Ralf Leonhard über den Ausgang der Landtagswahl in Wien: Keine schöne blaue Donau
Die von FPÖ-Chef Strache ausgerufene „Oktoberrevolution“ ist also ausgeblieben. In Wien bleibt vordergründig alles beim Alten. Außer Rot-Grün gibt es keine stabile und politisch machbare Koalition. Dennoch hat ein Erdbeben stattgefunden. Straches FPÖ hat 31 Prozent der Stimmen bekommen und damit fast ein Drittel der Wählerinnen und Wähler überzeugen können. Alarmierend für die Stadtregierung muss sein, dass zwei Drittel der FPÖ-Wähler in Umfragen angeben, Wien nicht als lebenswerte Stadt zu empfinden.
Was läuft schief in einer weltoffenen, augenscheinlich gut verwalteten Stadt, die regelmäßig in internationalen Rankings bei der Lebensqualität im Spitzenfeld liegt?
Wien ist eine Stadt, die von jeher durch starke Zuwanderung geprägt wurde. Die Integrationsleistung, die ohne große Propaganda erbracht wird, ist beachtlich. Schließlich ist ein Viertel der Stadtbevölkerung selbst zugewandert oder gehört der zweiten Generation an. Dennoch fühlen sich viele schon irritiert, wenn sie „orientalische Mehrkindfamilien“ und Frauen mit Kopftüchern auch nur sehen.
Bürgermeister Michael Häupl hat schon vor Schließung der Wahllokale angekündigt, dass seine Partei reformiert und auf die neuen Zeiten ausgerichtet werden müsse. Das Übernehmen von FPÖ-Positionen kann dafür kein Rezept sein. Dass Häupl in der Flüchtlingsfrage klar Position bezog und die Konfrontation mit der fremdenfeindlichen FPÖ suchte, hat ihm offensichtlich nicht geschadet.
Der Absturz der SPÖ fiel weit geringer aus als befürchtet. Dennoch besteht Handlungsbedarf. Die Erneuerung muss von Wien ausgehen, dem einzigen Bundesland, wo die SPÖ noch Autorität hat. Die Floskel „Die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen“, die nach jeder Wahlschlappe zu hören ist, muss mit Leben gefüllt werden. Derzeit haben diese Menschen den Eindruck, dass nur die FPÖ – wenn sie auch keine praktikablen Lösungen hat – ihnen zumindest Gehör schenkt.
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