Rassistischer OEZ-Anschlag in München: Eine Stadt beginnt sich zu erinnern
Die Angehörigen warten seit 2016. Nun eröffnet am Münchener Marienplatz der erste Erinnerungsraum für die neun Getöteten des OEZ-Attentats.
Die Familien der neun Getöteten des rechtsterroristischen Anschlags vom 22. Juli 2016 und ihre Unterstützer*innen sind hier, um den ersten Erinnerungsraum für die Opfer der Tat zu eröffnen. „München erinnern!“ steht in Großbuchstaben im prächtigen Torbogen des Raums. An den Wänden hängen schwarz-weiß gezeichnete Porträts der neun Opfer des Attentats: Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabina S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ.
Unter den Porträts liegen Fußballpokale, Teddybären und Fotos der Verstorbenen. Die Mutter von Can Leyla, Sibel Leyla, sagt: „Uns ist es wichtig hier, mitten in der Stadt, die Gesichter unserer Kinder zu zeigen. Denn es waren Münchner Kinder.“
Als Namen für die Initiative haben Angehörige und Unterstützer*innen bewusst „München erinnern!“ gewählt. „Wir wollen, dass München in der langen Reihe rechtsterroristischer Anschläge in Deutschland – Oktoberfest, Solingen, Mölln, NSU, Kassel, Halle, Hanau – endlich nicht mehr vergessen wird“, sagt Patrycja Kowalska, eine Mitorganisatorin der Initiative.
Zu lange nicht als Rechtsterrorismus benannt
Dass der Anschlag vom 22. Juli 2016 in München lange Zeit nicht den richtigen Platz im kollektiven Gedächtnis fand, dafür tragen Behörden und Medien eine Mitverantwortung. Über drei Jahre hielten die bayerischen Ermittler an „Rache wegen Mobbing“ als Hauptmotiv des Täters fest – trotz dessen Mitgliedschaft in rechtsextremen Chatgruppen, einem rassistischen Manifest und offen zur Schau gestellter Bewunderung für den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik. In den Medien wurde der Fall vorrangig als unpolitischer Amoklauf eines psychisch kranken Täters diskutiert.
Es ist eine Mischung aus Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen, die sich bei türkischem Tee, Nudelsalat und Kuchen am Münchner Rathaus versammelt hat. Auch Überlebende und Angehörige des rechten Terrors in Halle und Hanau sind gekommen.
Die 28-jährige Şahika Tetik kennt die Angehörigen nicht persönlich. Trotzdem ist sie heute mit zwei Freundinnen hier, um zu zeigen, dass die Familien nicht allein in ihrer Trauer seien, sagt sie. Nach dem Anschlag in Hanau begann sie sich vermehrt mit der Geschichte von rechtsterroristischen Anschlägen in Deutschland zu beschäftigen. Dass es in München immer noch nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sei, der sich zum Beispiel an den Jahrestagen mit den Familien erinnere, mache sie traurig.
Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, Dieter Reiter, ist an diesem Sonntag nicht anwesend. Ihn vertritt die grüne Stadträtin Nimet Gökmenoğlu. Sie weiß, dass es aus den Reihen der Angehörigen Kritik am Bürgermeister gibt. Seit langem fühlen sie sich vom Bürgermeister nicht ausreichend gehört, nicht genug unterstützt. Aber Gökmenoglu sieht auch, wie viel die Stadt bereits getan hat, in Form von neuen Gutachten, Gedenkveranstaltungen, des Erinnerungsraums und weiteren Unterstützungsangeboten. „Dass es nicht genug ist, kann ich aber trotzdem verstehen“, sagt Gökmenoğlu.
In den nächsten Monaten will die Stadt sich intensiv bemühen, einen dauerhaften Raum für Familien und die Initiative zu finden. Denn so viel Aufmerksamkeit die Lage am Marienplatz auch bietet, der Wunsch der Familien ist ein Raum in Moosach, ihrem Heimatviertel.
Anschlag führt Doppelexistenz in der Erinnerung
Aus Gökmenoğlus Sicht führt der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in der Erinnerung vieler Münchner*innen eine Doppelexistenz. Einerseits könne sich fast jede Person daran erinnern, wo sie an dem Tag war, wie sie die Stunden der Angst erlebte, in denen es sich anfühlte, als würden überall in der Stadt gleichzeitig Anschläge verübt. Andererseits sei das rassistische Motiv der Tat immer noch nur den wenigsten bewusst. „Diese Erfahrung und dieses Wissen müssen wir in unserer Erinnerung verknüpfen“, sagt Gökmenoğlu.
Als Gisela Kollmann ans Mikro tritt und ihre Rede beginnt, zittert ihre Stimme kurz. Sie ist die Großmutter von Giuliano Kollmann. Jahrelang habe sie dafür gekämpft, dass der Anschlag als rechtsterroristische Tat anerkannt wird und ihr Enkelsohn Giuliano in Erinnerung bleibt. Die Schaffung dieses Ortes bedeute für ihre Seele ein wenig Ruhe. „Jedes Mal freue ich mich, wenn Menschen hier am Fenster stehen bleiben und sich informieren“, sagt Kollmann. „Wir laden alle ein, mit uns in diesem Raum zu erinnern.“ Die Angehörigen wollen weiter dafür kämpfen, dass ihre getöteten Kinder, Enkelkinder, Schwestern und Brüder nicht in Vergessenheit gerieten. Straßenumbenennungen, Ehrengräber und eine Schließung des Tatort-McDonalds – das sind die nächsten Ziele der Initiative.
Noch bis zum 31. Juli steht der Raum in der Dienerstraße für “München erinnern!“ zur Verfügung. Die Familien und Unterstützer*innen wollen Schulklassen in den Raum holen, als Angehörige von ihren Erfahrungen erzählen und gemeinsam erinnern. Noch sind es nur einige wenige Menschen, die die Initiative dabei unterstützt, den Raum möglichst oft zu öffnen. Aber sie hoffe, dass es noch mehr werden, sagt Sibel Leyla.
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