Prozesse gegen Buchreihe „Täterprofile“: Feldpost nicht mehr wörtlich
Darf ein Historiker private Texte eines NS-Funktionärs zitieren? Jein, sagt das Hamburger Landgericht. Ein zweites Verfahren ist noch offen.
Doch während Band 1 und 3 dort bestellt oder von der Homepage heruntergeladen werden können, ist Band 2 aktuell nicht zugänglich. Eine Enkelin Toepffers, die Hamburger Juristin Christel Sachs, hatte den Autor der Täterprofile, den Historiker und ehemaligen Oberschulrat Hans-Peter de Lorent, und die Landeszentrale verklagt: Der Briefwechsel der Großeltern sei privat, die Schriften hätten nie veröffentlicht werden dürfen. Auch ein „Recht auf Vergessen“ verlangte sie für den 1982 verstorbenen Juristen Toepffer, der in den 1920er-Jahren in den hamburgischen Staatsdienst eintrat und dort rasch Karriere machte.
Nach jahrelangem Prozess gab das Landgericht der Klage teilweise Recht: Eine ganze Reihe von wörtlichen Zitaten hält die Kammer für urheberrechtlich geschützt und untersagt daher, sie weiter zu veröffentlichen – sonst droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro. Doch in weiteren Punkten wies das Gericht die Klage ab.
„Ich sehe es als für uns überwiegend positives Urteil“, sagt de Lorents Anwalt Lars Niedopytalski auf taz-Anfrage. Denn das Gericht „verbietet nicht, über Oscar Toepffer zu berichten. Es geht nur um geschätzt nicht einmal 50 Prozent der Zitate, die nicht mehr verwendet werden dürfen.“
In den kritisierten Stellen schildert Toepffer, der bereits den Ersten Weltkrieg als Soldat mitgemacht hatte, unter anderem seine Erlebnisse als Hauptmann im Polenfeldzug 1939. Mal geht es um Tipps an die Gattin daheim, ob sie vorsichtshalber Gemüse anbauen soll, mal um Einschätzungen der Lage oder Beobachtungen an der Front.
Hans-Peter de Lorent, Historiker und Autor der „Täterprofile“
Für den Autoren Hans-Peter de Lorent ist der Wegfall der Zitate „bedauerlich“. Denn aus ihnen „ergibt sich ein Bild, das wesentlich differenzierter ist, als alle verarbeiteten Dokumente es zeichnen könnten“, heißt es in den „Täterprofilen“. Interessant sei eben nicht das persönliche Erleben der Eheleute Toepffer, sondern das Beispielhafte: „Vermutlich repräsentiert die Korrespondenz das, was in großen Teilen der Hamburger Bevölkerung gedacht wurde.“
Doch im Urteil, das der taz vorliegt, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass das Urheberrecht bereits bei einem „geringen Grad individuellen Schaffens“ greife. Das Urheberrecht schützt eigentlich die Werke von Schriftsteller*innen oder Journalist*innen vor geistigem Diebstahl. Es gilt aber auch für private Texte. Ein Urheberrecht erlischt nicht mit dem Tod, sondern schützt die Werke weitere 70 Jahre – diese Frist ist für Oscar Toepffer noch nicht abgelaufen.
Hinzu kommt in diesem Fall, dass Toepffers ältere Tochter den Briefwechsel der Eltern und Aufzeichnungen des Vaters nach dessen Tod beim Ausräumen des Hauses fand. Sie transkribierte die „schwer zu lesende deutsche Schreibschrift“, ordnete die Briefe und strich einige Passagen. Am Ende stand ein gut 200 Seiten starkes „Buch“, von dem die Tochter mehrere Kopien herstellte. Ob sich daraus ein eigenes Urheberrecht ableitet, war ebenfalls eine Streitfrage.
De Lorent erhielt diese Textsammlung von mehreren Mitgliedern der Familie. Es habe eine Reihe von Gesprächen gegeben, unter anderem mit beiden Töchtern, die inzwischen verstorben sind. „Sie wussten, dass ich über ihren Vater eine Biografie für die Landeszentrale für politische Bildung schreiben würde“, sagt der Autor, der sich seit Jahren intensiv mit der NS-Zeit in Hamburg befasst. Für ihn ist es „unverständlich, dass Enkel und Ur-Enkel in dieser Weise in historische Forschung und Darstellung eingreifen können“.
Viel Aufmerksamkeit durch den Prozess
Das Gericht hielt die Klage aber für zulässig: Denn ein mögliches Urheberrecht gehe auf die Erb*innen über, zu denen Sachs als eine von mehreren Enkel*innen gehört. Das Gesetz erlaubt, dass eine Person allein Ansprüche geltend macht, sie müsste aber einen Schadensersatz mit anderen Verwandten teilen.
Gescheitert ist die Klägerin mit dem Versuch, das Portrait ihres Großvaters ganz aus den „Täterprofilen“ – den Titel nannte sie „reißerisch“ – herauszuhalten. Das Gericht wies diesen Wunsch ab.
Laut dem Anwalt Niedopytalski bedeutet das Urteil in diesem sehr speziellen Fall nicht, das Autor*innen historischer Texte künftig mehr Klagen von fernen Verwandten beschriebener Personen fürchten müssen. „Insgesamt kann man nur sagen, dass das Vorgehen der Klägerin absolut kontraproduktiv war und sie mit ihrem Ansinnen, den Namen ihres Großvaters Oscar Toepffer im Kontext mit der Nazizeit aus der Öffentlichkeit rauszuhalten, krachend gescheitert ist“, sagt der Anwalt. „Denn mehr Aufmerksamkeit als durch diesen viereinhalb Jahre andauernden Rechtsstreit und die damit einhergehende mediale Berichterstattung konnte Oscar Toepffer gar nicht bekommen.“
Beendet ist der Streitfall immer noch nicht: Beide Seiten könnten in Berufung gehen. Zudem findet noch ein weiteres Verfahren über dieselbe Streitsache gegen die Landeszentrale für politische Bildung statt – in diesem Fall vor dem Verwaltungsgericht.
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