Rassismus bei der Fußball-EM: Im Wartezimmer vor der Notaufnahme
Das Ankommen in Berlin nach der Europawahl ist ein bisschen seltsam. Die Stimmung ist scheiße. Was sollen bloß die Euro-Gäste von uns denken?
Z urück in Berlin nach fast zwei Monaten an der Adria (Ost), ist einer der ersten Sätze, die ich höre: „Deutschland ist tot.“ Es ist Dienstag vergangener Woche, der zweite Tag nach den Europawahlen, und der altlinke Alki, der die finale Diagnose stellt, sitzt vor einem Kreuzberger Kiosk, um ihn herum wuseln Expats, Touristen, Obdachlose, Dealer, Drogenkranke und Anwohner. „Guck dich doch um. Nur noch Drogen und Müll, und keinen interessiert’s“, lautet sein Befund.
In meinem nahe gelegenen Treppenhaus begegne ich am gleichen Tag einem Handwerker, der in einer Wohnung den Fußboden neu verlegt, und frage ihn, wie die Arbeit vorangehe, schließlich stehe die knapp 70-Quadratmeter große Wohnung ja nun auch schon anderthalb Jahre leer. „Wenn ich mir die Namen auf den Klingelschildern hier so angucke, ist meine Arbeit doch eh verlorene Liebesmüh“, antwortet er. – „Wie meinen?“, frage ich. – „Ich bin kein Rechter, hab nichts gegen Ausländer, aber wie die die Buden runterwohnen, das ist schon nicht mehr feierlich“, erwidert er.
„Die Wohnung, die sie da gerade renovieren, haben 30 Jahre lang Leute ‚runtergewohnt‘, die Müller, Meier, Altheinrich hießen“, kläre ich ihn auf. – „Ich will auch nicht sagen, dass die Deutschen alle super sind“, gibt der Handwerker mit Oberlippenbart schnell zu verstehen. – „Ich bin übrigens auch Ausländerin, sehe bloß nicht so aus“, geb ich ihm bekannt. – „Ist ja gut“, sagt er. „Und finden Sie das in Ordnung, wie Ihr Treppenhaus und Ihre Haustür aussehen?“
„Sie meinen, dass hier der Putz von der Wand fällt, Schimmelpilze in den Ecken wachsen und die Haustür kein ordentliches Schloss hat, weswegen sie immer wieder aufgebrochen wird und dann biodeutsche Junkies ins Treppenhaus kotzen? Fragen Sie mal den Vermieter, warum er nichts tut“. – „Würde ich auch nicht, hat ja eh keinen Sinn“, antwortet der kurz geschorene Handwerker.
Ich fordere ihn noch ein letztes Mal: „Wir können gern tauschen: Sie wohnen mal ein, zwei Monate meine Wohnung runter, und dann sprechen wir noch mal drüber, wer hier für was verantwortlich ist. Deal?“ Dankend lehnte der rassistische Handwerker ab.
Ein paar Meter weiter wanken zwei Drogenkranke auf zwei weitere zu, lallen unkontrolliert, versperren mir und einem Vater mit seinem kleinen Sohn den Weg, weil sie uns nicht bemerken. Nachdem wir passieren können, kaufe ich mir einen Kaffee. „Bald ist das hier vorbei“, kommentiert der Wirt die Szene. – „Wieso? Kommt der Zaun?“, frage ich ihn. – „Ach was. Die AfD kommt“, antwortet er. „Die werden damit aufräumen.“ – „Na ja, aber zu denen, die dann abgeräumt werden, gehören dann vielleicht auch Leute wie Sie und ich.“ – „Ich bin Türke, ja. Aber ich halte mich hier an die Gesetze, ich bringe meinen Teil ein, ich hab mir diesen Laden aufgebaut. Diese Leute da draußen machen nur alles kaputt, auch mein Geschäft.“
Eine Stimme, die keine allzu seltene Seltenheit mehr ist in diesem Land. Die ehemaligen Gastarbeiter aus Europa, ihre Kinder und Enkel schauen mit großer Skepsis, aber auch mit Rassismus und Abscheu auf Migranten aus Afrika und Asien.
Deutschland ist für viele Deutsche offenkundig ein Fall für die Notaufnahme. Eines aber ist bei meinem Ankommen seltsam abwesend: die Deutschlandfahne. An keinem Kiosk hängt, aus keinem Fenster weht eine. Erst am Freitag sehe ich eine klitzekleine an einem Autorückspiegel.
Ich bin sehr gespannt, was für ein Bild von diesem Land die europäischen Gäste haben werden, die dieser Tage in Deutschland ankommen und durch Springbrunnen, Grünanlagen und Kneipen wanken, pinkeln und winken werden. Werden sie Deutschland als freundlichen Gastgeber empfinden oder als Wartezimmer vor der Notaufnahme?
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