Radschnellwege in Nordrhein-Westfalen: Bürokratisch ausgebremst

Der seit mehr als zehn Jahren versprochene Bau von Fahrradautobahnen in NRW kommt nur im Schneckentempo voran. Ak­ti­vis­t:in­nen machen jetzt Druck.

Fahrradbrücke über eine Straße.

Teilstücke: Hier eine Brücke des Radschnellwegs RS1 in Essen Foto: Jochen Tack/imago

BOCHUM taz | Mit einer Kette von Demonstrationen und Aktionen protestiert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) an diesem Wochenende gegen das Schneckentempo, mit dem der Bau von Radschnellwegen in Nordrhein-Westfalen vorangeht.

Am Freitag gibt es eine Aktion in Dortmund, am Samstag eine Fahrraddemonstration am geplanten Radschnellweg RS6 zwischen Frechen und Köln. Und am Sonntag wollen Fahr­ra­dak­ti­vis­t:in­nen die vorgesehene Teilstrecke des Radschnellwegs Ruhr (RS1) zwischen Moers, Duisburg und Mülheim „erkunden“ – denn hier im westlichen Ruhrgebiet ist auch 13 Jahre nach Präsentation der ersten Idee für den RS1 noch nicht ein einziger Meter der „Fahrradautobahn“ gebaut.

„Wir sind sehr, sehr enttäuscht, dass der Bau der Radschnellwege in NRW so unglaublich langsam abläuft“, sagt Rebecca Heinz, Co-Landesvorsitzende des ADFC. Gerade der Radschnellweg Ruhr, der irgendwann von Moers im Westen quer durch das ganze Revier über Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund bis nach Hamm führen soll, biete in dem Ballungsraum mit seinen mehr als fünf Millionen Menschen „enormes Potenzial, von den überlasteten Bahnen, Bussen und Autobahnen aufs Fahrrad umzusteigen“, wirbt Heinz. „Trotzdem sind von seinen 116 Kilometern heute nur 19 befahrbar – und das nicht einmal durchgehend.“

Denn auf einer alten Bahnlinie ohne Kontakt mit dem Autoverkehr unterbrechungsfrei radeln – das geht bisher nur auf einer etwa 14 Kilometer langen Teilstrecke zwischen der Essener Universität und der Hochschule Ruhr West in Mülheim, die wiederum abschnittsweise zwischen 2015 und 2019 fertiggestellt wurde.

Dazu kommt ein knapp drei Kilometer langes Stück bei Gelsenkirchen und ein knapp ein Kilometer langer Teil im Bochumer Westpark – beide immerhin nach Radschnellweg-Standard, also mit asphaltierten, vier Meter breiten, getrennten und markierten Fahrbahnen, Beleuchtung, Winterdienst und einem zur Vermeidung von Konflikten abgetrennten Fußweg.

Im angesagten Dortmunder Kreuzviertel wurde ein Kilometer bestehender Fahrbahnen dagegen zu „Fahrradstraßen“ umgelabelt. Sehr zum Ärger vieler Anwohner:innen, die um Parkplätze vor ihrer Haustür fürchteten, haben dort jetzt Radfahrende Priorität, wurden die Kreuzungsbereiche rot markiert. Allerdings: Am Ende dieser Teilstrecken endet die Fahrt allzu oft vor querstehenden Absperrungen – dahinter liegen entweder die alten, zugewachsenen Bahntrassen oder oft mehrspurige Ausfallstraßen, die abschreckend und gefährlich wirken.

Vorzeigeprojekt wackelt

Dabei galt der RS 1 einmal als Vorzeigeprojekt. Bis zu 400.000 PKW-Kilometer, bis zu 16.000 Tonnen klimaschädlichen Kohlendioxids könnten jedes Jahr durch den Radschnellweg Ruhr eingespart werden, hieß es vor knapp zehn Jahren in einer Machbarkeitsstudie, die eine Fertigstellung bis 2020 versprach.

Schon ab 2013 wurden in NRW deshalb weitere Fahrradautobahnen geplant – etwa der Radschnellweg Westmünsterland zwischen Isselburg und Coesfeld, der RS3 zwischen Herford und Minden in Ostwestfalen oder der RS 6 zwischen Köln und Frechen im Rheinland. Ein zusammenhängendes Streckennetz wie bei den europäischen Eurovelo-Radfernwegen ergibt das zwar nicht – aber zusätzlich zu den 116 Kilometern im Ruhrgebiet sollten immerhin 174 Kilometer weiterer höchst sicherer, komfortabler Radtrassen entstehen.

Zehn Jahre später aber herrscht Ernüchterung: Fertiggestellt sind von diesen 174 Kilometern gerade einmal 1.500 Meter. Und gebaut wird aktuell an keinem einzigen Radschnellwegprojekt in NRW. Derzeit gebe es „keine Bautätigkeiten“, heißt es auf taz-Nachfrage vom Landesbetrieb Straßen NRW.

Bürokratische Hindernisse

Wer zu verstehen versucht, woran das liegt, trifft nicht nur bei RS1 im Ruhrgebiet auf ein ganzes Bündel von oft bürokratischen Hindernissen: Die Planungskompetenzen sind zersplittert. Innerorts sind die Kommunen, außerorts der Landesbetrieb Straßen.NRW zuständig – oder auch der Regionalverband Ruhr. Ihnen allen fehlen Ingenieur:innen, die sich wiederum mit viel Aufwand etwa mit Umwelt-, Wasser- und Denkmalschutzbehörden abstimmen müssen.

Dazu kommt eine intensive Bürgerbeteiligung. Viele An­woh­ne­r:in­nen sind alles andere als begeistert, statt einer zugewucherten Bahntrasse plötzlich einen von tausenden täglich genutzten Radweg an ihrer Grundstücksgrenze vorzufinden. Außerdem bremst auch die Bahn, wo über die Reaktivierung stillgelegter Strecken nachgedacht wird – für neue Radwege stehen die dann nicht mehr zur Verfügung.

Außerdem sei der Bau schlicht unterfinanziert, glaubt etwa der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Gordan Dudas. Für neue und die Erhaltung bestehender Radwege standen 2023 in ganz NRW 43 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Allein für den Neubau der wegen Einsturzgefahr gesprengten Autobahnbrücke Rahmede auf der A45 bei Lüdenscheid sind 170 Millionen Euro vorgesehen. Die schwarz-grüne Landesregierung verschlafe die in ihrem eigenen Koalitionsvertrag versprochene „Verkehrswende“, kritisiert Dudas.

Dabei fehlt es nicht an schwarz-grünen Willensbekundungen, den Radschnellwegbau beschleunigen zu wollen. „Da muss Druck drauf“, versprach der damalige CDU-Landesverkehrsminister und jetzige NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst schon im Sommer 2021 bei der Einweihung des Gelsenkirchener Teilstücks des Radschnellwegs Ruhr.

„So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben“, ließ sich sein Nachfolger von den Grünen, Oliver Krischer, Ende 2022 im Blog Ruhrbarone zitieren. Und im März 2023 hieß es aus Krischers Düsseldorfer Umwelt- und Verkehrsministerium auf taz-Anfrage: Um endlich Ergebnisse zu sehen, gebe es bei Straßen NRW bereits mehr Stellen – und „organisatorische Anpassungen“.

Planungsstellen im Aufbau

Auch hausintern hat der Grüne offenbar Druck gemacht, um die jahrzehntelange Fixierung auf das Auto aufzubrechen – und seine Ministerialen zu einer „Neuordnung“ verdonnert. Im Verkehrsministerium gebe es jetzt eine neue „Gruppe Radverkehr“, ebenso eine „AG Radwege“, heißt es aus Düsseldorf.

In der Zentrale des nachgeordneten Landesbetriebs Straßen NRW sei ein „Sachgebiet Radverkehr“ geschaffen worden, ebenso wie „Arbeitsgemeinschaften Radverkehr“ in „jeder der acht Regionalniederlassungen“. Außerdem solle ein „Netzwerk Radschnellverbindungen“ für einen „regelmäßigen Austausch aller an Planung und Bau Beteiligten“ sorgen – offenbar werkelten die bisher wenig koordiniert nebeneinander her.

Vor Ort aber herrscht oft noch Enttäuschung. So befinde sich etwa der Radschnellweg Frechen – Köln auch zehn Jahre nach Veröffentlichung eines ersten Machbarkeitsberichts „in der Vor-Planung“, klagt die Frechener CDU-Bürgermeisterin Susanne Stupp – und mahnt, das Projekt dürfe „nicht in Vergessenheit geraten“. Bei der Demo des ADFC am Samstag will die Rathauschefin deshalb dabei sein – wie für viele überraschend auch Minister Krischer selbst.

Kritik wird dem Grünen dabei auch nach den Umstrukturierungen in seinem Ministerium allerdings nicht erspart bleiben: „Die Fahrradinfrastruktur muss einfach schneller ausgebaut werden“, fordert die ADFC-Landesvorsitzende Rebecca Heinz – „Deshalb machen wir mit unseren Demos jetzt Druck von unten.“

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