Rap in Deutschland und Frankreich: Gefühle aus Frankreich
Deutschsprachiger Rap ist ohne Einflüsse aus dem Nachbarland gar nicht denkbar. Zeit für eine vorläufige Bilanz.
Der Beat schleppt, darüber singt eine mit dem Autotune-Effekt verfremdete Stimme mehr, als dass sie rappt: „Ich leb und sterb’ für euch alle-eee-eeee“, die letzte Silbe wird gedehnt und geht in einen Klagelaut über. Dazu kehliges Gesumme und Wortendungen, die im fast sphärischen Backgroundgesang verhallen. So klingt französischer Rap auf Deutsch, hier in der Version von Zuna.
Inspiriert ist der bereits 2017 erschienene Song „KMN“ von den französischen Rapsuperstars PNL, die mit ihren melancholischen Hits nicht nur die französische Musiklandschaft maßgeblich geprägt haben. Seit „KMN“ versuchen deutsche Künstler:innen immer wieder, den spezifischen Sound aus dem Nachbarland im Westen zu übersetzen. Nicht alle sind dabei so transparent wie der Rapper Dardan, der seinen Song „Dunya“ letztes Jahr mit dem Zusatz „Inspiré de PNL“ versah.
Französischer Einfluss
Der französische Einfluss auf deutschsprachigen Rap hat eine lange Tradition. Vor allem im Südwesten der Republik, wo bereits Hip-Hop-Pioniere – vielleicht auch aufgrund der geografischen Nähe – zur Inspiration interessiert in das Nachbarland blickten. In französischen Großstädten hatte sich schon Ende der 1980er eine professionelle Szene etabliert. Etwa zeitgleich wie in Deutschland, und so entstanden enge Beziehungen nach Frankreich.
Torch, Mitbegründer einer der ersten westdeutschen Rapcrews Advanced Chemistry in Heidelberg, ist etwa zweisprachig aufgewachsen. Schon bald entwickelten sich auch Kooperationen zwischen deutschen und französischen Künstler:innen. Die Stuttgarter Crews Freundeskreis und Massive Töne holten sich auf ihren zweiten Alben – beide 1999 veröffentlicht – prominente Unterstützung aus Frankreich: IAM aus Marseille waren die Stars der 90er, und diese galt es, nach Deutschland zu holen.
Auch die nachfolgenden Generationen Deutschrapper:innen blickten immer wieder nach Frankreich und fanden Anfang der nuller Jahre im Straßenrap von Booba eine wichtige Inspirationsquelle. Künstler wie Fler, Bushido und Haftbefehl haben sich vom harten Sound und der düsteren Ästhetik des französischen Gangsta-Rappers beeinflussen lassen.
Vielleicht noch wichtiger war jedoch Boobas kreativer Umgang mit Sprache, für den er bis heute als Pionier gewürdigt wird. Als einer der Ersten hat er migrantischen Slang in seine Reime einfließen lassen. In Boobas Texte mischen sich verschiedene Sprachen mit französischen Dialekten und veralteten Ausdrücken.
Eigensinnige Grammatik
Außerdem setzt Booba das seit Jahrhunderten in Frankreich praktizierte Rotwelsch verlan ein, bei dem Silben innerhalb eines Wortes ausgetauscht werden. Vieles davon findet sich auch in der eigensinnigen Grammatik der Frankfurter Rapper Haftbefehl, Celo und Abdi wieder. In Frankreich wie in Deutschland hat Rap längst nicht nur Jugendsprache geprägt, sondern auch Eingang in die Alltagssprache vieler Menschen gefunden.
Der Einfluss Frankreichs, des Landes der Mode, ist nicht nur hör-, sondern auch sichtbar. „Socken über Hosen, so wie die Franzosen“, so erinnert sich Tua im Song „Vorstadt“ an die Modetrends seiner Jugend in Reutlingen.
Wer über den ästhetischen Einfluss Frankreichs auf Deutschrap spricht, kommt am Filmklassiker „La Haine“ nicht vorbei. Der 1995 erschienene, genrebegründende Banlieuefilm über den Alltag dreier Jugendlicher in einem Pariser Vorort hat mehrere Generationen deutscher Musikvideos geprägt, von Haftbefehl bis zuletzt OG Keemo. Haftbefehl gestaltet seit Jahren auch seine Streetwear-Kollektion nach dem Film.
„La Haine“ beschreibt wie wenig andere Filme die Wut jener Menschen, die in den schnell hochgezogenen Pariser Vororten leben und aus der Stadt wie aus der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen werden. In diesen migrantisch geprägten Banlieues entwickelte sich Ende der achtziger Jahre französischer Rap, von dort kommen auch heute noch die meisten Künstler:innen.
Banlieu, Paris und die Welt
„La banlieue influence paname, paname influence le monde“, heißt es auf „Grand Paris“ von Médine. Die Banlieue beeinflusst Paris und Paris die Welt. Und weiter: „Le Maghreb influence Paname, Paname influence le monde. Oui l’Afrique influence Paname, Paname influence le monde“. Der Maghreb und Afrika beeinflussen Paris, Paris beeinflusst die Welt.
Aus einer spezifischen Mischung aus sozialer Ausgrenzung und diversen kulturellen, musikalischen und sprachlichen Einflüssen entstand ein Genre mit starker Identifikationskraft. Lange galt Rap als einziges Sprachrohr einer Bevölkerungsgruppe, die von Medien wenig Gehör und von der Politik vor allem Verachtung bekam. Noch 2005 erklärte der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy, die Banlieues müssten mit dem Kärcher gesäubert werden.
Im politischen Conscious-Rap der 1990er wie im harten Straßenrap der 2000er entlud sich eine Wut, die heute auch noch besteht, auch wenn sie mittlerweile anders vertont wird. Französischer Rap, wie ihn etwa PNL geprägt haben, zeigt Gefühle.
Melodische Songs
Die beiden Brüder Ademo und Nos (Tarik und Nabil Andrieu) scheuen sich nicht, Emotionen zuzulassen, und verpacken neben klassischen Rapthemen in ihre melancholischen Songs auch ihren Welt- und Herzschmerz. Wut und Verzweiflung angesichts von Perspektivlosigkeit, aber auch Hoffnung auf den Aufstieg werden in melodischen Songs verarbeitet. Das kommt in Deutschland gut an. Denn auch wer die Texte nicht versteht, spürt die Emotionen in den traurigen Melodien und den langgezogenen „uuuuh“- und „ahhh“-Lauten.
Diese Verletzlichkeit ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen, davon zeugen Künstler wie Ufo 361 und Haftbefehl, die von Einsamkeit und Depressionen rappen. Hip-Hop ist endlich weich geworden. Und aufgeweicht sind auch die Grenzen zwischen Rap und Pop, es ist längst nicht mehr verpönt, in einem Raptrack zu singen, selbst melodiös dürfen Songs mittlerweile klingen. Damit folgt man hierzulande einer Entwicklung, die in Frankreich schon länger vor sich geht.
Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung weltweiter Einflüsse auf französischen Rap ist der Afrotrap des französischen Produzenten MHD, dessen Eltern aus Guinea und dem Senegal stammen. Indem er Coupé Décalé aus Côte d’Ivoire und US-Südstaatentrap vermischte, entwickelte er im Alleingang ein neues Genre, das sich mittels billig produzierter viraler Clips aus der Nordpariser Banlieue innerhalb kürzester Zeit in ganz Frankreich ausbreitete.
Dass sich der Trend auch in Deutschland durchsetzte, ist einer Kopie zu verdanken: Der Sommerhit 2016 „Nie ohne mein Team“, von Bonez MC und Raf Camora, mit dem das Genre in Deutschland erstmals Fuß fasste, hat denselben eingängigen Beat wie MHDs „Afrotrap No 5“. Die Debatte, ob es sich dabei um ein dreistes Plagiat oder eine Hommage handelt, ging im Erfolg des Songs unter. MHD selbst nahm es gelassen, Aftrotrap lebe von Wiederholung und Samples.
Quelle der Inspiration
Französischer Rap dient heute nicht mehr nur als Quelle für Inspiration, sondern auch als Legitimation. „Mein Bruder in Paris erzählt, dass man dort meinen Track hört“, heißt es bei Pashanim. Der 22-jährige Berliner lässt regelmäßig französische Begriffe in seine Songs einfließen und präsentiert im Musikvideo stolz sein „Trikot von Zizou“: Frankreich als Referenz. Wer kann, rappt auch ganze Parts auf Französisch, besonders gut funktioniert das beim Karlsruher Ulysse.
Wer eigentlich nicht kann, leider auch. Zu hören bei den Dresdnern von 01099. Aber auch Künstler, die deutlich stilsicherer mit dem Französischen kokettieren, drohen dabei beliebig zu werden: Etwa wenn Pashanim darüber rappt, dass er seine Kalenji-Kapuze tief trägt. Die Laufmarke des Sportartikelherstellers Decathlon war und ist auch in Frankreich uncool, aber wenig ist nun mal französischer als Decathlon. Und cool ist, was französisch ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte