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Punkband Amyl and the Sniffers auf TourDie eigenen Engel auf der Haut

Sie spielen nihilistischen Krawall für alle. Die Punkband Amyl and the Sniffers aus Melbourne kommt mit ihrem Album „Cartoon Darkness“ auf Tour.

An ihr ist nichts niedlich: die Punkband Amyl and the Sniffers Foto: Olivia Jaffe

Okay, der erste Moment von „Cartoon Darkness“ ist einer, den man nie vergessen wird. Man ist gerade aus dem Büro in regengraue Tristesse getreten und „AAAARRRRR“ fressen sich die metallischen Gitarrenriffs des neuen Albums von Amyl and the Sniffers durch die Matschbirne, bis sie nach nicht mal 13 Sekunden von Frontfrau Amy Taylors Raubeinstimme übertönt werden. „You’re an asshole […] / I am hot always […] /Don’t wanna be stuck in that negativity […]“, brüllt sie und man möchte sagen: Danke, Amy, stimmt! Wobei die Arschlöcher natürlich immer die anderen sind.

Für alle, die sich mit Vorliebe anschreien lassen, um so zumindest ab und an aus ihrem Weltresignationsmodus herauszukommen, sind Amyl and the Sniffers die Band, die man gerade nicht ignorieren sollte. Das Quartett aus Australien macht Punk, vielleicht den besten der letzten fünf Jahre.

In einer Melbourner WG gegründet, besteht die Band heute neben Amy Taylor aus dem Gitarristen Declan Martens, Bassist Fergus Romer und Drummer Bryce Wilson. Der Bandname geht auf den Popperswirkstoff „Amylnitrit“ zurück, der beim Schnüffeln einen heftigen Kick verursacht. „Cartoon Darkness“, produziert von Nick Launay, ist ihr drittes Studioalbum.

Sängerin Taylor, 28, wuchs in einer Kleinstadt zwischen Hippies und Autoprolls auf, heißt es. Ein biografisches Detail, das erklären könnte, warum Amyl and the Sniffers unsere widersprüchliche Welt so gut in ihrer Musik einfangen. Das geschieht allerdings nie, ohne ihr eine Portion schnoddrigen Pragmatismus entgegenzusetzen.

Das Album

Amyl and the Sniffers: „Cartoon Darkness“ (Rough Trade/Beggars/Indigo); live: 23.11. Berlin „Columbiahalle“, 25.11. München „Tonhalle“

Beim Debütalbum (2019) geschah dies noch nicht ganz so resolut, aber spätestens bei „Comfort to Me“ (2021) heißt es: „Guided by Angels / But they’re not heavenly / They’re on my body and they guide me.“ Mit anderen Worten: Engel meinetwegen, aber bitte nur welche, die man selbst erfunden hat. Eine andere wichtige Botschaft, die sich durchs Gesamtwerk zieht: „My body, my choice“ – und nicht andersherum, wie es so mancher spätestens seit Donald Trumps Wiederwahl gerade vermehrt propagiert.

Konzerte mit biernassen Menschen

Amyl and the Sniffers singen für „Freaks“, so heißt auch ein Song, und meinen damit: Frauen, Outlaws, Menschen mit Migrationsgeschichte, trans Personen … Denn: „Everyone in the room deserves fun.“ Und so ist es dann auch auf ihren Konzerten, wo biernasse Menschen wie extrem fröhliche Protonen gegeneinander knallen, aber keine Angst haben müssen, dass da plötzlich eine Hand an ihrem Hintern ist, die da nicht hingehört.

Und auch Amy Taylor ist ein kleiner Energieball, wobei sie für einen Ball viel zu zart und sehnig ist. Sie ist mehr wie Blitz und Donner und sehr viel nackte Haut. Sie ist eine Soundmaschine, der es gelingt, die Angst vor den Aggressionen der Außenwelt wegzupusten. Und sie ist eine, die sich voller Urvertrauen ins Händegetümmel stürzt, um sich von den positiven Schwingungen, die sie selbst erzeugt hat, davontragen zu lassen.

Während Amyl and the Sniffers lange als Geheimtipp galten, sind ihre Konzerte mittlerweile schnell ausverkauft. Für ihre Musik haben die vier unter anderem den wichtigsten australischen Musikpreis gewonnen, die Aria Awards. Umso erfreulicher ist Amy Taylors Kollaboration mit den Sleaford Mods. Das Gute ist auch: Nichts an ihr und ihren Boys ist lieblich. Sie tragen wasserstoffblonde 80er-Jahre-Frisen, Glatze, campes Make-up und durchdringen komplizierte Liebesgeschichten vermutlich besser als so mancher Achtsamkeitscoach, wie ihr Song „Chewing Gum“ von 2024 beweist.

Der Sound von „Cartoon Darkness“ ist wütend, ohne depri zu sein, geradlinig in your face, saust den Emotionshügel aber auch mal rauf und runter wie ein guter Stream of Consciousness. Vorzugsweise im „Tiny Bikini“: „Ooh, if I didn’t show up in something spicy /The cold world would feel even more icy.“ Und denen, die immer noch in ihren Apartments hocken und sich fragen, wie es für sie weitergeht, rät Taylor in „Big Dreams“: „Just take a breath and get yourself together.“ Deal.

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