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Rassistische Brandstiftung in SolingenWurde das Motiv vertuscht?

Im Prozess zum Anschlag auf ein von Mi­gran­t:in­nen bewohntes Haus mehren sich Hinweise auf rechtsextremes Motiv. Anwältin klagt die Polizei an.

Der Tatort: Ausgebranntes Wohnhaus in Solingen im März 2024 Foto: Christoph Reichwein/dpa

Wuppertal taz | Im Prozess um Brandstiftung im nordrhein-westfälischen Solingen und den Tod einer Familie aus Bulgarien hat Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız Strafanzeige gegen Wuppertals Polizeipräsidenten Markus Röhrl gestellt. Es bestehe der Verdacht, dass der ranghöchste Polizist der Region Bergisches Land „wichtige Beweismittel im Verfahren vorenthalten“ habe, sagte Başay-Yıldız der taz am Freitag im Landgericht Wuppertal.

Die Anzeige richte sich außerdem gegen „drei weitere Beamte“, die bei der Durchsuchung des Wohnhauses des mutmaßlichen Täters dabei waren – „und weitere, mir namentlich nicht bekannte Beamte“, erklärte die Anwältin.

Polizeipräsident Röhrl hatte gemeinsam mit seinen Beamten knapp zwei Wochen nach der Tat einen heute 40-Jährigen Verdächtigen präsentiert – und erklärt, Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv gebe es nicht. Dies seien „gute Nachrichten“, die eine „große Erleichterung“ bedeuteten. „Der Brandanschlag hat schlimme Erinnerungen an Solingen 1993 und Verunsicherung hervorgerufen“, sagte Röhrl am 10. April 2024.

Der Polizeipräsident bezog sich dabei auf den von vier Rechtsextremen vor knapp 32 Jahren am 29. Mai 1993 verübten Brandanschlag auf das Solinger Haus der türkischstämmigen Familie Genç. Dabei waren fünf Frauen und Mädchen getötet und mehr als ein Dutzend weitere Familienmitglieder zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.

Im jetzt laufenden Prozess aber zeigt sich: Die Entwarnung der Wuppertaler Polizei war womöglich vorschnell und politisch motiviert. Denn erst auf Drängen von Nebenklagevertreterin Başay-Yıldız tauchen immer mehr Indizien auf, die sehr wohl auf einen rechtsextremistischen Hintergrund des Angeklagten Daniel S. schließen lassen können. So wurden im Gerichtssaal am Freitag erstmals Bilder neonazistischer Literatur gezeigt, die im Wohnhaus des mutmaßlichen Täters gefunden wurden, darunter Hitlers für den Nationalsozialismus grundlegende Propagandaschrift „Mein Kampf“.

„Skandalöse Ermittlungen“

Außerdem fanden sich Pamphlete, die offenbar Hitlers langjährigen Vertrauten Hermann Göring, dessen erste Frau Carin und die nationalsozialistische Wehrmacht verherrlichen. Auch auf einer bei S. vorgefundenen Festplatte, deren Inhalt Anwältin Başay-Yıldız erst in diesem März zur Verfügung gestellt wurde, gab es 166 hetzerische Bilddateien sowie menschenverachtende und beleidigende Kommentare gegenüber schwarzen Menschen und Jüd:innen. Und an der Wand der Garage des Hauses hing offenbar ein Auszug des als volksverhetzend eingestuften „Lied eines Asylanten“.

Belastend scheint auch die Handy-Kommunikation des Angeklagten: Zwar hat der das Gerät wohl selbst vernichtet – doch ein mit dem Handy verknüpftes Google-Konto, das Başay-Yıldız auswerten konnte, zeige, dass der im Nationalsozialismus gern gehörte Schlager wie „Erika“, aber auch das „Lied der Wehrmacht“ konsumiert habe, so die Nebenklage-Vertreterin.

Deren bitteres Fazit: Mehr als „skandalös“ seien die Ermittlungen der Polizei. Vielmehr sei „die Öffentlichkeit bewusst getäuscht“ worden, als „der Polizeipräsident behauptete, dass es sich nicht um ein politisches Motiv handelte“ – dieser Eindruck habe „offensichtlich um jeden Preis“ vermieden werden sollen.

Verärgert und konsterniert reagierte auch der Vorsitzende Richter Joachim Kötter. „Das stößt bitter auf“, erklärte er am Freitag in der laufenden Gerichtsverhandlung. „Ich muss Ihnen zugestehen“, sagte er zu der Anwältin, „dass das nicht passieren darf.“ Schließlich werde sonst bei einer gerichtlich angeordneten Durchsuchung „jeder Abstellraum akribisch untersucht“.

