je gegeben hat) längst vergangen.

Wir mögen jetzt überrascht und verschreckt sein angesichts der Differenzen, die Corona als gesellschaftliches Phänomen sichtbar macht. Angesichts der Vehemenz, mit der sich diese Differenz äußert. Angesichts auch des unerwarteten Ausmaßes an Irrationalität, das da auftaucht. Tatsächlich aber gibt es eine Entwicklung, die schon lange vor der Pandemie nicht nur die Aufklärung infrage gestellt hat, sondern vor allem den Gedanken einer „gemeinsamen Basis“.

Also den Gedanken einer rationalen Grundlage, auf die alle verpflichtet werden können. Oder sich selbst verpflichten. Haben wir nicht längst den Gedanken verabschiedet, dass Gesellschaft überhaupt eine gemeinsame Grundlage hat oder braucht? Haben wir diese Vorstellung nicht längst aufgegeben?

Genauer gesagt: Rationalität als allen gemeinsame Basis war immer eine Fiktion. Aber es war die Fiktion, die für eine demokratische bürgerliche Gesellschaft notwendig war. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte aber geht in eine andere Richtung: Wir haben Gesellschaften, die nicht einmal mehr die Fiktion eines solchen gemeinsamen Bodens haben. Oder brauchen.

Bedürfnis nach Konformität

Aus Sicht der Macht ist die Gesellschaft nicht mehr auf konformes Verhalten geeicht – deren Name für „gemeinsame rationale Basis“. Aus neoliberaler Sicht hat die Gesellschaft „kein unbegrenztes Bedürfnis nach Konformität“. Sie kann mit einer gewissen Rate an Abweichungen leben. Sie braucht kein umfassendes Disziplinarsystem mehr. Das schrieb ausgerechnet der Theoretiker der Disziplinen, Michel Foucault. 1979. Damals mag das befreiend geklungen haben.

Aus Sicht der Gesellschaftsmitglieder stellte sich diese Flucht aus der Fiktion einer gemeinsamen Realität und einer gemeinsamen Rationalität anders dar: Was als Traum begann, als Traum, der Gesellschaft zu entfliehen, wurde immer mehr zu dem Versuch, sich überhaupt nicht mehr mit der gesellschaftlichen Ordnung zu identifizieren. Es gab also einen kollektiven Abschied aus einer Gesellschaft als Gemeinsamkeit. Ein Abschied, der eben auch die „gemeinsame Basis“ des rationalen Weltbilds betraf. Als letzte gesellschaftliche Gemeinsamkeit blieb, dass es keine Gemeinsamkeiten gibt. Das teilen wir. Aber es verbindet uns nicht.

Das mag bei normalem Betrieb ein Stück weit funktionieren. In Pandemiezeiten ist das gänzlich unbrauchbar. Denn da braucht es alle Arten von Gemeinsamkeit, und alle Arten von Rationalität, deren man habhaft werden kann. Wissenschaftliche, gesellschaftliche, politische. Und es zeigt sich, dass dieses Reservoir ziemlich erschöpft ist. Weder Rationalität noch Gemeinsamkeit sind ausreichend vorhanden.

Die Demos aber, ebenso wie all die Irrationalitäten, die nunmehr auftauchen, starten nicht von einer „gemeinsamen Basis“, die sie verlassen. Man könnte eher sagen: Sie werfen uns unsere eigene Botschaft in verkehrter Form zurück.

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4 Kommentare

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  • Mal davon ab. Inwieweit auch eine demokratisch verfaßte Gesellschaft.



    Immer auch von Anteilen der Irrationalität getragen wird.

    “ Die Demos aber, ebenso wie all die Irrationalitäten, die nunmehr auftauchen, starten nicht von einer „gemeinsamen Basis“, die sie verlassen. Man könnte eher sagen:



    Sie werfen uns unsere eigene Botschaft in verkehrter Form zurück.“ Ach was!

    Ihr “ein Stück weit“ - WIR & die ANDEREN! Gellewelle! Doch Doch - But!



    Sorry. Damit kündigen doch gerade Sie - wehrte Frau Isolde Charim.



    In Ihrer leicht rudimentären Gedankenführung knapp unterm Boulevard. Newahr.



    Erst das Unterpfand der Demokratie (Karlsruhe!!) - gerade Schlands!



    Nämlich - Demonstrations- & Meinungsfreiheit wohlfeil & negligable auf.



    Nothing else - Mit Verlaub.

    kurz - Denn. Sie verfolgen im autoritären Mainstream unser zunehmend konservativ-reaktionär grundierten Politikaster - beispringend ein Großteil der Medien einschl. taz - ja ja - ein rollback! Und zwar deutlich hinter die Intensionen der Mütter & Väter des Grundgesetzes & dieser Verfassung - GG - selbst.



    Das mag Ihnen in Ihrer freihändigen Herleitung Ihrer Befunde & Feststellungen nicht sogleich bewußt sein. Gellewelle. K



    Ist aber lediglich das naheliegende Resultat Ihres Ansatzes.



    Philosophie - ist ja bekanntlich das Suchen einer schwarzen 🐈‍⬛ in einem schwarzen Raum. Die nach aller Wahrscheinlichkeit nicht da ist - 🤫 -



    Hingegen aber - Liegt es Nahe. Ja ist unabweisbar zwingend -



    Sich als Folie zur Demokratie & Republik genau deswegen - sich mit der jeweiligen Verfassung im formellen & materiellen Sinne zur Erdung des luftigen philoRaumes zu befassen! Gell.



    Das. Liegt doch mehr als Nahe. Zumal wenn frau einem Land verbunden ist.



    Das mit Hans Kelsen einen der profundesten staats&völkerrechtlichen



    Denker sich zurechnen kann.



    Mag Österreich - vllt gerade deswegen;) - mit ihm & seinen “Früchten“ - 🤫 -



    Sich - Nicht immer leicht getan haben & in Wahrheit auch tun! - 🧐 -

    Soweit mal

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Da möchte man Marx, den Vater des Leninismus, Stalinismus und Maoismus, zitieren:

    „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“

    Und dann kommt es dazu, daß der Mensch zunehmend virtuell gesellschaftlich unterwegs ist. Dann bestimmt ein kollektives Bewußtsein das Sein. Da dieses kollektive Bewußtsein nicht mehr an eine rationale Welt gekoppelt ist, wird es immer Irationaler und voila, wir sind wieder in voraufklärerischen Zeit.

    Leute, baut wieder mehr Gemüse selbst an, zimmert Tische und ihr kommt wieder auf der Erde an. Handarbeit würde allen gut tun. Auch den Bürgerlichen.

  • ich lese hier nur "rationale Basis", aber die moralische Basis ist das Verbindende in allen Kulturen. Aber dieses Wort hört sich einfach nicht mehr schick an.

    • @lulu schlawiner:

      Danke. anschließe mich.



      Habe selten einen derart intellektuell schmalbrüstigen Betrag gelesen.



      Suboptimal - 😱 -



      & Mit Verlaub - 🧐 -



      Als Trägerin des Paul Watzlawicks Ringes - könnte man ganz ruhig sagen:



      “Behalten Sie doch Ihren blöden Hammer!“ - 👹 -