Punksänger Rachut über Altonas „Fabrik“: „Das war total offen und geil“
Die Hamburger „Fabrik“ ist seit 1971 Europas ältestes Gegenkulturzentrum. Punk-Sänger Jens Rachut hat dort lange Programm gemacht und blickt zurück.
taz: Herr Rachut, wann waren Sie das erste Mal in der Fabrik?
Jens Rachut: Vielleicht 1977. Oder 1974? Irgendwie so.
Keine genaue Erinnerung?
Nicht an den ersten Besuch. Aber sonst natürlich viele. Ich war dort später lange Zeit Booker.
Mich wundert, dass Sie als Punk schon zu dieser Zeit dort waren. Anfangs war die Fabrik eigentlich ein Laden für Künstler*innen.
Ja! Das war ein geiler, offener Laden. Da haben auch Boxkämpfe stattgefunden, Tattoo-Messen und so was. Jazzfestivals mit großen Namen.
Ziemlich divers.
Das war total offen und geil.
Klingt nach einer romantischen Erinnerung an die Fabrik.
Nicht unbedingt an die Fabrik, aber an die Zeit. Ich glaube aber: Die Zeit hätte nicht in einem anderen Laden stattfinden können.
Und dann haben Sie einfach irgendwann angefangen, dort als Booker die Punk-Konzerte zu machen?
Ich bin da so ein bisschen mit reingerutscht.
66, war Sänger von Hamburger Punkbands wie „Angeschissen“, „Das Moor“ „Blumen am Arsch der Hölle“, „Dackelblut“, „Oma Hans“ oder „Kommando Sonne-nmilch“. Mittlerweile macht er auch Theater und Hörspiele. Bald erscheint sein neues Buch „Der mit der Luft schimpft“.
Wie?
Ich hatte vorher für Veranstaltungen Plakate geklebt. Dann hörte der Booker, mein Vorgänger, auf und ich habe zusammen mit Andreas Schnoor die Punk-Konzerte gemacht.
Wann war das?
Von 1987 bis... Wann war Nirvana und der ganze Quatsch? 1994? Na ja, egal. Bis 1998 etwa. Aber ich habe noch andere Sachen gemacht, das wäre mir sonst zu eintönig gewesen. Das Booking war ein Standbein von vielen. Ich habe Touren gefahren, gekocht, Gartenauffahrten gepflastert.
Und das war für das Fabrik-Umfeld kein Problem, dass dort plötzlich auch Punk-Konzerte stattfanden?
Das ist wie heute auch. Die hatten Verständnis für uns – irgendwie. Wir hatten Verständnis für die – irgendwie. Für uns waren das so Hippie-Künstler.
Kein Stress?
Na ja, es war manchmal so, dass Punks von oben Bier auf die Bands gekippt haben. Das fanden alle scheiße. Aber sonst war das eine total geile Zeit – ohne irgendeinen Stress. Es gab nie eine Stage-Security, weil das auch gar nicht nötig war. Zum anderen: Du konntest von den Bands buchen, wen du wolltest, es war immer was los. Klingt jetzt ein bisschen komisch, aber: Es war wie eine große Familie. Und: Wir hatten die volle Unterstützung vom Chef.
Horst Dietrich?
Genau, das war ein totaler Freak, ein Maler. Aber die Beziehung zu ihm war von Vertrauen geprägt.
Aber der konnte doch mit Punk nichts anfangen, oder?
Nee, aber der war neugierig. Und wir haben ja auch schwarze Zahlen gemacht. Wir haben mal Fugazi auf einem Nachmittag spielen lassen, um 15 Uhr, im Hellen. Aber der Laden war voll. Natürlich ist auch mal Scheiße passiert: Du hattest ein bisschen Geld für eine Band in die Hand genommen und am Ende kamen nur 150 Leute. Oder: Es waren mal statt der erlaubten 1.200 plötzlich 1.800 Leute bei einem Konzert, streng verboten.
Wir haben zwar mal auch Scheiße gebaut, aber das Einzige, was wirklich schief gegangen ist, war: Die Zeit ist vorbeigegangen und man merkt’s nicht. Denn klar ist: So eine Zeit wie damals, insgesamt und auch in der Fabrik, die gibt es heute nicht mehr.
