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RTL-Soap in Berliner KrankenhäusernKeine Kamera im Kreißsaal

Verletzen Fernsehaufnahmen von der Geburt die Persönlichkeitsrechte des Kindes? Der Berliner Senat will das prüfen. Vorher bleiben die RTL-Kameras aus.

Juhu, endlich draußen! Aber bitte ohne Kamera Bild: dpa

BERLIN dpa | RTL darf vorläufig nicht bei Berliner Geburten mit der Kamera draufhalten. Der Berliner Senat stoppte am Dienstag die Dreharbeiten zur Serie „Babyboom - Willkommen im Leben“. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) wies die Geschäftsführung des landeseigenen Krankenhaus-Konzerns Vivantes an, die Filmarbeiten des Kölner Privatsenders für die Dokusoap über die Arbeit in der Geburtsstation bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung am 20. März zu unterbrechen. RTL geht dagegen davon aus, dass weiter gefilmt werden darf, da alle Rechtsfragen im Vorfeld abgeklärt worden seien.

Der Senat sehe dieses Format insgesamt sehr kritisch, teilte der amtierende Senatssprecher Bernhard Schodrowski mit. Es gebe ernste Bedenken, dass die Persönlichkeitsrechte der Kinder wie auch der Angestellten nicht ausreichend gewahrt würden. Das solle jetzt eingehend bis zur Sitzung des Aufsichtsrates geprüft werden. Das habe der Senator am Mittag Vivantes zunächst mündlich mitgeteilt, hieß es aus dessen Verwaltung.

„Auch wenn die Mütter und Familien ihre Einverständnis zu den Filmaufnahmen erklären, wird das Kind später damit zu rechnen haben, mit den Filmaufnahmen konfrontiert zu werden“, teilte Senator Czaja dazu mit. „Die Intimsphäre und die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Kindes sehe ich hier in Gefahr.“

RTL filmt seit dem 15. Februar im Krankenhaus Friedrichshain mit 30 Kameras im Kreißsaal, in Krankenzimmern und Untersuchungsräumen die Geburten von Babys und das Leben der jungen Familien. Eltern und Mitarbeiter mussten vorher ihr Einverständnis erklären. Vorbild sei die Sendung „One Born Every Minute“ aus England.

„Bewegend, berührend, dramatisch“

Der Sender mit Sitz in Köln verspricht sich von diesem neuen Format „authentische Einblicke in die wahre Gefühlswelt“ aller Beteiligten. „Die neue Real Life Doku zeigt die außergewöhnlichen Geschichten, die bewegenden, berührenden, dramatischen und glücklichen Momente rund um die Geburt eines Kindes“, hieß es in der Pressemitteilung. Die einverstandenen Mütter bekommen ihre Babys dann in einem abgetrennten Bereich der Entbindungsstation.

RTL erklärte am Dienstag, der Sender sei von dieser Entscheidung überrascht worden. „Sämtliche Rechtefragen wurden weit im Vorfeld und in enger Zusammenarbeit zwischen Produzent und Klinik geklärt. Wir gehen daher davon aus, dass die Dreharbeiten weitergehen können“, sagte RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer. „Kritikern empfehlen wir bei aller Wertschätzung, sich zu informieren, bevor sie ein Urteil fällen.“

Auch Vivantes betonte: „Wir sind nach wie vor von der Seriosität des geplanten Formats einer Entbindungsdokumentation im Vivantes Klinikum im Friedrichshain überzeugt.“ Der Klinikkonzern habe alle klinischen und juristischen Fragen berücksichtigt, wozu vor allem die Zustimmung aller Beteiligten gehöre. „Sollte das Land Berlin als Gesellschafter von Vivantes dennoch eine Einstellung oder Aussetzung der Filmaufnahmen anweisen, werden wir dieser Anweisung folgen.“

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4 Kommentare

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  • A
    akw40229

    Früher gab es das geflügelte Wort: " ... BILD sprach zuerst mit der Frikadelle ... " im Zusammenhang mit der Sensationsgier dieses Printmediums. Heute "filmt RTL/ SAT1 zuerst die Frikadelle".

  • A
    anke

    So weit sind wir schon, ja? Muss ein Mensch, der 2013 geboren wird, wirklich damit rechnen, 25 Jahre später beim Einstellungsgespräch durchzufallen, weil der Arbeitgeber per Live-Konserve dabei sein konnte, als er Aspirant den 5-Punkte-Apgar-Test vermasselt hat?

     

    Ich denke, das Problem liegt ganz wo anders. Eine Geburt ist nach wie vor ein Naturereignis und als solches noch immer nicht ganz planbar. Ärzte, die behaupten, sie hätten "alles im Griff" lügen. Oder sie haben keinerlei Erfahrung in ihrem Job. Wenn also "Mütter und Familien ihre Einverständnis zu den Filmaufnahmen erklären", dann ist dieses "Ja" das Papier nicht wert, auf dem es dokumentiert ist. Dass nämlich während des Vorgangs Dinge geschehen könnten, die man nachher lieber nicht für die Ewigkeit im Netz wissen möchte, wollen und sollten sich die Beteiligten vorher besser nicht vorstellen. Weil nämlich sonst die Geburt selbst zur Nebensache verkommt, die Filmaufnahmen hingegen zur Hauptsache werden. Und das wäre dann wirklich schlecht. Auch und gerade für die Kinder. Den Juristen aber, der die persönliche Haftung übernimmt, wenn auf Grund falscher Prioritätensetzung ein Geburtsschaden entsteht, möchte ich erst mal sehen.

  • G
    Grrramsci

    Jetzt muss man hier das Privatfernsehen verteidigen, soweit sind wir in Berlin! Die Dokumentation des natürlichsten Vorgangs der Welt verletzt Persönlichkeitsrechte? Weil man da nackt ist? Unglaublich. Was hat die inkompetenteste Landsregierung seit Stadtgründung eigentlich in den privaten Angelegenheiten souveräner Erziehungsberechtigter verloren? Ich sag's: mit einer möglichst populistischen Schaunschlägerdebatte vom umfassenden eigenen Versagen ablenken.

  • A
    AntonGorodezky

    In Anbetracht der Tatsache, dass das elterliche Sorgerecht nach deutscher Rechtsprechung die Möglichkeit umfasst, am eigenen Kind gewisse Amputationen vornehmen zu lassen, kann ich mir kaum vorstellen, dass das Ausstrahlen solcher Geburtsvideos verboten wird - jedenfalls nicht mit Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte der Kinder. Falls doch, könnte man aber auch gleich noch Formate wie Frauentausch, Supernanny oder ähnliches auf den Prüfstand stellen.

     

    Bei den anderen Krankenhausmitarbeitern könnten die Persönlichkeitsrechte aber stechen.