Rap aus Italien: Hört den neuen Sound aus Mailand
Beim Festival von Sanremo dabei sein, das ist der Wunsch des tunesisch-italienischen Rapstars Ghali. Porträt eines unkonventionellen Künstlers.
Tra me e te il Mediterraneo. Il volto familiare di un estraneo. Orfano come un nuovo ateo.“ Auf Deutsch: „Zwischen mir und dir das Mittelmeer / Das vertraute Gesicht eines Fremden / Verwaist wie ein neuer Atheist.“ Ghali rappt sehr sanft in „Bayna“, dem Intro seines aktuellen Albums „Sensazione Ultra“. Der melancholische Sprechgesang – auf Italienisch und Arabisch – ist das Herzstück, die Musik kommt ohne Beats aus, ein schlichtes Piano-Riff und Streicher betten die Musik dezent.
Im Songtext äußert sich der italienisch-tunesische HipHop-Star eher kryptisch. Als würde er Schnappschüsse nach und nach zusammenfügen, ruft er das Thema der Flucht bruchstückhaft auf. Das Mittelmeer scheint dabei zum Angelpunkt eines imaginären Dialogs zu werden – zwischen jenen Flüchtenden, die die lebensgefährliche Überfahrt aus Afrika nach Europa antreten, und der sogenannten zweiten Generation, also der postmigrantischen Community in Italien.
Das Mittelmeer ist wiederkehrendes Motiv in Ghalis Songtexten. Bereits zu Beginn seiner Karriere im mailändischen Kollektiv Troupe D’Elite machte sich der heute 29-jährige Rapper in seinem Part von „Senza Pioggia Non Verrà“ (2014) zum Sprachrohr eines Überlebenden einer der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt: „Ich küsste meine Familie und verließ Libyen. Ich war weit weg vom Land, auf einem blauen Boot, das so gerade verkehrstüchtig war.“ Das Trauma der Flucht hätten Verwandte und Freund:innen von ihm erlebt, teilte der Künstler im Juli auf Instagram mit, als er verkündete, der vor der italienischen Mittelmeerküste operierenden NGO „Mediterranea“ ein Rettungsboot gespendet zu haben. Dies wurde auf den Namen „Bayna“ getauft.
Ghali, der mit vollständigem bürgerlichen Namen Ghali Amdouni heißt, wurde 1993 als Kind tunesischer Eltern in Mailand geboren und ist im Vorort Baggio aufgewachsen. In dieser Hochhaussiedlung entdeckte er als Elfjähriger den Rap für sich. Mittlerweile hat Ghali drei Soloalben veröffentlicht, hat eine Europatour abgeschlossen, Streamingrekorde gebrochen und exorbitante Follower*innen-Zahlen auf Social Media erzielt. Und er bekam Lob von Starautor Roberto Saviano für seine „Poesie, die die Härte von Gangstarap meidet“.
Eine Fashion-Ikone ist er auch. Anders als viele HipHop-Macker kleidet er sich stets flamboyant und bricht dadurch gern Gendernormen. Streetwear- und Luxuscouture-Accessoires verbindet der Künstler zudem auch mal mit traditioneller tunesischer Kleidung und traditionellem Schmuck – ein Pendant zum Sprachmix aus Italienisch, Arabisch, Französisch und Englisch in seinen Songs.
Vom Aufstieg aus prekären Verhältnissen sprach Ghali auf seiner Debütsingle „Ninna Nanna“. „Ich bin aus dem Sumpf herausgetreten, von ganz unten bis ganz oben. Ich kaufe meiner Mama eine Villa. Dann werde ich an Afrika denken. Sohn einer Schulhausmeisterin, mit Papa in einer Zelle“, rappt Ghali auf einem hypnotischem Trapbeat, das von einem verstörenden Glockenspiel-Sound begleitet wird.
Bei Veröffentlichung erreichte der Song 200.000 Aufrufe innerhalb von 24 Stunden. Heute ist „Ninna Nanna“ der italienische Song, der symbolhaft für das Musikjahr 2016 steht. Er markierte den fulminanten Aufstieg des italienischen Trap zum Mainstreamsound.
Unumstritten ist Ghali jedoch nicht. Kritik erntete er etwa für seine Zusammenarbeit mit der Fastfoodkette McDonald’s oder dem Modekonzern Benetton, denen Umweltzerstörung und ausbeuterische Arbeitsbedingungen gerade in südlichen Ländern vorgeworfen werden. Auch arbeitet er auf seinem neuen Album mit Gästen zusammen, die selber in ihren Songs teils misogyne und rassistische Inhalte reproduzieren. Wie ist das mit Ghalis Künstlerethos vereinbar?
