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Prozess zum Anschlag in MagdeburgEin Handschuh, ein Blutfleck, Fahrzeugteile

Wie gut war der Magdeburger Weihnachtsmarkt 2024 vor einem Amoklauf gesichert? Darum geht es am Donnerstag vor dem Landgericht.

Das Auto, mit dem der Täter in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg gefahren ist, am 20.12.2024 Foto: Hendrik Schmidt/dpa
David Muschenich

Aus Magdeburg

David Muschenich

Monitore übertragen Bilder des verlassenen Weihnachtsmarkts in Magdeburg in den Bereich, der im Landgericht für Presse und Zu­schaue­r:in­nen reserviert ist. Am Donnerstag, dem sechsten Prozesstag zum Anschlag vom 20. Dezember 2024, geht es um den Tatort. Dirk Sternberg, der Vorsitzende Richter, scrollt durch die Fotos: Wenige Stunden bevor die entstanden, fuhr ein Mann dort mit einem SUV durch die Menge der Besucher:innen. Er tötete sechs Menschen und verletzte mehr als 300.

Vor Sternberg sitzt um kurz nach halb zehn der erste Zeuge an diesem Donnerstag. Ein Beamter des Landeskriminalamts, er war nach dem Anschlag vor einem Jahr mitverantwortlich für die Tatortsicherung. Er soll die Fotos kommentieren. Auf dem ersten sind bunte Betonklötze zu erkennen, die den Weihnachtsmarkt von der Straße abtrennen. Doch direkt an der Ampel für Fuß­gän­ge­r:in­nen fehlen sie. Durch diese Lücke lenkte der Täter seinen Mietwagen in die Menschen.

Sternberg scrollt weiter. Ein Handschuh, ein Blutfleck, abgesplitterte Fahrzeugteile. „So zog sich das eigentlich über die gesamte Strecke“, sagt der Zeuge, leicht nach vorne gebeugt, den Blick auf den Bildschirm. Und weiter durch die Fotos: Vor einer der Buden steht ein verlassener Kinderwagen. Dann sieht man das Tatfahrzeug. Kaputte Windschutzscheibe, verbeulte Front. 131 Fotos, dann ist Schluss.

Im Gerichtssaal sitzt der Täter in einem Kasten aus Sicherheitsglas. Er schaut nicht in Richtung des Bildschirms, nicht auf die Fotos. Der Mann stammt aus Saudi-Arabien und ist seit 2006 in Deutschland. Als Islamkritiker befürchtete er in seiner Heimat verfolgt zu werden, er bekam 2016 Asyl in Deutschland. Zuletzt arbeitete er in Bernburg südlich von Magdeburg als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

Tatvorwurf: Sechsfacher Mord

Der Prozess gegen ihn läuft seit dem 10. November. Am ersten Verhandlungstag verlas die Gerneralstaatsanwaltschaft zunächst die Anklage gegen den mittlerweile 51-Jährigen. Sie wirft dem Täter unter anderem Mord an sechs Personen und versuchten Mord an 338 Personen vor.

Auch der Täter hat sich bereits im Prozess geäußert. Er erzählte Anekdoten von Frauen in Saudi-Arabien, um seinen Hass auf den Islam zu erklären. In Deutschland gebe es eine Verschwörung zur Islamisierung des Westens, die er aufgedeckt habe. Stundenlang ging das. Er sei nicht wirr, paranoid oder narzisstisch, betonte er.

Frühere Kol­le­g:in­nen des Täters hatten erklärt, er sei unzuverlässig gewesen, habe oft krankheitsbedingt gefehlt. Auch seine fachliche Kompetenz zogen sie in Zweifel.

Mitgefühl? Nein, sagte der Angeklagte. Die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt habe er ja nicht gekannt.

Mehrfach forderte der Vorsitzende Richter Sternberg, er solle sich zum Anschlag äußern. Doch dazu sagte der Täter verhältnismäßig wenig. Er habe gar nicht bemerkt, dass er jemanden angefahren habe, behauptete er. Seine Fahrt im SUV habe sich angefühlt, als sei er über den Weihnachtsmarkt gelaufen.

Mitgefühl? Nein, sagte der Angeklagte. Die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt habe er ja nicht gekannt.

Außerdem vorgeladen war auch bereits ein KFZ-Sachverständiger, der zu Protokoll gab, dass der SUV durch die Tat schwer beschädigt, aber voll funktionsfähig gewesen sei. In der Menschenmenge gab der Täter Vollgas, sei den Daten zu entnehmen.

Bei den nächsten Verhandlungstagen wollen mehrere Betroffene als Zeu­g:in­nen aussagen. Bislang sind noch 41 Termine bis zum 12. März angesetzt. Davon hat der vorsitzende Richter am Donnerstag fünf im Dezember und zwei im Februar gestrichen.

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8 Kommentare

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  • Mehreres: Weihnachtsmärkte mit der Illusion einer "heilen Welt" zu überfrachten, lockt solche Typen erst an und ist ja auch faktisch fraglich: Überteuerte Zuckerplörre für Not-Bespaßung, plärrende Musik und vollgepresste Fressbuden zum Abwinken. Sehen wir das nüchterner, sind wir wohl bereits entspannter.

    Allen irgendwie überfrustrierten Männern das Auto wegnehmen, dauerte zu lang als Auflösung und es gibt ja auch Diebstahl wie Vermietung.

    Setzen wir also den Preis für noch rational planende oder auch spontane Amokisten hoch, dass die Vernunft/Angst/Liebe wieder einkicken kann oder dass die sich nur auf der linken Spur woanders mit weniger Auswirkung austoben oder doch lieber ein Transparent gegen/für das Spaghettimonster oder was auch immer hochhalten.

    D.h. verschieben wir die Diskussion darauf, wie wir klugen Menschen den 99%-Schutz wirksam, aber das noch billiger als jetzt hinbekommen können. Da hat sich ja schon einiges getan. 100 % wäre dabei totalitär, dann hätten wir China oder noch schlimmer.

  • "Wie gut war der Magdeburger Weihnachtsmarkt 2024 vor einem Amoklauf gesichert? Darum geht es am Donnerstag vor dem Landgericht."



    Alibidebatte.



    Warum brauchten wir bis vor wenigen Jahren keine Betonpoller und Security und Taschenkontrollen auf Volksfesten und Weihnachtsmärkten und jetzt schon.



    Darüber reden die Menschen untereinander.

    • @Saskia Brehn:

      Und danach fokussieren sie sich hoffentlich nicht so auf Der-Islam-ist-schuld, dass sie ins Auto in die Magdeburger Weihnachtsmarkt steigen, wenn eine entsprechende psychische Störung evtl. das Verhalten begünstigt.



      Ja, selbst die Bataclan-Attentäter hatten umgekehrt wohl einen Punkt, wenn sie auf Hollandes Attacken zuvor auf Wohnsiedlungen hinwiesen, selbst die Hamassis, wenn sie Netanyahus Schläge auflisteten. Doch ist Terror die Lösung, in welche angeblich edle Richtung auch immer?

      Der schlimmste Anschlag dürfte vor 45 Jahren gewesen sein, Oktoberfest München, wohl Wehrsportgruppe Hoffmann, (und hätte noch schlimmer sein können). Danach kamen wir auch irgendwann zum Entspannten zurück. Ja, wenn mich dann ein Splitter träfe, wäre es so. Sterben werden wir alle einmal. Völlige "Sicherheit" haben/hatten selbst Eurasia, selbst Beijing, selbst Wandlitz nicht. Und das von einem Staat zu fordern, ist wohl, seine Freiheit mit einzuliefern.

      • @Janix:

        Ich habe nirgends den Islam erwähnt. Wieso stellen Sie direkt darauf ab?



        Der Islam ist an gar nichts Schuld. Wenn dann der radikale Islamismus - der mit dem Islam nichts gemein hat, sich nur hinter der Religion versteckt und versucht seinen Terror dadurch zu legitimieren.



        Die Kriege in den Heimatländern der Geflüchteten tragen aus meiner Sicht die maßgebliche Schuld an der zugespitzten Sicherheitslage. Wer von Gewalt und Terror geprägt wird, entwickelt wenig verwunderlich psychische Störungen.



        Die Problematik liegt daran, dass man Menschen mit derlei Problemen nicht nur in Sammelunterkünfte pferchen kann und sich selbst überlassen, sondern diese Menschen adäquate psychologische Betreuung brauchen.



        Heißt, es müssen Kapazitäten dafür da sein. Nicht nur Bett, Brot, Seife - Grüße gehen an Söder und co...



        Wo Sie und ich uns wahrscheinlich unterscheiden, ist die Erkenntnis, dass man nur so viele Menschen hereinlassen kann, wie man auch würdig betreuen kann.



        Denn der Schutz der Bestandsbevölkerung hat Vorrang - um deren Sicherheit zu gewährleisten als auch um ein Kippen, wie die letzten Jahre geschehen, zu verhindern, dass Migrationsfeindlichkeit bis weit in die Mitte salonfähig wird.

  • Dass seit ein paar Jahren Weihnachtsmärkte wie Hochsicherheitstrakte gesichert und bewacht werden müssen zeigt wie sich unsere Gesellschaft in kurzer Zeit verändert hat. Nur noch beängstigend.

    • @Filou:

      Nein: es bleibt wohl unsere Entscheidung, wie wir darauf reagieren, wie wir damit umgehen. Angst ist in Ordnung und hat seine guten Funktionen. Ausgeliefert sind wir ihr im Regelfalle jedoch nicht, sie "soll" uns ja auch zu einer Veränderung des Zustands animieren.

      Was sind Ihre Punkte, an denen Sie festmachen, dass sich "unsere Gesellschaft" verändert hat, und wo hat sie es Ihrer Auffassung wiederum nicht?

      • @Janix:

        Die religiös oder politisch motivierten Anschläge auf unschuldige Menschen haben deutlich zugenommen, auch an Brutalität, das gab es vorher nur in RAF Zeiten.

  • Die Landespolizei von Sachsen-Anhalt ist nicht für die Sicherheit der Zufahrten des Weihnachtsmarktes von Magdeburg zuständig. Der Veranstalter verlangt pro laufenden Meter 600 € Miete. Der ist zuständig.

    In Dortmund ist die Stadt Veranstalter. Die stellen LKW und Personal des Tiefbauamtes in die Lücken. Kostet natürlich Geld.