Rassismuskritischer Krimi von Liza Cody: Nichts ist, wie es scheint
Ihre Nachbarn verdächtigen „Miss Terry“ des Kindesmords, weil sie nicht weiß ist. Auch die Polizei und ihre Verwandten sind ihr auf den Fersen.
Sie ist die Beste. Wie sonst niemand in der weiten Welt des Kriminalromans schafft Liza Cody es, hochgradig unterhaltsame Genreliteratur zu schreiben, in der beiläufig die großen und kleinen Übel der (britischen) Gesellschaft verhandelt werden. Ihr Verfahren ist einfach, aber wirkungsvoll: Cody ist eine Meisterin der Figurenperspektive. Für die Dauer einer Romanlektüre beamt sie uns tief in den Kopf ihrer mitunter verpeilten, aber immer eigensinnigen Heldinnen.
Nita Tehri, die Protagonistin von „Miss Terry“, Liza Codys eben auf Deutsch erschienenem, vorletztem Roman, ist aber weder eine Underdogfigur, noch steht sie außerhalb der Gesellschaft (anders als Eva Wylie, die Catcherin, oder die obdachlose Protagonistin in Codys „Lady Bag“). Nita ist Lehrerin, besitzt eine Eigentumswohnung und verfügt über eine Lebens- sowie eine Hausratversicherung. Doch mit den geregelten Verhältnissen ist Schluss, als ein Bauschuttcontainer in ihrer Straße aufgestellt wird.
In dem Container soll die Leiche eines nicht sehr hellhäutigen Babys gefunden worden sein; und als einzige dunkelhäutige Person in der Straße gerät Nita in den Fokus der Polizei. Nachbarn rücken von ihr ab, in der Schule gibt es Gerüchte, und bevor Nita weiß, wie ihr geschieht, ist sie vorläufig von der Arbeit suspendiert.
Die Turbulenzen der Handlung, die sich an mehreren Fronten gleichzeitig entwickelt, sind zu einem nicht unbeträchtlichen Teil der Tatsache geschuldet, dass Nita die ungute Tendenz hat, zu viel Vertrauen zu Männern zu entwickeln, die sich den Anschein geben, sie beschützen zu wollen. Auf die harte Tour muss sie lernen, dass nichts ist, wie es scheint – und dass es mit ihrer Menschenkenntnis offenbar nicht weit her ist.
Liza Cody: „Miss Terry“. Aus dem Englischen von Grundmann und Laudan. Argument Verlag, Hamburg 2016, 320 Seiten, 17 Euro
Der ältere Nachbar mit den netten Augen ist in Wahrheit alles andere als nett, wogegen der bärbeißige Polizist, der zunächst so ruppig auftrat, sich als einfache, aber gute Seele entpuppt. Und ausgerechnet der Mann, der Nita so verstört hat, weil er tagelang in einem Auto vor ihrem Haus sitzt, scheint endlich die breite Schulter zum Anlehnen bereitzustellen, auf die Nita insgeheim gewartet hat. Oder etwa doch nicht?
Dass zwischendurch an einer anderen Stelle der Stadt ein Mord passiert, ist fast nur eine Fußnote des Geschehens. Die Person, die ihn begangen hat, ist jedenfalls nicht diejenige, die das Baby in den Container geworfen hat, und die wiederum ist nicht identisch mit jener, die eines Nachts versucht, das Haus anzuzünden, das Nita gemeinsam mit einem im Erdgeschoss lebenden schwulen Paar bewohnt. Diese beiden stehen Nita im Übrigen treu zur Seite; und weil ja, wo Gefahr ist, auch das Rettende wächst, findet sie in all dem Schlamassel sogar noch ein paar neue Freunde. Das nützt allerdings wenig, nachdem im Zuge der polizeilichen Ermittlungen ihrer Familie zu Ohren gekommen ist, wo sie wohnt. Denn Nitas männliche Verwandte, allen voran ihr Vater, sind hinter ihr her, weil sie nach traditioneller Auffassung die „Familienehre beschmutzt“ haben soll. Nur ihr kleiner Bruder hält zu ihr.
Virtuos verschränkt Liza Cody verschiedene thematische Fäden miteinander und lässt sie in einen dramatischen Höhepunkt münden. Daneben gelingt ihr wieder einmal ein sehr eindringliches Porträt einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Anders als andere Cody-Heldinnen ist Nita eine Person, die ihre eigenen Schwächen und kulturellen Prägungen reflektiert, ohne dass es ihr gelingt, neuerliche Fehler zu vermeiden. Dass der psychologische Realismus, der hinter diesem eindrucksvollen Frauenporträt steht, auch den Nährboden bildet, auf dem sich die Handlung erst so richtig fruchtbar entwickeln kann, ist der Clou des Ganzen. Das ist die große Kunst der Liza Cody.
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