Rätsel um Biowaffen in Südkorea: Das US-Militär bietet nicht nur Schutz
Südkorea will sich mit den USA auf eine chemische Kriegsführung Nordkoreas vorbereiten. Doch auch im eigenen Land gibt es Gefahren.
Dabei war der Hautausschlag des Patienten nur geschminkt, bestand das Hotel aus einer Zeltplane und verfolgten Generäle von Plastikstühlen auf das Szenario. Erstmals hatten die Streitkräfte der USA und Südkoreas Journalisten zur jährlichen Verteidigungsübung gegen chemische Kriegsführung geladen. Dies sollte ein Fingerzeig auf Nordkorea sein, denn das verfügt über ein Arsenal von 13 biologischen Kampfstoffen.
Doch der Drill im Süden wurde von Protesten begleitet. Zum einen wegen des Timings. Denn erst kürzlich endeten die größten innerkoreanischen Spannungen seit fünf Jahren. Pjöngjang wertet die defensiv propagierte Übung als Vorbereitung auf eine Invasion. Und Organisationen im Süden warnen, dass die Gefahr chemischer und biologischer Giftstoffe auch aus den eigenen Reihen stammt.
Im Mai musste sich das Pentagon dafür entschuldigen, versehentlich Anthrax-Proben an eine US-Militärbasis südlich von Seoul geschickt zu haben. 22 Soldaten hatten unwissentlich mit dem tödlichen Milzbranderreger hantiert, zeigten zum Glück aber keine Symptome. Das Anthrax sollte laut US-Militär nur dazu dienen, Sicherheitssysteme zu testen.
USA experimentiert mit Biowaffen
Doch ein Einzelfall, wie das US-Militär betont, war der Vorfall nicht. Recherchen der linken Tageszeitung Hankyoreh, die auf Publikationen der regierungsnahen US-Organisation „National Defense Industrial Association“ beruhen, legen nahe, dass die US-Armee in Südkorea seit Juni 2013 mit Botulinumtoxin experimentiert, einer der gefährlichsten Biowaffen.
Die Experimente fanden offenbar ohne Wissen von Südkoreas Regierung statt. Kritiker machen die rechtliche Sonderstellung der US-Armee in Südkorea dafür verantwortlich: Ihre Militärgüter sind von Zollinspektionen befreit. Die Regierung versprach, künftig beim US-Militär um Offenlegung von Information anzufragen – ein Lippenbekenntnis.
Vor Jahrzehnten hatte die US-Armee Entlaubungsmittel an der Demarkationslinie zum Norden versprüht, um Eindringlinge besser entdecken zu können. Gäbe es keine Whistleblower unter US-Veteranen wie den 57-jährigen Steve House, wäre vieles nie bekannt geworden. Seit seiner Rückkehr aus Südkorea 1979 leidet er unter Leberbeschwerden, Diabetes und grünem Star. 1978, also drei Jahre nach Abzug der letzten Marines aus Vietnam, wurde der damals in Südkorea stationierte House nach eigener Aussage beordert, ein Erdloch von der Größe eines Häuserblocks auszuheben und 250 Chemiefässer darin zu vergraben.
Der damals im selben Camp stationierte Robert Travis bezeugte dies und erklärte, die Fässer trugen die Beschriftung „Agent Orange“, das Datum 1967 und die Herkunft Vietnam. Erst 2014 erkannten US-Gerichte an, dass die Beschwerden der Veteranen von Toxinen stammen. Agent Orange wollten die Behörden nicht bestätigen.
Die betroffene Militärbasis ist nur 630 Meter vom Nakdong entfernt, Südkoreas längstem Fluss. 2011 wurde dort in drei Bächen ein leicht erhöhter Dioxin-Gehalt festgestellt – also des Bestandteils von Agent Orange. Laut staatlicher Statistik gab es in der Region zwischen 2005 und 2009 18 Prozent mehr Krebstote als im Landesschnitt.
Ein Sprecher der US-Armee in Seoul erklärte schon 2011, die Müllhalde mit den Giftstoffen sei längst entsorgt. Doch wo genau, könne er mangels Aufzeichnungen nicht sagen.
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