Neues Album von Stromae: Lob für Unsichtbare

Der belgische Popstar veröffentlicht mit „Multitude“ ein neues Album. In den neuen Songs versucht er, seine persönliche Krise zu bewältigen.

Stromae vor einem Spiegel, der seinen Kopf zweimal spiegelt

Ein Star mit vielen Facetten: Stromae Foto: Michel Ferire

Kürzlich gab Stromae dem TV-Sender TF1 ein bemerkenswertes Interview. Auf die Frage, ob ihm Musik geholfen habe, sich von der Einsamkeit zu befreien, stimmte der belgische Popstar einfach die ersten Strophen seines Songs „L’Enfer“ (Die Hölle), an. „Ich bin nicht der Einzige, der einsam ist“, legte er los. Dann folgte die Zeile: „Manchmal hege ich Suizidgedanken, worauf ich nicht besonders stolz bin.“ Krasse Offenbarungen von dem Künstler, der 1985 als Paul Van Haver in Brüssel geboren wurde.

In Songform unterstreicht Stromae auf seinem neuen Album „Multitude“ mit Klavier die Tristesse dieser Aussage – bis die Beats die Musik zumindest ein bisschen auflockern. Ein Chor singt mit, um Stromae wenigstens beim Songarrangement Schutz und Zuwendung zu spenden. Später machen auch Streicher die Aussage des Songtexts erträglicher. Zum Tanzen lädt „L’Enfer“ also nicht ein, der Song rückt vom affirmativen Stromae-Konzept ab: Düstere Texte und euphorische Sounds. Dennoch wird deutlich, dass sich der Künstler in seine Seele blicken lässt.

Die Einnahme eines Malaria-Medikaments löste bei ihm 2015 so heftige Nebenwirkungen aus, dass er eine Afrika-Tournee abbrechen musste. Ausgerechnet in Ruanda, der Heimat seines Vaters, der 1994 als Tutsi Opfer des Völkermordes durch die Huti wurde. Womöglich schürte dieses Trauma Stromaes Panikattacken, er verschwand danach für längere Zeit aus der Öffentlichkeit und es blieb offen, ob er jemals wieder würde auftreten können.

Auf der Suche nach dem Vater

All diese Erfahrungen dürften auch in „L’Enfer“ eingeflossen sein, Vorbote seines nun veröffentlichten dritten Albums „Multitude“. Es folgt auf den schwindelerregend erfolgreichen Vorgänger „Racine Carrée“. Allein in Frankreich verkaufte sich dieses Werk mehr als zwei Millionen Mal und bescherte Stromae mit „Papaoutai“, einem Lied über die Suche nach dem Vater, einen von mehreren Hits.

Stromae: „Multitude“ (Mosaert/B1-Recordings/Universal)

Das Thema greift Stromae auf „Multitude“ erneut auf, allerdings aus einer völlig anderen Perspektive. Stromae und Coralie Barbier, seine Frau, mit der er für ihre Modemarke „Mosaert“ Klamotten, Musik und audiovisuelle Medien kreiert, sind Eltern geworden. Das lässig groovende, mit einem Akkordeon verfeinerte „C’est que du bonheur“ analysiert, was das bedeutet: volle Windeln, wenig Sex, aber eben auch bedingungslose Liebe für ein Kind. Leider groovt der Song etwas gar sanft.

Eigentlich geht Stromae musikalisch gern in die Tiefe. Besser, weil sozialkritischer ist er beim Stück „Santé“ in Form. Für das erhebt er sein Glas auf die, die für andere meist unsichtbar bleiben: die Reinigungskraft Rosa, die Garderobiere Céline und die Toilettenfrau Arlette. Diese Hommage an die Arbeiterklasse dockt musikalisch an südamerikanische Rhythmen an.

Detailverliebter Sound

Insgesamt ist Stromaes neuer Sound detailverliebter als jemals zuvor. Vor allem, was die Wahl der Instrumente angeht. Ein Cavaquinho, eine portugiesische Gitarre, die besonders in Brasilien populär ist, veredelt „Ave Césaria“. Die chinesische Violine Erhu kommt bei „La Solassitude“ zum Einsatz. Eine persische Ney Flöte hinterlässt in „Pas vraiment“ ihre Spuren.

Interesse an all den Folk-Instrumenten entfachte Stromaes flämische Mutter. Abseits der Touristenrouten bereiste sie mit ihren Kindern Mali, Peru und Bolivien. Dadurch verfügt der Musiker über die nötige Expertise, um zum Beispiel das südamerikanische Zupfinstrument Charango in „Mauvaise Journée“ einfließen zu lassen. Hier poppen abermals Selbstmordgedanken auf. Ein Ich-Erzähler lotet seine innere Zerrissenheit aus – mal versinkt er in Lethargie, mal ruft er um Hilfe.

Zum Finale zeichnet sich Licht am Ende des Tunnels ab. „Bonne journée“ beginnt mit dem Satz „Oh, was für ein guter Tag das ist“ und zelebriert ­einen Freudentanz. „Fils de foie“ suggeriert Stolz. Der Sohn einer Prostituierten verteidigt seine Mutter. Für ihn ist sie eine Heldin. Er werde immer positiv über sie sprechen, singt Stromae. Diese Aussage bringen ein Streichquartett und ein Cembalo zum Strahlen. Sie schmiegen sich an Stromaes melancholische Stimme. Das sollte man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen.

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