„Rape culture“ in der Justiz: Eine Milde, die wehtut
Vor einem Münchner Gericht kommt ein Vergewaltiger mit einer Bewährungsstrafe davon. Begründung: Sonst wäre sein Beamtenstatus gefährdet.
E s gibt Menschen, die nicht verstehen, was rape culture ist. Weil sie abstreiten, dass sie existiert, weil sie nicht wissen, was der Begriff bedeutet, weil sie ihn nicht verstehen wollen. Aber es ist mal wieder Zeit, sich mit ihr zu konfrontieren. Denn das Amtsgericht München hat ein wunderbares Beispiel dafür geliefert, warum unsere Kultur eine rape culture ist.
Vergangene Woche entschied das Schöffengericht, Milde für einen Vergewaltiger walten zu lassen. 2022 trafen sich der damals 25-jährige Feuerwehrmann und sein Opfer, eine Kollegin, bei einer Geburtstagsfeier. Er war damals frisch getrennt und habe an dem Abend viel darüber gesprochen, gab die damals 29-Jährige in einer Videovernehmung an.
Als sich die Feier auflöste, nahm sie ihn für einen Absacker mit zu sich nach Hause, auch weil sie empfand, dass es ihm schlecht ging. Dort habe er versucht, sie zu küssen, was sie nicht wollte. Er habe sich entschuldigt und sie schlief irgendwann auf dem Sofa ein. Mit heruntergezogener Hose wachte sie auf, seine Hand in ihrem Intimbereich, auch seine Hose hatte er nicht mehr an.
Der Angeklagte behauptete, sich daran nicht erinnern zu können, trotzdem gesteht er die Tat: „Ich weiß, dass sie mich nicht zu Unrecht belasten würde.“ Die Staatsanwaltschaft forderte eineinhalb Jahre Haft. Er bekam nur elf Monate auf Bewährung. Das Gericht rechtfertigt diese Entscheidung damit, dass der Täter noch jung gewesen sei und bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr außerdem seinen Beamtenstatus verlieren würde. „Das wäre eine sehr große Härte“, sagte die Richterin.
Und das Opfer?
Dass das überhaupt ein Faktor im Entscheidungsprozess war, ist rape culture. Der Täter muss kein gerechtes Urteil bekommen, weil es dazu führen könnte, dass anhaltende Konsequenzen bleiben. Und sein Opfer? Leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, unter Schlafstörungen, vermeidet Männer, befand sich eineinhalb Jahre lang in Therapie. Sie wird ihr Leben lang vergewaltigt bleiben. Eine Vergewaltigung ist nicht umkehrbar. Doch dass der Täter seinen Beamtenstatus verlieren könnte, das ist eine Nummer zu viel.
Rape culture äußert sich an Dutzenden Stellen alltäglich. Rape culture ist, wenn man eine Vergewaltigung damit rechtfertigt, dass der Täter im Alter von 25 Jahren unreif sei, aber auch wenn man Opfern nicht glaubt, wenn man ihnen die Schuld in die Schuhe schiebt, wenn verharmlosende Witze über sexualisierte Gewalt gesellschaftlich akzeptiert sind, oder wenn das größte Kulturmagazin dieses Landes einen Sexisten als neuen Moderator auswählt.
Über dieses letzte Beispiel berichtete zuletzt der Podcast „Feminist Shelf Control“. Eine Host, Rebekka Endler, definiert rape culture in der Podcastfolge so: „Mit rape culture beschreibt man das Phänomen, dass Vergewaltigungen […] normalisiert und bagatellisiert werden […], ohne dass reflektiert wird, dass es dabei um eine Ausübung von Macht geht. Es geht um männliche Dominanz.“
Eine unreife Reaktion?
In München wurde dem Täter diese Machtausübung vollkommen abgesprochen: Die Vergewaltigung wurde zu einem Akt der Naivität gemacht, er sei doch noch so jung gewesen, dazu frisch getrennt, die Vergewaltigung eine „unreife Reaktion“ – all das sah das Gericht als strafmildernd.
Ob die Staatsanwaltschaft in Berufung geht, ist noch offen. Eines beweist dieser Prozess jedenfalls unmissverständlich: Die Institutionen, die dafür verantwortlich sind, für Gerechtigkeit zu sorgen, sind genau so Teil der rape culture wie der Akt der Vergewaltigung selbst.
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