Quarantäne-Logbuch: Grenzwertig positiv
Wer noch keinen Corona-Test machen musste, hebe bitte die Hand. Am schlimmsten ist das Warten und die Angst, jemanden angesteckt zu haben.
Q uarantäne-Logbucheintrag, Tag 1: Bis gerade eben war es ein normaler Tag, den ich einem Text widmen wollte, der schon vor drei Tagen hätte fertig sein sollen. Danach wäre ich wohl joggen gegangen, denn so hat es mir meine Ärztin aufgetragen. Ich solle doch eine Sportroutine in meinen nonexistenten Alltag einbinden, um neben den verschriebenen 20.000 Einheiten Vitamin D einen eigenen Beitrag zur Stimmungsaufhellung zu leisten.
Hatte bisher funktioniert, dreimal die Woche lief ich gegen die schneidende Kälte an. Bis heute, denn plötzlich bekam ich eine Nachricht von P.: Sie habe verstärkt Schnupfen, niese und außerdem zeige ihre Corona-Warn-App eine rot gefärbte Risikobegegnung an. Na Bravo. P. und ich hatten das Wochenende miteinander verbracht; zweimal im selben Bett geschlafen und sechs Stunden in einem Leihwagen gesessen. Ich bin verunsichert, beschließe aber abzuwarten, bis ihr Ergebnis da ist.
Quarantäne-Logbucheintrag, Tag 2: Brot ist keins mehr im Haus, dafür gefrorene Beeren und Haferflocken, außerdem Kartoffeln. Irgendwas werde ich daraus schon zaubern. Hauptsache, der Kaffee geht mir nicht aus. Im selben Moment sehe ich, dass sich der Milchersatz dem Ende zuneigt. Ich arbeite an einem literarischen Jahresrückblick, lese feministische Texte und überlege, was für Bücher 2020 sonst noch gut waren.
Abends bekomme ich meine persönliche Einkaufslieferung inklusive eines Schleich-Adventskalenders. Danke, Mama. Trotz meiner fast dreißig Jahre begeistern mich die bemalten Hartplastiktiere nach wie vor, auch wenn ihre Qualität nicht mehr so gut ist wie früher.
Quarantäne-Logbucheintrag, Tag 3: Habe ich gestern noch Yogaübungen und wenige Klimmzüge an meiner neuen Stange (wer hätte gedacht, dass ich mir mal freiwillig so ein hässliches Ding in die Wohnung hänge?) absolviert, bin ich heute maximal demotiviert. Stattdessen erhalte ich eine Nachricht von P.: Sie sei grenzwertig positiv.
„Ist hier noch jemand wegen eines Coronatests?“
Was heißt grenzwertig, denke ich, rufe aber schon in der Praxis meines Vertrauens an und vereinbare einen Termin. Bahnfahren ist keine Option und meine WeShare-App zeigt keinen Wagen an. Eine Stunde und zwei Anmeldungen bei alternativen Carsharing-Diensten später, sitze ich in einem Auto. Die Parkplatzlage in Charlottenburg ist prekär und ich beschließe den Wagen zu behalten.
Im Treppenhaus vor der Praxis stehen sie Schlange, mit Abstand, dennoch fühlt es sich unangenehm an. „Ist hier noch jemand wegen eines Coronatests?“, frage ich und blicke in angsterfüllte Augen. Alle schütteln den Kopf, also drängle ich mich vor, weil: „Will ja auch jetzt nicht hier stehen.“
Der Testvorgang ist unspektakulär. Von der Arzthelferin wird mir das „grenzwertig“ als abklingende oder erst aufkeimende Infizierung dargelegt. Aha. 17 Euro später bin ich zurück zu Hause und habe ein mulmiges Gefühl. Hab ich jetzt meine Mutter angesteckt?
Quarantäne-Logbucheintrag, Tag 4: Der Tag beginnt mit einer verschwitzten Nacht und andauernder Mulmigkeit. Meine Mutter ist erkältet, schreibt sie. Geht das so schnell? An mehr kann ich heute kaum denken. Zur Beruhigung schaue ich belanglose Krimis und stricke. Ab und zu lese ich in, wie passend, „1000 Serpentinen Angst“.
Quarantäne-Logbucheintrag, Tag 5: Irgendwo im zweiten Drittel des Buches von Olivia Wenzel beginne ich zu weinen. Keine Ahnung, warum, aber irgendwie löst sich da was: dieses blöde Jahr, die ständige Sorge um Vertraute, diese andauernde Ungewissheit. Wie von selbst öffnen meine Finger routiniert die paar Apps, die ich allzu regelmäßig nutze, und siehe da: Durch einen Tränenschleier sehe ich – richtig? – einen negativen Testbefund.
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