Denn die offene Anprangerung von Rassismus ist ein wiederkehrendes Motiv in Ghalis Reimen und findet sich auch an den vielen Punchlines, die sich um das Mittelmeer oder den berüchtigten „roten Pass“ drehen. Den (roten) italienische Reisepass hat der in Mailand geborene Rapper erst im Alter von 18 Jahren bekommen – aufgrund eines Staatsangehörigkeitsgesetzes, das zunächst auf dem familiären Herkunftsprinzip basiert.
Ghali thematisiert in seinem Rap Rassismus in Italien
Mit den Worten „Du denkst, dass der Islam Isis ist“ wendet sich Ghali im Trapsong „Wily Wily“ gegen antiislamische Vorurteile. In „Bayna“ protestiert er gegen die Vorabverurteilung von erkennbar migrantisch geprägten Menschen in der medialen Berichterstattung. „Sie sprechen nicht gut von uns in den Nachrichten“, heißt es da. Angehängt mit der provokativ zu verstehenden Zeile: „Stell dir den Koran im Radio vor.“
Dass Rassismus im italienischen Rap heute thematisiert wird, ist keine Selbstverständlichkeit. Lange fehlte auch eine eigenständige Repräsentation der sich neu zusammensetzenden Gesellschaft im kulturellen Bereich. Die jetzige Generation habe sich von Musikern früherer HipHop-Generationen wie Guè Pequeno und Marracash nie wirklich angesprochen gefühlt, sagt Ghali in Interviews.
Seinen eigenen Stil bezeichnet der Mailänder hingegen als „unfreiwillig politisch“. Auch als er 2018 den Pophit „Cara Italia“ veröffentlichte, ein Bekenntnis an die Mehrheitsgesellschaft, blieb Ghali für zahlreiche italienische Medien der klassische Außenseiter, Stimme der Migranten:innenkinder des Landes.
Ghali reagierte musikalisch darauf und versuchte auf seinem zweiten, 2020 veröffentlichten Album „DNA“ die Erwartungen und Stereotype musikalisch zu durchbrechen. Er ging zu elektronischem Pop und Dancefloorsounds über. Im Stil des belgisch-ruandischen, frankofonen Popstars Stromae kontrastiert Ghali in den Songs nun düstere Gedanken zu Einsamkeit und emotionaler Leere mit euphorischen, tanzbaren Klängen.
Man sollte Ghali kein Etikett verpassen, auch nicht das des politischen Rap. Der italienische Künstler ist äußerst unterhaltsam, etwa wenn er sich wortakrobatisch von einer freien Assoziation zur nächsten hangelt, wie etwa in seinen frühen scharadenartigen Songs. Er spielt mit massenmedialen Phänomenen, etwa mit der US-Videothekenkette Blockbuster und Computerspielen wie „Pokémon“ oder „Dragon Ball“. Namek, ein „Dragon Ball“-Planet, wird aufgrund seiner grünen Farbe bei Ghali zur Cannabis-Allegorie.
Ghalis Experimentierfreude ist ganz besonders prägend für sein aktuelles Album. Die Klangsignaturen sind zahlreich: elektronischer Pop, Psychedelic-Funk und, stärker denn je, nordafrikanische Pop- und Folkmusikstile. Sie alle werden elegant aufgerufen und miteinander vermixt. Neben dem opulent groovigen „Wallah“, in dem Ghali die sprachakrobatische Latte wieder höher legt, beeindruckt insbesondere der Song „Walo“ mit seinem lapidaren Flow.
Inspiriert von einem rituellen Tanz, der bei Berberzeremonien aufgeführt wird, wirkt der Track, dessen Text von Racial Profiling am Flughafen handelt, mit seinem metallischen Sound höchst hypnotisierend.
Und dann gibt es ja noch die filmische Intensität von „Bayna“, dem Song, der von dem Künstler Rat Chopper aus Tunesien produziert wurde. Dessen Hookline wird durch die ergreifende Stimme des tunesischen Künstlers Med Guesmi verfeinert.
Mit so einem Beitrag nähme er gern am (immer noch nicht vollständig in der großen Vielfalt der gesellschaftlichen Gegenwart Italiens angekommenen) „Festival della Canzone italiana“ in Sanremo teil. Das hat Ghali an der Pressekonferenz zur Veröffentlichung seines neuen Albums bekundet.
Hoffentlich bleibt es nicht bei solch scherzhafter Ankündigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen