Ramstein-Gipfel verschoben: Vom Winde verweht

US-Präsident Biden sagt die Ukraine-Konferenz wegen des drohenden Hurrikans ab. Für den ukrainischen Präsidenten hätte es eine historische Woche werden sollen.

Eine Frau vor einer zerstörten Hausfassade

Eine Anwohnerin während eines russischen Drohnenangriffs in der Stadt Chornomorsk, Region Odesa, Ukraine, am 9. Oktober 2024 Foto: Nina Liashonok/reuters

Berlin taz | Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sollte es eigentlich eine „historische Woche“ werden. Eine Woche, in der er sich bei den Verbündeten im Kampf gegen den Aggressor Russland eine Extraportion Unterstützung für sein Land im Krieg abholen wollte. Allen voran beim Präsidenten der wichtigsten Nato-Streitmacht: US-Präsident Joe Biden. Doch dann kam „Milton“, der Hurrikan – und die „historische Woche“ verschwand in den Wehen des Sturms.

Biden muss als Krisenmanager in der Heimat sein, Lösungen für die Folgen eines Sturms finden, durch den Tausende Menschen ihr Zuhause verlieren werden, es Verletzte, vermutlich auch Tote geben wird. Ohnehin Pflicht für einen Staatenlenker, in Wahlkampfzeiten kann auch nur der Hauch eines Gefühls, dass die Bevölkerung im Stich gelassen wird, für herbe Verluste sorgen, und schlimmstenfalls Kamala Harris den Sieg gegen Herausforderer Donald Trump kosten.

Also sagte Biden am Dienstag seinen für Ende der Woche geplanten Staatsbesuch in Deutschland ab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hätte den US-Präsidenten am Freitag zum Staatsbankett getroffen, dann hätte dieser unter vier Augen mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen. Am Mittwoch wurde dann bekannt, dass auch alle anderen politischen Formate mit dem US-Präsidenten nicht stattfinden werden. Dazu gehört ein Vierertreffen mit Scholz, dem britischen Premier Keir Starmer und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Berlin.

Zu besprechen gebe es viel: Die Beständigkeit einer transatlantischen Freundschaft mit einer drohenden Amtszeit eines unberechenbaren Präsidenten Donald Trump. Oder der Krieg im Nahen Osten, der droht zum Flächenbrand zu werden. Die größte Aufmerksamkeit sollte aber der Krieg in der Ukraine gegen Russland bekommen.

Selenskyj braucht Geld und Waffen

Das große Finale wäre eine hochkarätige Sicherheitsheitskonferenz in Ramstein am Samstag gewesen. Die sogenannte Kontaktgruppe aus rund 50 verbündeten Staaten trifft sich regelmäßig auf der US-Airbase in Rheinland-Pfalz. Allerdings kommen zu dem Treffen hochrangige Militärs oder Ver­tei­digungs­mi­nis­ter:in­nen, also Sicher­heits­ex­per­t:in­nen. Dieses Mal sollte das Familienfoto eine besonders starke Symbolik bekommen – mit Biden, Scholz, Starmer, Macron, dem kanadischen Premier Justin Trudeau, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda.

Letztere wären übrigens gerne auch beim Vierertreffen in Berlin dabei gewesen und zeigten sich entsprechend verschnupft im Vorfeld. Man würde sich ja wenige Stunden später in Ramstein sehen, hieß es aus Berlin um Reibungen vorzubeugen. Mittendrin im Reigen der Staats- und Regierungschef der ukrainische Präsident Selenskyj, der sich Bidens Abschiedsgeschenk abholen wollte. Nach dem Motto: Das ist alles, was ich für dich noch tun kann. Selenskyj braucht Geld für den Wiederaufbau seines Landes, braucht Waffen und Kriegsgerät, um die Front zu halten, und er muss sich auf Partner verlassen, die ihn bei seinem „Siegesplan“ unterstützen. Bislang kennt diesen nur Biden, in Ramstein sollten alle von diesem Plan erfahren.

Auch für den ukrainischen Präsidenten ist die US-Wahl im November ein kniffliges Datum, das über weitere Hilfen für ihn und sein Land entscheidet – und vor allem darüber, wie ein Frieden zwischen Russland und der Ukraine aussehen könnte. Der Weg dorthin ist gespickt mit unterschiedlichsten Interpretationen mit viel Spielraum. Unter einer US-Administration Trump wird der Druck auf Selenskyj wohl steigen, dass die Ukraine von Russland besetztes Territorium abgibt. Im Gegenzug würde es vermutlich Sicherheitsvereinbarungen geben.

Die Bundesregierung betont, dass sie einen gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine will. „Friedhofsruhe“ oder einen „Diktatfrieden“ wolle man nicht, und schon gar nichts werde ohne die Ukraine entschieden. Man hält an den Formaten fest, die in Kopenhagen oder im Sommer auf dem Bürgenstock in der Schweiz vereinbart wurden. Ver­tre­te­r:in­nen des Globalen Süden sollen ihren Einfluss gelten machen, Gespräche für einen echten Frieden schließen Russland und China ein. Insgesamt braucht es eine diplomatische Lösung und dafür eine Verhandlungsbasis auf Augenhöhe. Während im Sommer in der Schweiz noch vollmundig von einer zweiten „Ukraine-Friedenskonferenz“ im November dieses Jahres gesprochen wurde, scheint der Anspruch, noch 2024 zusammenzukommen, vom Tisch zu sein.

Ramstein an diesem Samstag hätte hohe Symbolkraft gehabt, vermutlich wäre für Selenskyj ein weiteres Waffenpaket herausgesprungen, viel öffentlicher Zuspruch, ein Zeichen der Geschlossenheit gegenüber Russland. Jetzt will der ukrainische Präsident zumindest am Freitag nach Berlin reisen. Gleichzeitig waren keine großen Schritte in Richtung Nato-Beitritt der Ukraine eingeplant, weitere Sicherheitsgarantien oder gar die Zusage der Verbündeten, westliche Langstreckenwaffen auf russischem Territorium einzusetzen. Im Wettlauf der Krisen, sei es der Krieg in Nahost oder Naturkatastrophen wie der Hurrikan, hat die Ukraine dieses Mal den Kürzeren gezogen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.