Wie meinen Sie das?
Jetzt ist das ein ganz normaler Laden. Und es gibt ja auch diese Bands nicht mehr. Bands wie Fugazi, die gesagt haben, dass der Eintritt nicht mehr als 10 Mark kosten darf. Auch wir haben immer bei den Punk-Konzerten dafür gesorgt, dass die Karten nicht zu viel kosten. Heute ist das alles nur noch ein großes Business. Die Agenturen wollen – müssen – das Beste für die Bands rausholen. Es fehlt die Wucht der Bands, irgendwann wurden sie nur noch zu Firmen.
Das gab es früher nicht?
Na ja, früher haben wir mit den Agenturen per Handschlag gemacht. Für die Buchhaltung gab’s obligatorisch dann noch einen Vertrag, drei Wochen nach dem Konzert. Dazu gab’s das Internet noch nicht. Die Leute waren neugierig und konnten vorher nichts checken, nicht googlen.
Warum ist das ein Problem?
Weil die sich nicht mehr überraschen lassen.
Noch mal zurück zur Fabrik, die offenbar für ganz unterschiedliche Leute Anlaufstelle war. Das ist doch ziemlich ungewöhnlich, oder? Sonst hat doch meist jedes Milieu seine eigenen Orte.
Ja? Was ist denn da mit diesem Ding in der Innenstadt? Wie heißt das noch gleich?
Das Gängeviertel?
Ja.
Das scheint mir tatsächlich noch eine Anlaufstelle für viele zu sein. Kunst, Punk, Techno, Polit-Kram.
Na siehste.
Also ist die Fabrik nicht mehr dieser Ort?
Ich weiß es nicht. Ich bin da manchmal noch, wegen den alten Leuten. Aber sonst habe ich dahin auch keine Verbindungen mehr.
Aber Sie spielen da doch noch regelmäßig mit Ihren Bands.
Ich wüsste aber auch nicht mehr, wo wir sonst in Hamburg spielen könnten. Das ist so grotesk: Das ist die zweitgrößte Stadt in Deutschland, aber ich wüsste hier keinen Ort mehr.
Sie haben auch lange in Ottensen gewohnt. Ist die Entwicklung der Fabrik dieselbe wie im ganzen Stadtteil?
Bestimmt! Früher haben hier um die Ecke, am Kemal-Altun-Platz, die Punks noch in Bauwagen gewohnt. Ich habe, wie gesagt, früher auch Plakate geklebt, auch an der Fabrik direkt an die Wände. Aber irgendwann wurden überall Rahmen angebracht. Auch an der Fassade der Fabrik. Dann wurde plötzlich geregelt: Wer darf wo und wie lange hängen? Verstehst du?
Ja.
Ich will nicht sagen, dass früher alles besser war, aber es hat alles so seine Zeit. Ich habe die erste Punk-Welle erlebt, die zweite Welle mitgemacht, und jetzt ist auch gut.
Also alles Mist heute?
Du kannst dich als Laden auch fragen, ob du immer stehen bleiben willst. Nach dem Motto: Wir bleiben jetzt in unserer Höhle und machen Lagerfeuer. Oder wir sagen: Okay, wir passen uns ein wenig an. Ich weiß nicht, was richtig ist. Ich weiß nur, dass damals eine wahnsinnige Welle an Bands da war.
Also können sich selbst diese ziemlich etablierten Kulturzentren wie die Fabrik oder der Schlachthof in Bremen nicht so richtig gegen diese Entwicklung stemmen?
Es gibt halt insgesamt nicht mehr viele Läden. Das geht bei den kleinen Läden los, die halten sich immer schwieriger. Andererseits: Ganz allgemein liegt es immer auch ein bisschen am Booker. Wenn jemand Bock hat, etwas auf die Beine zu stellen, dann klappt das auch. Wenn du was ausstrahlst und die Bands motivierst, dann kannst was aus einem Laden machen.
Aber du musst dir auch immer ein bisschen was überlegen. Da haben wir dann Weihnachten im Juni gemacht, mit Truthahn und so. Das hat die Bands gefreut, die kamen gerne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag