Psychiatrien in Niedersachsen: Zu wenig Personal, zu viel Fixierungen
Laut Psychiatrieausschuss ist die Versorgungslage in jeder vierten therapeutischen Einrichtung Niedersachsens kritisch.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist damit laut Bericht zwar eine positive Tendenz bemerkbar – jedoch nicht in allen Bereichen. Verschlechtert habe sich die Personalsituation in allen Einrichtungstypen, vor allem in ländlichen und kleinstädtischen Regionen.
Der Personalmangel sei so gravierend, dass neben dem Pflegepersonal sogar Kandidat*innen für leitende Funktionen wie Chef- oder Oberarztstellen fehlen würden, vor allem im Maßregelvollzug. Zusammen mit Überbelegung und einem verkleinerten therapeutischen Angebot folgen daraus erschwerte Heilungsprozesse, heißt es in dem Bericht.
Zudem seien die Rechte der Besuchskommissionen noch unklar: Diese Fachleute-Gremien begehen die Einrichtungen, überprüfen die Zustände und nehmen Beschwerden entgegen. In einigen Häusern wurde ihnen 2017 aber der Zutritt verwehrt.
Der Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung (Psychiatrieausschuss) ist ein vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung berufenes Gremium von Fachleuten und Abgeordneten. Er berichtet jährlich dem Landtag und Ministerium.
Er unterstützt die Besuchskommissionen: Diese begehen Einrichtungen, sprechen mit Betroffenen und Mitarbeitern, zeigen Probleme auf und berichten dem Ausschuss, der die Behörde von Mängeln in Kenntnis setzen muss.
Untersucht werden Einrichtungen wie Kliniken und Heime, die psychisch oder seelisch beeinträchtigte Menschen betreuen.
Dort, wo das nicht der Fall war, haben sie mitunter gravierende Missstände entdeckt. So sahen sich die Expert*innen in einer psychiatrischen Klinik in der Region Hildesheim im April 2017 bei einem unangemeldeten Besuch mit einem „nicht akzeptablen Hygienezustand“ auf einer Station, einem „kaum besseren“ auf einer weiteren konfrontiert, heißt es im Jahresbericht.
Im darauffolgenden Juli fiel dort außerdem der Umgang mit fixierten Personen auf, also zum eigenen oder zum Schutz anderer gefesselte Menschen: Länger fixierte Patient*innen seien auf eine andere Station verlegt worden. Dort befanden sich infolge der Verlegungen acht Patient*innen „in einer Überwachungssituation“.
Der Report beschreibt dieses Zusammenlegen als „mehr als nur fragwürdig“. Selbst die Klinikleitung nennt keinen medizinischen Grund für die Maßnahme, sondern bloß eine „zu dünne Personaldecke“. Im November 2016 war dort bereits eine ähnliche Situation beobachtet worden, erinnert der Bericht.
Mindestens bei einem der Patienten sei unklar, ob es eine rechtliche Grundlage für die Fixierung gegeben hatte. Zwar hatte der Betreuer eine richterliche Genehmigung über eine 90-minütige Fesselung. Aus den gesichteten Dokumenten ergab sich jedoch, dass der Patient teilweise bis zu 18 Stunden am Tag fixiert wurde. Die zuständigen Ärztinnen konnten nicht sagen, ob der Betreuer über eine entsprechend erweiterte Genehmigung verfügte. Demnach wäre von einem Rechtsverstoß auszugehen.
Der Psychiatrieausschuss fordert nun in seinem Bericht, Pflegeberufe attraktiver zu gestalten. Dazu seien mehr und besser bezahlte Ausbildungsplätze nötig, so wie mehr Medizinstudienplätze. Ebenso wird eine „zeitnahe“ Novellierung des niedersächsischen Psychiatriegesetzes gefordert. Diese hatte bereits in der letzten Legislaturperiode begonnen, wurde dann aber aufgrund der Neuwahl unterbrochen.
Neufassung des Psychiatriegesetzes
Volker Meyer, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sind die im Bericht genannten Probleme nicht neu: „Wir diskutieren Jahr für Jahr über die gleichen Probleme, wie das Betretensrecht der Besuchskommissionen.“ In der Koalitionsvereinbarung sei daher eine Änderung des Gesetzes vorgesehen. Auf den genannten vermeintlichen Rechtsverstoß müsse das Ministerium reagieren, sagt Meyer. Dessen ist man sich dort bewusst: „Wir gehen den aufgezeigten Punkten nach“, versichert Reimanns Pressesprecher Uwe Hildebrandt. „Rechtsverstöße können nicht hingenommen werden.“
Während SPD-Gesundheitspolitiker Uwe Schwarz sich auf Nachfrage nicht zum Bericht äußern will, mahnt Meta Janssen-Kucz (Grüne) dringenden Handlungsbedarf an. Vor allem im Bereich Personal müsse etwas getan werden, „aber auch die Privatisierung der Psychiatrie, die unter Schwarz-Gelb zustande gekommen war, gehört noch einmal auf den Prüfstand“, so die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünenfraktion. Und während sie eine Neufassung des Psychiatriegesetzes für überfällig hält, warnt sie vor dem aktuellen Regierungsentwurf, der aus ihrer Sicht einen Rückschritt bedeuten würde.
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