Publizist über Steinbrücks Rhetorik: „Charme des Frakturredners“
Berlusconi ein Clown? Das ist doch ein Kosewort, sagt der Publizist Hans Hütt. Eine Analyse der Rhetorik von Steinbrück und Merkel.
taz: Herr Hütt, Peer Steinbrücks Einschätzung, Berlusconi und Grillo seien „Clowns“, hat für einen Eklat gesorgt. War seine Aussage ein Fehler?
Hans Hütt: Die Wahrheit ist nie ein Fehler. Das ist der Charme des Frakturredners. Steinbrück spricht zackig, klar und knapp. Er spricht die Wahrheit auch dann aus, wenn ihn dies um ein Abendessen bringt.
… mit Italiens Staatspräsident Napolitano, der wegen der Bemerkung prompt absagte. Die Wahrheit ist in zwischenstaatlichen Beziehungen eben meist nicht angebracht.
Steinbrück hat auf seine Art deutlich gemacht, dass weder Silvio Berlusconi noch der Komiker Beppe Grillo dem Rollenmodell des Parteipolitikers entsprechen. Sie sind quecksilbrig, unberechenbar, für die klassische Politik ein Risiko. Steinbrück hat versucht, die Gefahr lächerlich zu machen, ohne die Gefahr aber zu unterschlagen.
Er hat demokratisch gewählte Spitzenpolitiker eines wichtigen Nachbarn beleidigt.
Eine Beleidigung kann ich nicht erkennen. Grillos Partei ist eine im besten Sinne zivilgesellschaftliche Veranstaltung, ihre Mitglieder, viele junge Menschen, kümmern sich in Regionen um das, was in Italien buchstäblich zum Himmel stinkt – die Korruptionsbekämpfung, die Wasserversorgung, die Müllentsorgung. Grillo ist Clown von Beruf, deshalb wurde er nicht diskreditiert. Und bei dem mehrfach verurteilten Gesetzesbrecher Berlusconi ist „Clown“ ein harmloses Kosewort.
, 59 Jahre, ist Publizist und lebt in Berlin. Er schreibt einen Blog zu politischer Rhetorik (www.hans-huett.de) und gibt Seminare für angehende Redenschreiber.
Entscheidend ist doch: Steinbrück verletzt diplomatische Codes. Ist das kein Problem für einen Mann, der als Kanzler die deutsche Außenpolitik verantworten will?
Ich sage es mal so: Der europapolitische Sparkurs von Kanzlerin Angela Merkel hat in die Haushaltspolitik Italiens und seine sozialstaatliche Verfasstheit schärfer interveniert. Das ist von anderer Tragweite als die Verletzung eines diplomatischen Sprachcodes. Zumal, da bin ich sicher, die meisten Italiener die Anspielung durchaus verstanden haben.
Medien haben Steinbrück lange für seine Kantigkeit gelobt. Seitdem er Kanzlerkandidat ist, skandalisieren sie genüsslich jede kleine Kante. Heucheln Medien?
Heuchelei ist das Geschäftsmodell der Medien. Politiker können auf verschiedene Art damit umgehen. Angela Merkel überzieht ihre Sprache mit einem Lack, an dem jede Kritik abperlt. Steinbrück nimmt sich die Freiheit, Regeln zu verletzen, wenn es der Wahrheitsfindung dient.
Nutzt Steinbrück seine Sprache? Es wirkt wie ein Experiment: Er verstößt gegen Regeln der Mediendemokratie, gleichzeitig sehnen sich viele Menschen nach Politikern, die Dinge treffend benennen.
Kurzfristig überwiegt das Getöse der Heuchler und Empörten. Aber langfristig werden es die Menschen anerkennen und schätzen, wenn sich ein Politiker verständlich macht.
Die Rhetorik der Kanzlerin ist das Gegenmodell. Merkel liebt Schachtelsätze, vermeidet sorgfältig, sich festzulegen.
Frau Merkel ist eine Meisterin des Nichts-Sagens. In ihren seltsamen, verschachtelten Satzkonstruktionen lässt sie verschwinden, was sie eigentlich sagen will. Merkel hat eine Rhetorik das Nichts-Sagens, des Nicht-Aneckens, des vorauseilenden Konformismus perfektioniert. Der Staatsrechtler Carl Schmitt hat einmal geschrieben: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand gebietet.“ Auf Merkel bezogen muss es heißen: „Souverän ist, wer den Ausnahmezustand als Normalität maskiert.“ Aber Merkels Art birgt das Risiko einer Enttäuschungsimplosion.
Warum das? Sie steht in Umfragen blendend da, die Menschen lieben sie.
Die Gefahr für Merkel liegt in der nicht steuerbaren Eurokrise. Die Schuldenberge müssen abgeschrieben werden. Deshalb ist es unvermeidlich, dass irgendwann auch in Deutschland die Wirtschaft leidet, die Sozialkassen schrumpfen und die Menschen die Krise zu spüren bekommen. Merkel – dies ist durchaus eine Kunst – sorgt dafür, dass dieses Abwickeln so kontrolliert und langsam wie möglich passiert. Sie spielt auf Zeit. Sobald es aber zu einer unkontrollierbaren Dynamik kommt, was nach der Wahl in Italien wieder wahrscheinlicher geworden ist, fliegt ihre leere Rhetorik auf.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart