Psychisch Kranker in Bremen vor Gericht: Die hilflose Uni
Herr T. ist des Mordversuchs angeklagt. Es ist die Geschichte eines psychisch Kranken, der sich gemobbt fühlt – und eines überforderten Arbeitgebers.
Herr L. hat „Todesangst“, als er, vor der kaputten Lüftungsanlage in NW 2 stehend, in das „hassverzerrte Gesicht“ des Kollegen T. blickt, von dem er bis heute stets als Heinz-Dieter spricht. Dieser hatte zuvor den Apparat lahmgelegt, wohl wissend, dass dann gleich jemand vom Team würde kommen müssen. Jurist:innen nennen das „heimtückisch“.
Er habe L. in diesem Moment nicht „töten oder gar ermorden wollen“, lässt Heinz-Dieter T. zu Prozessbeginn vor dem in der Messehalle tagenden Landgericht durch seinen Anwalt erklären. Viel mehr habe er ihn nur „zur Rede stellen wollen“. Aus dem Gespräch wird nichts: Als die beiden sich erstmals nach über zwei Jahren sehen, am Tag der Tat, schreit ihn L. nur an: „Was tust du?“ Doch T. antwortet nicht. Er kommt von hinten aus dem Halbdunkel, trifft Kopf, Schulter und Arm des Kollegen mit einer herumliegenden Eisenstange, ehe das Opfer fliehen und nach filmreifen Verfolgungsszenen schließlich erfolgreich entkommen kann.
Die Tat hat eine lange Vorgeschichte, das wird gleich zu Beginn des Verfahrens auf beiden Seiten deutlich. Und die Universität, auch das wird deutlich, kennt diese Vorgeschichte. Doch die Sache versandet über all die Jahre immer wieder, staut sich auf, und am Ende kann die Uni, kann der Arbeitgeber weder Täter noch Opfer helfen.
Heinz-Dieter T., gelernter Industriemechaniker, kommt Mitte der 90er-Jahre über ein Praktikum an die Uni. Seit 1997 ist er unbefristet fest angestellt gewesen. „Er hatte früh Schwierigkeiten, sich sozial zu integrieren und Beziehungen aufzubauen“, sagt sein Anwalt über ihn. Als er bei der Uni anfängt, gilt er ob seiner schweren Depression zu 60 Prozent als schwerbehindert. Und doch fühlte er sich, als er diesen Job hatte, „richtig wohl“, sagt sein Anwalt.
Immer wieder ist von Mobbing die Rede
Das ändert sich, als zehn Jahre später sein Chef und Förderer in Rente geht. Dann beginnen die „Auffälligkeiten“, wie der Verteidiger das nennt, der von „Mobbing“ spricht, und von Versuchen der Kolleg:innen, T. „verächtlich“ zu machen. Einmal – Ende der Nullerjahre war das – drückt der einem Kollegen sein Nutella-Brötchen ins Gesicht. Der soll ihn „geärgert“ haben, wie L. das nennt, und immer wieder mit dem falschen Namen angeredet haben. Doch, es kam schon „immer wieder“ vor, dass die Kolleg:innen „nicht so nett“ zu T. gewesen seien.
Auch zwischen ihm und L. kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Der Angeklagte sei als „grundlos aggressiv“ dargestellt und „angeschwärzt“ worden, sagt sein Verteidiger. T. sei „auffällig schnell aufbrausend“, sagt hingegen L., der erzählt, wie er vom Kollegen als „hinterfotziger Lügner“ beschimpft und über den Flur hinweg angeschrien, des Mobbings bezichtigt wurde. Und so weiter. Nicht immer gibt es Zeug:innen. Vieles landet deshalb erst gar nicht in den Akten.
Irgendwann strengt L. sogar ein Mobbing-Verfahren gegen sich selbst an, doch das läuft „holprig“, so seine Einschätzung. Ein halbes Jahr „passiert gar nichts“, sagt er im Zeugenstand, am Ende steht eine Aufforderung. Die verhallt. Auch der Integrationsfachdienst wird wiederholt eingeschaltet, dann bessert sich die Lage kurz, auch zu einem Analytiker geht T., seiner Ängste wegen, doch der kann ihm nicht helfen, sagt der Anwalt. Und als er 2015 mit seinem Stiefsohn bricht, „eskaliert“ die Lage auch beruflich, seine Hoffnung auf einen „unauffälligen Berufsalltag“ an der Uni schwindet immer mehr. Dann wird T. für sehr lange Zeit krankgeschrieben. Am Ende habe er sich in einer „verzweifelten und ausweglosen Lage gesehen“, sagt sein Anwalt. Am Tattag packt er Schlinge, Messer, Beil, Medikamente und eine Sprühdose ein, um „Mobbing“ an die Uni zu sprühen und sich zu suizidieren – so schildert es sein Verteidiger.
Das Opfer, zugleich Nebenkläger, trägt eine Platzwunde, Prellungen und Hämatome davon, bekommt Albträume, Konzentrationsschwächen und kann bis heute nicht wieder alleine an Lüftungsanlagen arbeiten. Er ist in psychologischer Behandlung, doch das „Gleichgewicht der Familie“ sei gestört, und weder von der Krankenkasse noch von der Berufsgenossenschaft gebe es Hilfe für die Familie, klagt der 51-Jährige.
Von der Uni aber auch nicht. Die habe ihren Mitarbeiter:innen mit Verweis auf den Datenschutz „kein Wissen und keine Handhabe“ zum Umgang mit der Erkrankung von Heinz-Dieter T. vermittelt, sagt L. Auch dessen Betreuer:innen hätten immer wieder gefehlt. Stattdessen hätten die Kolleg:innen „Angst“ vor ihm gehabt. Und wie reagierte die Uni? „Wir wurden alleine gelassen“, sagt Herr L.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen