Punkband Pornofilmy über Russland: „Schlimmer als bergab“
Vladimir Kotlyarov und Alexandr Rusakov von der Punkband Pornofilmy über gesellschaftliche Agonie in Russland, Repression und eine Farce vor Gericht.
taz: Haben Sie von offizieller Seite etwas über die Liste von unerwünschten Künstlern gehört, bei der Ihre Band auf dem 13. Platz rangiert?
Vladimir Kotlyarov: Diese Liste existiert schon seit geraumer Zeit. Sie umfasst all jene, die die russische Staatsmacht öffentlich kritisiert oder die Demokratie-Proteste in Belarus unterstützt haben. Nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine wurde die Liste dann auch um Künstler erweitert, die sich gegen den Krieg geäußert hatten. Wir standen offenbar schon länger drauf. Nach unserem Verständnis ist es auch eine Mahnung an Veranstalter, die gelisteten Bands und Künstlerinnen nicht zu buchen. In Wirklichkeit ist es natürlich mehr als das: Wenn ein Clubbesitzer im Geschäft bleiben will, muss er diese sogenannten Empfehlungen befolgen. Wir haben im Moment gar keine Auftritte geplant, aber gleichgesinnte Bands haben bestätigt, dass ihre Konzerte unisono abgesagt wurden.
Und diese Liste stammt aus dem russischen Kulturministerium?
Alexandr Rusakov: Schwarze Listen kursieren seit etwa 2020 in der russischen Musikszene. Dadurch stand auch jedes unserer Konzerte auf der Kippe. Erst jetzt ist die Liste von Journalisten veröffentlicht worden. Seit Kriegsbeginn ist die Lage noch finsterer geworden. Ich glaube nicht, dass wir unter den gegebenen Umständen jemals wieder live in Russland spielen können.
Hatten Sie den Krieg eigentlich erwartet?
VK: Ich hatte schon Sorge, dass er ausbrechen könnte, aber ich wollte bis zuletzt nicht glauben, dass an der Spitze unseres Landes jemand steht, der völlig den Verstand verloren hat. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass es hauptsächlich Angeberei war, dass Putin andere Länder mit seiner Machtdemonstration erpressen wollte. Inzwischen weiß niemand mehr, was für verrückte Taten noch von ihm zu erwarten sind.
Auf Ihrem Telegram-Kanal haben Sie Botschaften gegen den Krieg gepostet. Trotz vieler Zustimmung hagelte es da auch Kritik. Von Fans oder von Kreml-Trollen?
VK: Die sogenannten Kreml-Trolle haben uns auch in der Vergangenheit immer wieder massiv angegriffen. Da wir offensichtlich zu ihrer Zielgruppe gehören, schließe ich nicht aus, dass sie seit Kriegsbeginn bei uns aktiv geworden sind. Ich kann nicht glauben, dass es unter unseren Fans Leute gibt, die den Angriffskrieg unterstützen.
Pornofilmy ist eine fünfköpfige Punkband aus Dubna, nördlich von Moskau. Seit Gründung 2008 hat die Band ihren Außenseiterstatus abgelegt, acht Alben veröffentlicht und als Headliner bei großen russischen Rockfestivals gespielt. Inzwischen hat Pornofilmy eine Fangemeinde weit über Russland hinaus. Auf Youtube und im Netz gibt es mehr als eine Million Follower. Sänger Vladimir Kotlyarov und Gitarrist/Manager Alexandr Rusakov wurden kürzlich mit anderen Moderatoren, Popstars und Rappern auf eine Liste „unerwünschter Künstler“ gesetzt. Alle äußerten sich zuvor ablehnend gegen den Angriffskrieg in der Ukraine.
Sie leben in einer Kleinstadt, in der jede jeden kennt. Gibt es Bekannte, die Sie seit den pazifistischen Äußerungen meiden?
VK: Nein. In meinem Freundeskreis verstehen alle sehr genau, was in der Ukraine vor sich geht.
Vor Kurzem fand in Moskau ein Galakonzert zu Ehren der „Spezialoperation in der Ukraine“ statt. Putin und staatstreue Künstler traten vor 80.000 Zuschauern auf. Was sagt Ihnen diese Inszenierung?
VK: Eine schreckliche Veranstaltung! Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen waren zur Teilnahme verpflichtet und wurden mit Bussen herangekarrt. Die meisten nahmen nur teil, weil sie Angst hatten, sonst ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Putin liebt Veranstaltungen wie diese. Vor allem den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland führt er als Vorbild für die angebliche Denazifizierung in der Ukraine an. Dabei erinnert der russische Angriffskrieg dort an die Einmärsche der Nazis in die Tschechoslowakei und in Polen.
VK: Gerade der Buchstabe Z, der überall als Zeichen der Unterstützung für den Krieg verwendet wird, erinnert mich fatal ans Hakenkreuz. Es scheint eine Art faschistische Anti-Utopie zu sein, ein Surrealismus.
Ihr Song „Nishich ubivaj“ (Tötet die Armen), in Anlehnung an den Dead-Kennedys- Song „Kill the Poor“, wurde 2021 verboten. Warum?
VK: Veröffentlicht haben wir ihn bereits 2015, aber Ende letzten Jahres erfuhren wir von Journalisten, dass er von einem Gericht in Wolgograd zu extremistischem Material erklärt worden war.
Konnten Sie sich überhaupt gerichtlich dagegen wehren?
VK: Nein, wir wurden vom Gericht nicht mal informiert. Als wir es über Dritte erfuhren, haben wir sofort Einspruch erhoben. Wir sind extra für die Anhörung nach Wolgograd geflogen. Ein berühmter Musikkritiker schrieb ein Plädoyer zu unserer Verteidigung. Das Lied ist eine Satire, nicht mehr und nicht weniger. Danach wurde eine Revision beschlossen. Das erneute Urteil soll bald gefällt werden.
Was bedeutet das Verbot konkret für Menschen, die Ihr Video in sozialen Medien geteilt haben?
AR: Ihnen droht eine Geldstrafe. Unser Lied musste von allen Websites entfernt werden. Wir dürfen es auch nicht mehr live spielen, sonst müssen auch wir eine Geldstrafe zahlen.
In „Rossija dlja grustnych“ (Russland für Trauernde) singen Sie: „Nimm das Lächeln aus deinem Gesicht, das ist hier nicht üblich, kleiner Mann“. Wie verbreitet ist die Verbitterung in der russischen Gesellschaft?
VK: Was den Charakter der Gesellschaft anbelangt, sprechen wir nicht als Anthropologen. Aber wir spüren schon die Aggressionen der Menschen. Jedenfalls beschreibe ich in den Songtexten alles, was ich um mich herum beobachte. Je weiter Richtung Osten man reist, in den Ural oder nach Sibirien, desto offener empfinde ich die Menschen.
In dem Song „Vsjo projdjot“ (Alles geht vorbei) singen Sie: „Der Diktator von gestern ist heute ein toter alter Mann“. Was kommt nach Putin?
VK: Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen. Es ist, als sei die Welt in eine Zeit vor und eine nach Kriegsbeginn geteilt worden. Früher lebten wir ohne Schrecken, und jetzt stecken wir mittendrin. Ich kann mir nicht mal ausmalen, was nächste Woche passiert.
Was droht denen, die staatlichen Repressionen ausgesetzt sind?
VK: Jeder kann durch den Fleischwolf der Repression gedreht werden. Es ist hart, auch für alle Freunde, denen das widerfährt. Im Moment habe ich das Gefühl, dass in den staatlichen Stellen totales Chaos herrscht. Völlig willkürlich. Menschen werden verhaftet, mit Geldstrafen belegt, wenn sie die Wahrheit aussprechen. Es reicht, einen Videoclip von Rammstein zu teilen. Es gibt keine Logik mehr. Unmöglich vorherzusagen, wer morgen an der Spitze des Systems steht. Es ist unklar, ob gezielt nach sogenannten Staatsfeinden gesucht wird oder ob es darum geht, so vielen Menschen wie möglich Angst einzujagen.
Vielleicht verursacht der Krieg tatsächlich Chaos bei den staatlichen Behörden und es ist an der Zeit, auf die Straße zu gehen?
VK: Es sind verschiedene Theorien im Umlauf. Vielleicht ist das Chaos auch Teil des Plans. Willkürlicher Terror, um alle dermaßen einzuschüchtern, dass niemand mehr sich traut, den Mund aufzumachen. Vielleicht gibt es tatsächlich Chaos. Wir haben gesehen, dass bei den Antikriegsprotesten sogar zufällig anwesene Passanten auf der Straße und Kriegsbefürworter mit verhaftet wurden.
Sie sind 1987 geboren und kennen eigentlich nur Putin als russischen Machthaber.
VK: Ich kann mich noch vage an Jelzin erinnern. Meine Meinung zu Putin hat sich schon früher gefestigt. Er war ja beim Geheimdienst. Was auch immer er tut, man muss bei ihm auf der Hut sein. Man kann ihm nie trauen.
Aber warum unterstützen ihn in Russland trotzdem noch so viele Menschen?
VK: Viele wollen keine eigenen Entscheidungen treffen. Sie möchten, dass jemand anderes Verantwortung für sie übernimmt. Es gibt in Russland die sogenannten Live-Übertragungen im TV, bei denen jemand aus einer weit entfernten Ecke des Landes Putin anruft und meldet: „Hier gibt es keine asphaltierte Straße.“ Dann antwortet Putin im Stile eines Kümmerers: „Dagegen werden wir etwas tun.“ Und erst dann wird jemand von der lokalen Behörde aktiv. Noch vor wenigen Wochen war der Alltag den meisten egal, man merkte nur, alles geht bergab, und dachte, schlimmer kann es sowieso nicht mehr kommen. Durch den Krieg wurde offensichtlich, dass alles immer noch viel schlimmer werden kann!
Wie kamen Sie auf den Bandnamen Pornofilmy? Im Internet ist es dadurch enorm schwer, Sie zu finden!
VK: Als wir anfingen, waren wir Anfang zwanzig. Viele Punkbands tragen absichtlich dämliche Namen, das wollten wir auch! Wenn wir allerdings gewusst hätten, dass wir so populär werden und über ernste Themen singen würden, hätten wir uns etwas Intelligenteres einfallen lassen (lacht). Inzwischen funktioniert der Bandname wie Anti-Werbung. Er filtert. Manche Leute, die uns nicht kennen, denken: Eine Band mit einem so bescheuerten Namen kann gar nicht gut sein!
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