Radikalisierung in Deutschland: Aus Geesthacht zum IS
Ece B. riss in Richtung Syrien aus. Ihr erster Versuch, sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, konnte noch verhindert werden.
Eces Eltern wanderten vor 35 Jahren aus der Türkei ein. Dass sie sich auf eine Klassenreise nach Berlin aufmache, soll sie ihren Eltern gesagt haben, bevor sie abreiste. Im November versuchte sie schon einmal, nach Syrien zu reisen.
Über ihr Handy wurde sie damals in Istanbul geortet und nach Deutschland zurückgebracht. Dieses Mal hat sie sich wohl darauf eingestellt, soll ein neues Handy mitgenommen und sich ihre Reiseroute nur über Abkürzungen notiert haben.
Gereist sein soll Ece zusammen mit einem 16-jährigen Mädchen aus dem nahen Hamburger Stadtteil Billstedt. Eine dortige Salafisten-Gruppe soll die beiden Mädchen radikalisiert haben. Nach taz-Informationen sind auch andere junge Menschen aus Geesthacht kurz davor, für den IS in den Krieg zu ziehen.
In Schleswig-Holstein wissen die Behörden von 24 Islamisten, die in Richtung Syrien und Nord-Irak gereist sind. Sechs von ihnen sollen ums Leben gekommen sein.
In Hamburg weiß die Innenbehörde von rund 50 Dschihadisten. Etwa ein Dutzend sei gestorben, rund ein Drittel sei zurückgekehrt und "im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden".
Aus Bremen haben sich 20 Menschen dem IS angeschlossen, darunter sieben Frauen. Fünf sind zurückgekehrt, vier Männer sollen getötet worden sein.
Aus Niedersachsen reisten 50 Islamisten nach Syrien und Irak, wie viele kämpfen, ist ungeklärt.
Doch warum konnte Ece B. nicht aufgehalten werden? Vom Landeskriminalamt in Kiel heißt es, von ihrer Ausreise habe man erst erfahren, als es bereits zu spät war. Und Eces erster Trip läuft als „Vermisstenfall“ - in diesem Rahmen habe auch Kontakt zur Familie bestanden.
„Aus dem Vermisstenfall ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sie erneut ausreisen und sich einer verbotenen Vereinigung anschließen will“, erklärte das Landeskriminalamt. Sind solche Pläne bekannt, haben Behörden Möglichkeiten, eine Ausreise möglicherweise zu verhindern: Per Passeinzug oder elektronischer Markierung. Doch es gibt grüne Grenzen, Schleuser und Lücken im Kontrollsystem.
Auch Präventionsarbeit habe ihre Grenzen, sagt Berna Kurnaz von der Bremer Beratungsstelle Kitab, die 2012 für solche Fälle eingerichtet wurde. Wenn sich Angehörige bei Kitab melden, verschafft Kurnaz sich zunächst einen Überblick über die Familie und das soziale Umfeld.
„Oft ist es eher eine Familientherapie, als eine Beratung“, sagt sie. Ein Patentrezept gebe es nicht. Manche Radikalisierten könnten in persönlichen Gesprächen von ihrem Vorhaben abgehalten werden - wenn sie sich überhaupt auf ein Gespräch einließen.
Bis vor kurzem war Kurnaz mit einem Kollegen im Umfang von zwei halben Stellen für den gesamten Norddeutschen Raum zuständig. Unter anderem Hamburg baut derzeit ein eigenes Präventionsnetzwerk auf.
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