Vorwurf: vierfacher Mord und 21-facher versuchter Mord

Die Verteidigung machte dagegen deutlich, dass sie bei Ihrer bisherigen Linie bleiben will: Danach könnte das belastende rechtsextreme Material auch der Lebensgefährtin des Angeklagten oder dessen Vater „zugeordnet werden“. Auch die Staatsanwaltschaft hatte bisher argumentiert, Hintergrund der Brandstiftung sei ein Streit mit der Eigentümerin des angezündeten Hauses, in dem der Angeklagte selbst einmal gewohnt hat. Anwältin Seda Başay-Yıldız beantragte dagegen, dass das gesamte belastende rechtsextreme Material im laufenden Prozess bewertet wird. Weitere Nebenklage-Vertreter schlossen sich ihren Anträgen an.

Schließlich geht es in dem Prozess nicht nur um die vier Toten der aus Bulgarien stammenden Familie – die Eltern wurden nicht einmal 30 Jahre alt, ihre Kinder waren erst 2021 und 2023 geboren worden. Der Angeklagte muss sich auch wegen Mordversuchs an weiteren 21 Menschen verantworten. Darunter war auch ein Paar, das mit dem 18 Monate alten Sohn aus dem dritten Stock sprang, nachdem das hölzerne Treppenhaus des von ihnen mit bewohnten Altbaus nach Entzündung von mindestens einem Liter Benzin wie eine Fackel gebrannt hatte.

„Meine Mandanten“, sagte Anwältin Başay-Yıldız deshalb in dem Prozess, in dem das Urteil ursprünglich schon im März gesprochen werden sollte, „wollen Aufklärung“ – egal, wie lange es dauere. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt. Eigentlich sollte im April das Urteil fallen, aber nun werden weitere Termine angesetzt.

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7 Kommentare

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  • Mittlerweile ist klar, dass es kein rassistische Motiv gab. Der Vermieter hatte dem Täter die Wohnung gekündigt, der wollte sich rächen.

  • Manchmal möchte ich schreien, über die Schlampereien (schlimm) oder gewollte Unterdrückung (schlimmer und selbst kriminell) von Beweismitteln durch die Untersuchungsbehörden Polizei und Staatsanwaltschaft. Hier geht sehr viel Vertrauen verloren.



    Parolen an der Wand übersehen - sind die blind? Auswertungen von Computer und Telefon, die erst nach einem Jahr der Nebenkläger bekannt gegeben werden, zeugt von bewusster Beweisunterdrückung.

  • Hat der Polizeipräsident gelogen oder wurde er selbst von seinen Untergebenen getäuscht? Welche personellen Konsequenzen folgen daraus? Kann jawohl nicht sein, dass das nun für Führende Ermittler und den Präsidenten überhaupt keine Konsequenzen hat. Mit so etwas kann man jawohl nicht im Amt bleiben, sei es Böswilligkeit (er wusste es)) oder Schlamperei (er hat seine Beamten nicht im Griff) seitens des Präsidenten. Disziplinarverfahren, Freistellung, Kündigung. Ein saftiges Bußgeld sowie Sozialstunden in einer Einrichtung, mit Bezug zu Migration fänd ich auch gut für die Akteure, die versucht haben die rechte Gesinnung des Täters zu vertuschen.



    Wir brauchen endlich eine unabhängige Stelle, die die Politei kontrolliert, damit sie als Ganzes sowie einzelne Beamten auch vor Gericht sanktioniert werden kann. Die Polizei scheint so sehr von Rechtsextremen durchsetzt zu sein / wir müssen endlich dagegen vorgehen. Das kann doch so nicht weitergehen! Die soll die Verfassung eigentlich schützen und nicht die Verfassungsfeinde.

    • @Kofi Camino:

      das Grundproblem ist doch, dass zuviele Linke sich zu "fein" sind, zur Polizei zu gehen. Ähnlich bei der Bundeswehr. Zu Zeiten des Dienstpflicht war das Personal durchschnittlich noch viel ausgewogener.

  • Es ist ja auch möglich, dass der Grund für die Brandstiftung tatsächlich in einem Streit mit der Eigentümerin des Hauses liegt, aber dass der Tod der Bewohner in Kauf genommen wurde, auf einem rechtsextremen Weltbild beruht.

    • @Francesco:

      Wer das Treppenhaus anzündet, will die Bewohner in de oberen Etage umbringen.

  • Total überraschend.