Rapper Jassin: „Ich hatte nie das Gefühl dazuzugehören“
Jassin rappt über seine Jugend in der ostdeutschen Provinz als Kind mit Migrationshintergrund. Aus seinen Texten spricht radikale Gesellschaftskritik.
Das Selbstbewusstsein, das der Nachwuchsrapper aus Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt heute ausstrahlt, hat er sich hart erarbeitet. In seinen Songs schildert er eindringlich den oft einsamen und schmerzhaften Selbstfindungsprozess, den er als Junge mit Migrationshintergrund in der ostdeutschen Provinz durchlief. Jassin, bürgerlich Jassin Awadallah, rappt zärtlich über Kummer und Frustration in der Kindheit und Jugend, über den Verlust von Freundschaften, das Aufwachsen als Trennungskind und den gesellschaftlichen Druck, als Junge keine Schwäche zeigen zu dürfen.
Im Velodrom bahnt sich der junge Künstler den Weg durch den Backstage-Bereich und lässt sich in einem der Zimmer auf die Couch fallen. Er trägt einen Nike-Trainingsanzug, unter dem Hoodie verschwinden seine schwarzen Haare. „Ich hatte nie das Gefühl dazuzugehören“, sagt Jassin.
In seinen Liedern rappt er vom Fußballverein „voller Rassistenkinder“, davon, dass sie eine Mannschaft waren, aber er nie Teil des Teams. „Ich habe mich immer zwischen den Gruppen bewegt“, sagt der Sohn eines ägyptischen Einwanderers. Weder zu den ausländischen noch den deutschen Kids habe er sich zugehörig gefühlt. „Jetzt kenne ich mich besser, weiß, was mir in Freundschaften wichtig ist, setze Grenzen und habe Menschen gefunden, die das respektieren“, sagt er.
Steile Karriere
Indem er Themen anspricht, die für heranwachsende Jungs oft noch als tabu gelten, trifft er den Nerv reflektierter Jugendlicher, die sich in seinen Texten wiederfinden. Erst im Frühjahr 2024 veröffentlicht Jassin seine ersten Musikvideos auf Instagram und Tiktok, die in kürzester Zeit viral gingen. Seine Fans reagieren gerührt auf die sozialkritischen und persönlichen Themen, die er in seiner Musik behandelt.
Im Mai erschien seine Debüt-EP, es folgte ein Auftritt bei einer HipHop-Eventreihe für Newcomer. Ende dieses Jahres tourt er bereits als Support-Act mit dem Moabiter Rapper Apsilon, RIN & Schmyt sowie Trettmann. Im kommenden April startet seine deutschlandweite Tour, benannt nach dem Titelsong der ersten EP, „Kinder können fies sein“.
Eigentlich beteuert der 19-Jährige, er sei „nicht besonders politisch“. Und doch spricht aus Jassins Tracks eine schonungslose Gesellschafts- und Kapitalismuskritik, er rappt über institutionellen und alltäglichen Rassismus, rechte Gewalt und patriarchale Strukturen. Doch seine Lieder sind vor allem autobiografisch – und zeigen damit eindrucksvoll, dass das Private politisch ist.
„Die Texte dienen vor allem meiner Verarbeitung. Die Aufklärung ist eher ein Beigeschmack“, sagt Jassin. Das Lied „Bind mir die Augen zu“ etwa, das er im Juli veröffentlichte, habe er einen Tag nach der Europawahl 2024 mit zwei Stunden Schlaf geschrieben. „Ich habe das aus dem Bauch heraus geschrieben, weil es mich alles so aufgeregt hat. Ich war so fertig und hatte keinen Bock mehr auf gar nichts“, sagt er. In Wittenberg war die AfD mit 31 Prozent stärkste Kraft geworden.
Rap gegen rechten Terror
Was diese Wahlergebnisse mit ihm machen? „Man sieht es dann halt schwarz auf weiß“, sagt Jassin. Doch Rassismus habe er in der ostdeutschen Kleinstadt bereits sein Leben lang erfahren: Auf dem Fußballplatz oder im Elternhaus seiner Ex-Freundin, die ihn nicht mit nach Hause nehmen durfte. Jassin rappt von Hakenkreuzen auf Schultoiletten und im Klassenchat, von Nachbarn in der Kleingartenkolonie, die von FC-Bayern- zu Reichsflaggen wechseln. „Das’ nicht die Welt, nein, das sind ostdeutsche Kleinstadtsachen“, singt Jassin.
Während er sich intensiv damit auseinandersetzt, was es heißt, mit Migrationshintergrund in der ostdeutschen Provinz zu leben, habe sein Vater, der vor 20 Jahren aus Ägypten „mit einem Koffer und ein bisschen Hoffnung“ nach Deutschland kam, das weniger getan, erzählt Jassin. In „Schlechte Träume“ singt er über seinen Vater: „Und obwohl sich niemals jemand ein’n Scheiß um ihn bemühte, sagt er: Deutschland bestes Land“. Doch weiter heißt es, sein Vater werde traurig, wenn er in den Nachrichten sehe, „was halb Germania in ihm sieht“. Er wolle nun wahrscheinlich wieder nach Ägypten ziehen.
„Er will im Alter zu seinen Wurzeln und seiner Familie zurückzukehren“, erzählt Jassin. Grund für dieses Verlangen sei auch der Rechtsruck in Deutschland. Die Zunahme an rechter Gewalt thematisiert Jassin gemeinsam mit dem Rapper Trettmann in ihrem Lied „Nach Hause komm“, das am 22. November erschien. Im Musikvideo tragen die Rapper Bomberjacken mit Koordinaten von Tatorten rechter Gewalt. Im Abspann werden einige aufgelistet, darunter Hanau, Halle, Mölln, Solingen und Hoyerswerda.
Linke Strukturen stärken
Dass das Aufwachsen als Junge mit Migrationshintergrund in der ostdeutschen Provinz besonders hart ist, sei ihm erst später bewusst geworden, erzählt Jassin – etwa als Freunde aus Berlin ihm spiegelten, dass es alles andere als normal ist, bei einem Dorffest rassistisch beleidigt zu werden.
Um linke Strukturen zu stärken, die in Ostdeutschland in der Minderheit sind, ging Jassin im Oktober auf die „Solitour Südost“ und trat in Städten wie Bautzen, Rosswein, Chemnitz und Zwiesel auf. Der Eintritt war frei oder spendenbasiert und wurde mit der Gage direkt an die Veranstaltungsorte und Initiativen gegen rechts gespendet.
Doch trotz des erstarkenden Faschismus fühlt sich Jassin in Wittenberg, umgeben von seinen Freund*innen und Familie, wohl. Seiner Heimatstadt bleibt er treu, nach Berlin ziehen will er nicht. „Berlin ist überfordernd für ein Kleinstadtkind“, sagt er.
Während Jassin nochmal schnell unter die Dusche gesprungen ist und eine letzte Zigarette raucht, haben sich im Velodrom bereits rund 4.000 euphorische Fans eingefunden. Der Jubel ist groß, als er die Bühne betritt: Fans rappen mit, die Menge wippt im Takt der Musik und erleuchtet die Halle mit flackernden Feuerzeugen. Jassin blickt zum Abschluss strahlend ins Publikum: „Danke Berlin! Danke, dass ihr so lieb wart.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen