Radikaler Mietendeckel in Berlin: Jetzt wird's dirty

Die Mieterbewegung sieht die weitreichenden Vorschläge für einen Mietendeckel als großen Erfolg. Jetzt gelte es, diese gegen Angriffe zu verteidigen.

Demonstrationsblock mit Transparenten gegen den Mietenwahnsinn am Alexanderplatz

Ohne Mieterbewegung kein Mietendeckel Foto: dpa

BERLIN taz | Dass die bekannt gewordenen Vorschläge zum Mietendeckel radikal sind, darin sind sich alle einig. Doch während Immobilienwirtschaft, Politiker aller nichtlinken Parteien sowie Teile der Presse die nächste sozialistische Diktatur heraufbeschwören, zeigt sich die MieterInnenbewegung der Stadt positiv überrascht.

„Wir freuen uns wirklich, dass da ein großer Wurf versucht wird“, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher des Volksbegehrens Deutsche Wohnen und Co enteignen. Moritz Neumann vom Mietenwahnsinn-Bündnis, das im April Zehntausende Mieter auf die Straßen brachte, spricht von übertroffenen Erwartungen und „drastischen Maßnahmen“. Ulrike Hamann von Kotti und Co sagt: „Der Mietendeckel kann gar nicht radikal genug sein.“ Der Vorschlag sei eine „Freude für die MieterInnen auf dem normalen Wohnungsmarkt der Stadt“.

Der Entwurf aus dem Hause von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) will Mieterhöhungen unterbinden und benennt zugleich Obergrenzen von maximal 6,03 Euro pro Quadratmeter im Altbau und 7,97 Euro pro Quadratmeter für Wohnungen, die zwischen 1991 und 2013 gebaut wurden: insgesamt 17 Werte, differenziert nach Alter und Ausstattung der Wohnung, unabhängig von ihrer Lage. Dazu kommen maximal 20 Prozent Aufschlag für Modernisierungsmaßnahmen.

Auch Wohnungen in schick sanierten Gründerzeitbauten dürfen dann für nicht mehr als 8 Euro pro qm kosten, was sogleich bei einigen Kommentatoren eine Neiddebatte über die reichen Profiteure des Deckels entfachte. Die Mietenbewegung widerspricht: „Wir finden gut, wenn wir alle bald wieder am Ku’damm wohnen können“, so Neumann.

Es ist ein Punkt aus dem Entwurf, der besonders elektrisiert: die Absenkung der Mieten in bestehenden Verträgen. Mieten, die über den Obergrenzen liegen, sollen auf Antrag ans Bezirksamt reduziert werden können. Womöglich könnten davon Hunderttausende MieterInnen profitieren. Dies ginge deutlich über die ursprüngliche Kern­idee des Mietendeckels hinaus. Die sah das bloße Einfrieren der Mieten auf ihrem derzeitigen Stand vor. Zementiert würden damit all jene utopischen Preise von 12 oder gar 15 Euro pro Quadratmeter. „Es ist doch klar, dass die zurückgefahren werden müssen“, ist Neumann überzeugt, „nur den Status quo zu erhalten, reicht nicht.“

Härter als der Mieterverein

Die kompromisslose Haltung aus dem Senat hatte selbst der Berliner Mieterverein nicht vermutet, der in seinem kürzlich präsentierten Vorschlag zur Ausgestaltung des Deckels noch die Möglichkeit von Mieterhöhungen vorsah – bis zu Obergrenzen, die teils zwei Euro über den jetzt vorgelegten Zahlen lagen. Damit blieb der Mieterverein hinter den Forderungen von Mieterbewegung und den Eckpunkten des Senats zurück. Nun sprang Mietervereins-Geschäftsführer Reiner Wild Lompscher jedoch zur Seite: „Man kann nicht einerseits das Verhalten der Renditejäger kritisieren, aber wenn es darum geht, ihnen Einhalt zu gebieten, dann plötzlich kalte Füße bekommen.“

Lompscher hat am Montag ihre Position erneut bestätigt. Um eine gemischte Stadt zu sichern, sei „es erforderlich, in die Bestandsmieten einzugreifen“. Gleichzeitig wies sie aber auch noch mal darauf hin, dass das aktuell diskutierte Papier lediglich ein „Referentenentwurf“ sei. Heißt: Der Drops ist noch lange nicht gelutscht. Ob am Ende ein Gesetz steht, das einer großen Zahl von MieterInnen die Absenkung ihrer Mieten ermöglicht, bleibt abzuwarten – und muss gegen mächtige Kritiker durchgesetzt werden.

In der Mieterbewegung ist man sich sicher, dass ohne ihr Engagement diese Form der Regulierung nicht zur Debatte stünde. „Dass solche Maßnahmen überhaupt im Raum stehen, ist nur möglich, weil die Bewegung so stark ist“, sagt Neumann. Koalitionsintern werde es nun hart. Aus bestimmten SPD-Kreisen, etwa der AG Soziale Stadt, die sich stets als Sprachrohr der Immobilienwirtschaft versteht, wird bereits scharf geschossen – was niemanden verwundert.

Taheri spricht von einem „Bündnis aus neoliberalen Parteien und der Immobilienwirtschaft“, gegen die man den Mietendeckel nun verteidigen müsse. Dessen Durchsetzung wäre nach punktuellen Erfolgen für die Bewegung ein „erster stadtweiter Durchbruch“.

Es geht an die Rendite

Auch im Bündnis Zwangsräumung verhindern will man diesen Mietendeckel verteidigen. Sprecher Malte Schmieder spricht vom „weitgehendsten Markteingriff in der Geschichte der BRD“. Weil es nun ernsthaft um die Rendite gehe, werde es „dirty“.

Was das heißt, war schon zu lesen. „Die Linken zünden Berlin an“, schrieb die Berliner Morgenpost über die Mietendeckel-Vorschläge. Dort und im Tagesspiegel wurde am Montag über den Einfluss der radikalen Linken auf die Senatorin gemutmaßt. Die Politik erinnere an die Streitschrift „Das Rote Berlin“, die das postautonome Bündnis Interventionistische Linke (IL) vergangenes Jahr herausgegeben hatte; Mietenexperte Andrej Holm sei das Bindeglied.

IL-Sprecher Stefan Alt sagte auf Anfrage, sie würden sich freuen, wenn sie so viel Einfluss hätten. Tatsächlich aber spreche weder Lompscher mit ihnen noch gäbe es Verbindungen zu Holm. „Wir wollen mehr, als R2G jemals umsetzen wird“, so Alt und nennt die Demokratisierung des Wohnungssektors und die „Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes“ als Ziel.

„Die Investoren werden nach jeder Lücke suchen, gegen alles klagen“, ist Alt überzeugt, daher sei deren Vergesellschaftung unausweichlich. Das sieht Taheri ebenso, der sich am Montag über weitere Kursverluste für die Aktie der Deutsche Wohnen, die demonstrativ Mieterhöhungen verschickte, freute. Notwendige Entschädigungszahlungen an die Unternehmen bei einer Enteignung sinken damit weiter.

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