Puigdemonts Geburtsort vor der Wahl: Gelb tragen verboten
Am Donnerstag wählen die Katalanen auf Anordnung der spanischen Regierung ein neues Parlament. In Amer sehen das viele kritisch – und protestieren.
Der junge Mann am Computer, der den Projektor für die Großleinwand speist, tippt hektisch. Die Website, auf der der Stream übertragen werden sollte, ist pünktlich zum Redebeginn abgestürtzt. „Presidente, Presidente …“, rufen sie, als ihr „Carles“ endlich doch auf der Leinwand erscheint. Per internationaler Videoplattform hat es geklappt. Über den Grund des Absturzes sind sich alle einig: „Madrid hat die Verbindung gekappt!“
In Amer kennt jeder Puigdemont, der durch das verbotene Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober und die Ausrufung der „Katalanischen Republik“ am 27. Oktober weit über Spanien hinaus von sich reden machte. Die Älteren haben den 54-jährigen Sohn der örtlichen Konditorenfamilie aufwachsen sehen. Die Jüngeren kennen ihn aus seinen Ferienaufenthalten im Heimatort. Alle wissen um den politischen Werdegang des einstigen Journalisten: von einer nationalistischen Jugendorganisation zum Bürgermeister in der Provinzhauptstadt Girona, zum Abgeordneten im Autonomieparlament und schließlich 2015 zum Chef der Autonomieregierung Generalitat in Barcelona. Unter den rund 70 im Saal befinden sich neben seinen Eltern auch ein Teil seiner sieben Geschwister, Jugendfreunde wie Salvador Carlà, der auf Puigdemonts „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT) kandidiert.
Von Brüssel aus hat der ehemalige Regierungschef die 135 Kandidaten persönlich zusammengestellt, gegen den Willen seiner Demokratisch-Europäischen Partei Kataloniens (PDeCAT). „Es ist eine Liste von einfachen Menschen und keine Parteiliste“, erklärt Carlà.
Ein ungewöhnlicher Wahlkampf
„Die Liste eines Landes“, nennt Puigdemont dies. Es gehe um „die Würde eines Volkes“. Er sei der „rechtmäßige Präsident der Generalitat“. Ihn zu wählen sei der einzige Weg, den Parteien, die die Zwangsverwaltung Kataloniens mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 zugestimmt haben, zu zeigen, dass Katalonien entschlossen sei, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die „Parteien des 155“ – wie Puigdemont sie nennt – sind die in Madrid regierenden Partido Popular (PP), die Sozialisten und die rechtsliberalen Ciudadanos (C’s), die darauf hoffen, heute stärkste Partei in Katalonien zu werden.
Bürgermeisterin von Amer
„Schützen wir die Präsidentschaft der Generalitat!“, ruft Puigdemont. Die Menschen applaudieren. Der Redner auf der Leinwand macht immer wieder Pausen, als könne er sein Publikum sehen. Nur einmal applaudieren sie nicht. Die Pointe war wohl nicht deutlich genug. Puigdemont wartet, Ruhe im Saal, dann Gelächter und doch noch Beifall.
Es ist ein ungewöhnlicher Wahlkampf. Ausgerufen wurden der Urnengang nicht etwa von der Generalitat, wie dies das Autonomiestatut vorsieht, sondern vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, nachdem er die Autonomieregierung des Amtes enthoben und die Verwaltung der nordostspanischen Region seinen Madrider Ministerien unterstellt hatte. „Um die Normalität wiederherzustellen“, so die Begründung.
Das verbotene Gelb
Doch normal ist seither nichts mehr. Die gesamte katalanische Regierung und das Präsidium des Autonomieparlaments werden von der spanischen Justiz der „Rebellion“, des „Aufstandes“ und der „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ bezichtigt. Darauf stehen 55 Jahre Haft. Puigdemont setzte sich mit vier Ministern nach Brüssel ab. Zwei Aktivisten, der ehemalige Innenminister und Puigdemonts Vize, der Spitzenkandidat der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Oriol Junqueras, sitzen in Untersuchungshaft. Junqueras liefert sich mit Puigdemont einen Wahlkampf um den Sieg im Unabhängigkeitslager. Puigdemont schickt Videos. Junqueras schmuggelt Tonaufnahmen aus dem Gefängnis.
Auch das Dörfchen Amer protestiert auf seine Weise gegen Madrid. Der Weihnachtsbaum auf dem Platz in Amer ist mit gelben Schleifen dekoriert, die Straßenlaternen ebenso – ein Symbol der Solidarität mit denen in U-Haft und in Brüssel. Die Wahlbehörde hat die Farbe Gelb deshalb verboten. Schleifen anzubringen oder am Wahltag Gelb zu tragen sei ein unrechtmäßiger Eingriff in den Urnengang. „Die Idee ist, jedes Jahr die Farben zu wechseln“, versichert Bürgermeisterin Maria Rosa Vila, die neben Puigdemonts Eltern sitzt, und grinst.
Während sie in Amer nach Puigdemonts Rede die katalanische Hymne anstimmen, verspricht die Kandidatin der rechtsliberalen Ciudadanos, Inés Arrimadas, vor Hunderten von Anhängern in Barcelona, „mit dem Nationalismus Schluss zu machen“. Es sind solche Sätze, die vielen in Katalonien Angst machen. Sie fürchten um das katalanischsprachige Bildungssystem, das öffentliche Fernsehen und um die Autonomierechte der Region.
„Wir brauchen keinen neuen Präsidenten, wir wollen unseren Präsidenten zurück“, sagt Bürgermeisterin Vila. Es gehe um die Verteidigung der Demokratie. Eigentlich seien die von Madrid ausgerufenen Wahlen nicht legitim. Vila hofft auf eine Parlamentsmehrheit für die Kräfte, die bisher Puigdemonts Regierung unterstützten.
„Wenn das Volk Puigdemont nicht den ersten Platz verschafft, ist das ein Sieg für Rajoy“, sagt Carlà. Er glaubt fest daran, dass JxCAT die Aufholjagd gelingt und die Liste doch noch stärkste Partei wird.
Dem Vater Puigdemonts ist es nicht nach reden zumute. Die Familie hat beschlossen, die Presse zu meiden, nachdem die Medien in Madrid ihnen immer wieder „das Wort im Munde herumgedreht“ hätten. „Ich habe ihn nicht in Brüssel besuchen können“, sagt der alte Mann und deutet auf seinen Stock. 88 Jahre und die harte Arbeit in der Backstube haben ihre Spuren hinterlassen. Wie alle hier glaubt er an einen erneuten Einzug Puigdemonts in die Generalitat. „Dann kommt er zurück“, sagt er mit gebrochener Stimme und geht.
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