Psychotherapeutische Behandlung: Die Suche nach dem kleineren Übel
Einer medikamentösen Behandlung zusätzlich zu ihrer Therapie stehen viele skeptisch gegenüber. Auch unsere Autorin hat gemischte Gefühle.
S ometimes I wonder if I should be medicated. If I would feel better just slightly sedated“, beginnt Florence Welch von der Band Florence + The Machine ihren Song „Free“. Im dazugehörigen Videoclip rennt und tanzt die Sängerin durch ihr Leben; immer an ihrer Seite die Angst, gespielt vom großartigen Bill Nighy. Welchs Zeilen offenbaren einen Zwiespalt, in dem sich Menschen meist irgendwann befinden, wenn sie anhaltende psychische Schwierigkeiten haben: Medikamente nehmen, ja oder nein?
Eine Bekannte erzählte mir, dass ihr kürzlich von ihrem Arzt die Einnahme eines Antidepressivums empfohlen wurde. Sie hatte länger schon mit Angstattacken und depressiven Episoden zu kämpfen und befand sich deshalb in psychotherapeutischer Behandlung. Einer medikamentösen Behandlung ihrer Leiden stand sie aber skeptisch gegenüber. Sie fürchtete eine Gewichtszunahme, Schläfrigkeit, sowie sexuelle Störungen. Ebenso gaben ihr potenzielle körperliche Effekte wie Übelkeit und Herzrasen zu denken.
Heute verstehe ich die Bedenken. Als ich selbst vor gut zehn Jahren begann, Antidepressiva in Form eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) zu nehmen, machte ich mir all diese Gedanken nicht. Einzig, dass ich nun ein Medikament für die Psyche und nicht für den Körper (dass Antidepressiva ja körperlich wirken, indem sie Prozesse im Gehirn anstoßen, so weit dachte ich nicht) nehmen sollte, wirkte anfangs befremdlich. Mit meinem Medikament bin ich jahrelang gut gefahren. Nebenwirkungen spürte ich kaum, und auch wenn meine depressiven Phasen sich nicht vollkommen auflösten, schienen sie erträglicher.
SSRIs zählen zu den am häufigsten verordneten Psychopharmaka, gerade wegen ihrer guten Verträglichkeit. Unklar ist aber, wie sinnvoll eine Langzeitbehandlung ist, denn es gibt keine Garantie dafür, dass die Wirkung wirklich über mehrere Jahre bestehen bleibt. Bis man richtig eingestellt ist, kann einige Zeit vergehen. Mit mindestens zwei bis drei Wochen muss man rechnen, in manchen Fällen dauert es noch länger. Wirkt das Medikament bei einem dann weiter nicht wie erhofft oder kommen Nebenwirkungen hinzu, fängt die Suche nach dem richtigen Präparat wieder von vorne an.
Als ich nach Jahren mein Medikament ausschleichen ließ, hatte ich starke Absetzungssymptome. Nachdem diese besser wurden, ich kurzzeitig nichts mehr nahm, zog Covid-19 in unser aller Alltag ein. Meine Angstzustände und depressiven Schübe wurden mit einem Mal wieder so stark, dass ich erneut Tabletten verschrieben bekam. Wieder die gleichen, nur leider wirkten sie nicht mehr richtig. Seitdem befinde ich mich auf einer Odyssee durch die Welt der Arzneimittel: Übelkeit, Verdauungsbeschwerden, Libidoverlust, Herzrasen – irgendeine Nebenwirkung bekomme ich immer. Die Frage ist, was ist das kleinere Übel?
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören