Rassistisches Motiv gewürdigt: Fast vier Jahre Haft für Messerangriff in Schwerin
Ein Deutscher hatte versucht, einem Algerier in den Hals zu stechen, und diesen schwer verletzt. Offenbar suchte er gezielt nach Migranten.
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W egen eines Messerangriffs auf einen algerischen Flüchtling hat das Schweriner Amtsgericht den gelernten Bankkaufmann Jens L. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Vertreterin der Nebenklage lobte, „dass die rassistischen Beweggründe des Täters in der Verhandlung deutlich herausgearbeitet“ und strafverschärfend gewürdigt worden seien.
L. war am 14. Juni mit zwei Messern durch die Schweriner Innenstadt gezogen. Wahllos ging der Deutsche auf Menschen los, die er für Migranten hielt. Auf dem Marienplatz sprach L. den Algerier an. Der Geflüchtete verstand ihn nicht und bat einen seiner Begleiter, für ihn zu übersetzen. In dem Moment zog L. eines der Messer und versuchte, sein Opfer an der Kehle zu treffen. Der Geflüchtete konnte aber etwas zurückweichen, die Klinge des Küchenmessers traf nicht den Hals.
Das Amtsgericht folgte mit seinem Urteil der Forderung der Staatsanwaltschaft. Für eine menschenverachtende Motivation hinter dem Angriff sprach aus Sicht des Richters, dass der 46-Jährige den Schwerverletzten und dessen Begleiter nach der Attacke angegrinst habe. In diesem Moment sei nicht absehbar gewesen, dass der Angegriffene überleben würde, betonte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung.
In der Verhandlung wurden auch Chatnachrichten von L. berücksichtigt, die für ein rassistisches Motiv sprachen. L. hatte seiner damaligen Partnerin die Tat angekündigt. Einem psychiatrischen Gutachten zufolge soll L. sich gekränkt gefühlt haben, weil seine Partnerin früher mit einem Nigerianer verheiratet war.
Bei dem Urteil berücksichtigte das Gericht strafmildernd, dass L. psychisch erkrankt ist und bei der Tat stark alkoholisiert war. Er hatte sich zudem mit einer Zahlung von 2.000 Euro an sein Opfer um einen Ausgleich bemüht.
„Für meinen Mandanten war es sehr wichtig, dass seine Auseinandersetzung mit den schwerwiegenden Folgen endlich zur Sprache kommen konnte“, sagte Karin Hildebrandt, die den Algerier als Nebenkläger vertrat.
Nach Paragraf 46 des Strafgesetzbuches seien rassistische und auch andere menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, sagt Robert Schiedewitz, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern (Lobbi). Dass die Anwendung des Paragrafen „endlich Einzug in die juristische Praxis“ finde, sei ein wichtiger Schritt.
Die Politik müsse jedoch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber Betroffenen rassistischer Gewalt nachkommen, die keinen festen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben und denen die Abschiebung drohe, sagt Schiedewitz. „Es darf nicht sein, dass eine Politik, die Menschen nicht vor rassistischen Angriffen schützen kann, anschließend durch bürokratische Maßnahmen den Willen der Täter unterstützt.“ Ein humanitäres Bleiberecht sei dringend geboten, sagt Schiedewitz.
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