Puppenspieler René Marik: Der Meister des Provisoriums
Muppet-Show mit Stoffresten und dadaistischen Satzfetzen: Die Comedy-Kunst von Puppenspieler René Marik ist, dass man ihn nicht sieht.
Am Ende wirft sich der Maulwurf auf der A9 vors Auto. Ein Auto braust über ihn drüber, dann noch eines. Er bäumt sich mit letzter Kraft auf, versucht noch, sich in den Boden einzugraben. Aber vergebens. Der Maulwurf scheitert am Teer: "Autschn!" - das Ende eines Liebeskummers. Die A9 ist nur ein Pappschild, der Maulwurf ein Stück brauner Stoff. Der Mann, der dem depressiven Tier die ganze Zeit die Hand in den Hintern schiebt, heißt René Marik, ist 37 und Puppenspieler, mit Diplom. Auf Provinzbühnen verschanzt sich der knapp zwei Meter große, dürre Mann zurzeit hinter einem eher niedrigen schwarzen Stoffparavent, mal hält er einen Kermit-Frosch mit Besserwissermanieren über den Rand, mal den Maulwurf mit Blindenbinde, dann einen Plüscheisbären, der sich im Schritt leckt, berlinert und am liebsten Billigbier trinkt.
René Marik, Jahrgang 1970, wuchs im Westerwald auf. Nach seinem Vordiplom in Mathematik zog er 1993 nach Berlin, zwei Jahre später schrieb er sich für den Studiengang "Puppenspiel" an der Ernst-Busch-Schauspielschule ein. In dieser Zeit inszenierte er Shakespeares "Romeo und Julia" mit vier Kermit-Fröschen. Von 2000 bis 2004 gehörte er zum festen Ensemble des Jenaer Theaterhauses, es folgten drei Jahre am Neuen Theater Halle und Engagements am Deutschen Theater in Berlin. Mariks weitere Zukunftspläne: "Reich und berühmt werden."
"Ich mache Comedy, na klar", sagt René Marik. Dieser Satz kommt ohne Zögern. Sonst schaut er gern hin und her, auf seine übereinandergeschlagenen Beine, knabbert an den Fingernägeln. Jetzt nicht. "Ich bin Schauspieler", sagt Marik. "Also Darsteller im weitesten Sinne". In der Regel nehmen Kleinkünstler jenes böse C-Wort nicht mal in den Mund, Schauspieler schon gar nicht. Denn "Comedy", das heißt in Deutschland meist: Pointen in Lautstark und ohne Umschweife. Comedy, das machen Leute wie Mario Barth oder Michael Mittermeier, deren Repertoire um Einparken und Zuhören kreist. Beziehungskram gibt es bei Marik nicht. Bei ihm gibt es Liebe, und die ist unerbittlich, das Leben sowieso.
Seine Geschichten wären vor allem tragisch - wenn sie nicht so fies wären: "Autschn!" heißt sein Programm, "Ein Abend über die Liebe". An einer Stelle der Show kommt er hinter dem schwarzen Verschlag vor, hängt eine Fender-Gitarre um, stellt sich breitbeinig vors Mikro und kündigt sein Lieblingsgedicht an. Dann rezitiert er im Sprechgesang die Dada-Strophen "An Anna Blume", zupft zu "Du deiner dich dir, ich dir, du mir" an den Saiten, und wenn er "A, N, N, A" aufzählt, stöhnt er die Ns ein bisschen. Wenn er sagt, das Gedicht sei von Kurt Schwitters, lachen immer ein paar, sie halten das für einen Witz.
Marik macht Kleinkunst im eigentlichen Sinne - Kunst mit kleinen Mitteln, für kleine Bühnen. Er ist ein Meister des Verschwindens. Und das in Zeiten, in denen Erfolg in ausverkauften Olympiahallen-Shows gemessen wird. Das Provisorische, Bruchstückhafte hat er zum Stilmittel erkoren. "Marionetten habe ich immer gehasst, die sind so perfekt", sagt er. Ihm reichen eine gerupfte Barbie und ein "räudiges Stück Stoff". Der Rest ist Fantasie. Selbst Mariks Sprache ist nur ein Wortsteinbruch, ein im Dada verschwindendes Geräuschpuzzle: "Hage, jemand zehage", "Hungi, Hungi", "Lassn haate datte", "Schneewante, Rapante". Muppet-Show mit Stoffresten prallt bei ihm auf lautmalerische Ursonate.
So absurd manches auch klingt: Wenn René Marik zum ersten Mal in Schwäbisch Hall oder Düsseldorf auftritt, spricht das Publikum ganze Szenen mit, YouTube sei dank. Irgendwer hatte vor einem Jahr einen Ausschnitt mit dem stotternden Maulwurf ins Internet gestellt. Auf einmal saßen nicht nur zwei Dutzend im Zuschauerraum, wenn er auftrat, "die Bude war voll", Marik klingt noch immer überrascht. Dann packte er selbst ein paar Clips auf die Videoseite, einige wurden mittlerweile knapp eine Million Mal angeschaut. Jetzt ist Marik für die Branchenauszeichnung "Prix Pantheon" nominiert, die im Mai verliehen wird. Bis vor einem halben Jahr kümmerte sich keiner um sein Booking, erst seit Dezember hat er eine Homepage. "Das kann genauso schnell wieder vorbei sein. Dann mache ich wieder mehr Schauspielerei." Er nimmt, was kommt. "Hätte, hätte liegt im Bette", lässt er den Eisbären einmal sagen. Wenn ihm jemand eine Suppe hinstellt, dann isst er sie - was es für eine ist, ach, egal.
So viel Lässigkeit kann schnell in Haltungslosigkeit kippen. Marik schlittert meist knapp daran vorbei. "Ich finde es schwierig, auf der Bühne politisch zu sein", sagt er. "Kabarett finde ich langweilig, da sind sich alle immer so fürchterlich einig." Zu seinem Repertoire gehört die Figur Kalle, ein arbeitsloser Berliner mit Ballonseidenanzug, Discountertüte und schmierigen Haaren - nicht mehrheitsfähig. Einspieler mit versteckter Kamera zeigen, wie er in der U-Bahn in die "Arbeitnehmerplatzkontrolle" gerät. "Ich will zeigen, wie solche Leute wahrgenommen werden, wie die Gesellschaft auf sie reagiert." Marik schiebt hinterher, dass ihm diese Szenen "nicht ganz grün" seien, man könne denken, er mache sich lustig.
Marik ist einer, der prinzipiell eher reagiert als agiert. Der erst etwas stringent verfolgt, wenn er gar nicht mehr anders kann. So wie die Sache mit seiner Kfz-Lehre. Mit 15, nach dem Hauptschulabschluss, landete er in der Reparaturwerkstatt des elterlichen Dorfs im Westerwald. "Da hat mein Vater immer seine Autos hingebracht", das reichte als Grund. Dabei konnte er nicht mal einen Benziner von einem Diesel unterscheiden. Und das, obwohl er auf einem Truppenübungsplatz aufwuchs, seine Eltern bewirtschafteten die Kantine. Nach neun Monaten hatte Marik die Faxen dicke, diese ölverschmierte, benzintriefende Welt, das war nicht seins. "Damals gab es den einzigen richtigen Streit mit meinen Eltern", sagt er. Ab da ließen sie ihn machen. Realschule, Abitur, Bewerbung an der Hochschule der Künste in Berlin, das Mathestudium in Siegen.
Rein rechnerisch gehört Marik zur Generation Golf, zu den Barths und Mittermeiers, die Meinungslosigkeit mit Markenfetischismus vertuschen. Aber Marik ist Mitglied jener Generation Provinzkinder, für die der Mauerfall mit dem Auszug zu Hause zusammenfiel. "Ich wollte unbedingt in einer Stadt leben, und Berlin war eben die einzige wirkliche Stadt", sagt Marik. "Als ich ankam, war ich ein Mathe-Nerd. Nur der Aktenkoffer hat gefehlt." Nach einem Monat sei er "von innen nach außen gestülpt" gewesen: Hausbesetzer statt fremdelndem Mathestudenten. Zuerst habe man eine Strausberger Villa "klargemacht", sagt Marik, er grinst sofort, das Wort klingt wie lange nicht benutzt. Dann bezogen sie ein Haus in Friedrichshain, Hochburg der damaligen Besetzerszene. Sieben Jahre lang lebte Marik in einer knapp dreißigköpfigen WG. Ein Leben aus Provisorien war normal. Spontane Kunstaktionen mit schlichten Mitteln waren Usus in der Szene, Marik spielte in einer Punkband namens "Die fickenden Turnschuhe". Eine aus jenem Netzwerk war Puppenspielerin, ihm gefiels, da schrieb er sich kurzerhand an der Ernst-Busch-Schauspielschule ein. Er spielte unter Regielegende Robert Wilson, hatte nach seinem Abschluss feste Engagements als Schauspieler in Jena, Halle und am Deutschen Theater in Berlin.
In Innenräumen trägt Marik meist Mütze, sie ist schwarz. Wie bei Rapper Ice-T oder Schnulzensänger Ben. Im Grunde ist Marik ein Romantiker, der an der Realität verzweifelt - und sich deshalb im Schutz des feinen Dazwischen aufhält, bis ihm etwas Besseres einfällt. Er gestand sich wie so viele Kreative mit Kleinbürgerkindheit erst spät bewusst den Hang zu mehr Freiheit und gegen die Sicherheit ein. "Lange dachte ich, ich muss mich festlegen. Inzwischen glaube ich nicht mehr an Spezialisierung, das führt nur zu Fachidiotentum." Deswegen hörte er auch in Halle am Theater auf.
Es gibt ein Foto von René Marik, da liegt er nackt auf einem Tisch, in einem dieser blass gekachelten Sportvereins-Duschräume. Petersilie, Bananen, Gemüse liegen in Ornamenten auf ihm herum. Sein Mund ist leicht offen, wie bei einem Spanferkel, nur der Apfel fehlt. Über dem Foto steht "Vorbilder". Es prangt auf der Website eines Manns, der dazu gehört, wenn man über René Marik schreibt. Es ist der Musikkabarettist Rainald Grebe, fünf Jahre teilten sie sich eine "Chaos-WG".
Manchmal erscheint Grebe bei Mariks Show als Überraschungsgast und spielt ein paar seiner Lieder. Marik kündigt ihn dann an mit den Worten: "Ohne diesen Mann würde ich hier heute nicht stehen." Nach der Schauspielschule spielten sie für vier Jahre am Theaterhaus Jena, dort entstanden die Tier-Handpuppen. Grebe ist auch Diplompuppenspieler und so etwas wie ihr geistiger Vater. Dank Grebes Verbindung kam Marik zu Stand-up-Vater Thomas Hermanns mehrfach auf die Bühne des Quatsch Comedy Clubs. "Andere tingeln erst einmal durch die Provinz und werden dann eingeladen", sagt Marik. "Ich war da, bevor ich überhaupt eine Agentin hatte."
An seinem Mikroständer klebt stets ein kleiner Beutel mit Konfetti. Immer eine Sekunde vor der Schwermut wirft René Marik ein paar Schnipsel in die Luft, betont stoisch. Suizid aus Liebeskummer ist tragisch, aber - Konfetti!
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