Rassismus im spanischen Fußball: Ein stolzer Gitano unter Schock
Fußballtrainer Enrique Sánchez Flores entstammt einer der berühmtesten Romafamilien Spaniens. Vor rassistischen Anfeindungen ist auch er nicht gefeit.
Sánchez Flores antwortete in der anschließenden Pressekonferenz sichtlich betroffen: „Ich bin restlos stolz auf jede Pore meiner Adern, die Gitanoblut atmet“, sagte er. „Aber das eine ist, Gitano zu sein, oder es in Teilen zu sein – und eine ganz andere, damit rassistisch beleidigt zu werden.“
Das Wort „gitano“ an sich gilt in Spanien nicht als abwertend, sondern wird von den Roma des auf der Iberischen Halbinsel angesiedelten Caló-Volks auch zur Selbstbeschreibung verwendet. Es ist abgeleitet von „Egipto“, weil man im Mittelalter dachte, das Volk sei aus Ägypten eingewandert. Über die genaue Anzahl der Caló in Spanien gibt es nur Schätzungen, weil die Verfassung eine Aufschlüsselung nach ethnischer Unterscheidung verbietet. Es wird von rund 750.000 Zugehörigen ausgegangen; jedenfalls handelt es sich um die mit Abstand größte Roma-Community Westeuropas und um die traditionsreichste Minderheit im Königreich. Der Flamenco, eines von Spaniens Identitätszeichen schlechthin, entspringt ihrer Kultur.
Die Tribünen-Trolle von Getafe richteten sich letztlich also mehr gegen das Eigene als gegen das vermeintlich „Fremde, Andere“. Die Verunglimpfungen ließ das umso mehr als „abnormal“ und „jämmerlich“ (Sánchez Flores) erscheinen.
Neues Phänomen
In den Erstligastadien waren sie bisher nicht überliefert, weder gegen andere Calós wie den 2008er-Europameister Dani Güiza – Spitzname: „El Gitano“ – oder den 2010er Weltmeister Jesús Navas noch gegen Sánchez Flores. Nur auf den Amateurplätzen waren sie schon immer zu hören. „Vielleicht muss so etwas mal einem sehr dicken Fisch, einem ganz großen Namen passieren, damit die Mächtigen dagegen vorgehen“, sagte nun der Sevilla-Trainer zur in Spaniens Profifußball derzeit grassierenden Welle rassistischer Beleidigungen. Aber welcher Fisch soll noch dicker sein als er?
Sánchez Flores kommt aus einer der berühmtesten Familien Spaniens, und das liegt nicht an seinem Vater, dem Ex-Real-Madrid-Profi Isidro Sánchez, oder an seinem Patenonkel, der Fußballlegende Alfredo Di Stéfano. Sondern an seinem „Gitano“-Zweig: seiner Mutter Carmen Flores, Sängerin und Schauspielerin, seiner noch berühmteren Tante Lola Flores und einer ganzen Künstlerdynastie, die in der dritten Generation von Schauspielerin Alba Flores („Haus des Geldes“) vertreten wird.
Folklore und Flamenco aus der andalusischen Stammregion der Calós spielte bei den Flores die Schlüsselrolle. Lola avancierte während der Franco-Diktatur zur Vorzeigekünstlerin der Nation. Gute Gitana, böse Gitanos: Während die Caló als Gruppe diskriminiert wurden, zu großen Teilen in Slums hausten und von der Guardia Civil legal einer Sonderbewachung unterzogen werden durften, firmierte sie als „Lola de España“ – so der Titel eines ihrer Lieder.
In einer ihrer späteren Fernsehrevuen interviewte sie auch mal ihren Neffen. Der junge Quique, Konfirmandenlook mit Anzug, Krawatte und Brille, erklärt: „Meine Mutter hat mir immer alle Freiheiten gelassen, zu tun, was ich gern wollte, und das war Fußball.“ Artig fügte er hinzu: „Neben Lernen natürlich.“
Enrique Sánchez Flores
Welle des Rassismus
In einem Interview von 1987 verriet der damalige Außenverteidiger des Valencia CF, dass ihm als Kind die Aufmerksamkeit durch die Tante eher peinlich war. Flamenco habe er zuletzt eher zwangsweise bei seiner Hochzeit getanzt. Sánchez Flores ging seinen Weg, wurde Nationalspieler, später Coach von Spitzenklubs wie Valencia und Atlético Madrid, mit dem er 2010 die Europa League gewann. In Perioden ohne Trainerbank blieb er als Fernsehexperte präsent. Immer zeichnete er sich dabei durch eine sehr ruhige Art aus und große Sachlichkeit in den Reflexionen.
Auch in Getafe ordnete er seine Traurigkeit in den breiteren Kontext ein. Am selben Osterwochenende wurde die Drittligapartie zwischen dem baskischen Verein Sestao River und dem Madrider Klub Rayo Majadahonda abgebrochen, nachdem der senegalesische Gästetorwart Cheick Sarr von den Heimfans verunglimpft wurde. Sein Team zog sich aus Protest in die Kabine zurück. Bei Getafe gegen Sevilla wiederum aktivierte der Schiedsrichter das Anti-Rassismus-Protokoll, als der argentinische Gästeprofi Marcos Acuña von den Rängen wiederholt als „Affe“ verhöhnt wurde. Getafe wurde mittlerweile mit einer Schließung der entsprechenden Tribünenblöcke für drei Partien bestraft.
Die Beleidigungen gegen Sánchez Flores wurden dabei – vorerst – noch gar nicht verhandelt. In seinem Interview von 1987 nannte Sánchez Flores den Umgang mit den Gitanos einen „klaren Fall von Rassismus“. Für sie gelte keine Chancengleichheit, „ihnen wird nichts zugetraut, man sieht nur Delinquenten in ihnen“. Sánchez Flores äußerte damals die Zuversicht, „dass das Land hinreichend kultiviert ist, um dieses Problem zu überwinden“. Knapp 40 Jahre später haben Sozialprogramme die Lage so weit verbessert, dass die meisten Slums abgerissen sind und die extreme Armut weitgehend verschwunden ist.
Aber am Ostersamstag in Getafe musste selbst ein prominenter Fußballtrainer aus einer populären Familie feststellen, dass es „in diesen Zeiten, wo es in so vielen Bereichen nach vorn geht“, auch Leute gibt, „die uns nach hinten ziehen, zurückwerfen, Dinge sagen, die außerhalb jedes Mindestrahmens des Zusammenlebens sind“. Und dass das sogar an Orten geschieht, die er für seine hielt.
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