Prozess zu mutmaßlichem Rechtsterror: Was wollte „Heydrich“?

Ein Elektriker aus der Oberpfalz soll einen Anschlag geplant haben, eine Waffe hatte er bereits. Böses will er damit aber nicht im Sinn gehabt haben.

Der Angeklagte Fabian D. (l.) trifft im Landgericht Nürnberg-Fürth ein und hält sich einen Aktenordner vors Gesicht.

Prozessbeginn: Der Angeklagte Fabian D. (l.) im Landgericht Nürnberg-Fürth Foto: Daniel Karmann/dpa

NÜRNBERG taz | Es ist wohl das, was man Ironie der Geschichte nennt. Einen Tag vor dem 75. Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse wird im selben Gebäudekomplex, in dem sich seinerzeit Göring, Keitel und Co. zu verantworten hatten, Reinhard Heydrich der Prozess gemacht. Freilich nicht dem echten. Der galt zwar durchaus als Kriegsverbrecher und einer der wichtigsten Organisatoren des Holocausts. Vor Gericht gestellt werden konnte er jedoch nicht mehr, da er im Juni 1942 in Prag den Folgen eines Attentats tschechischer Widerstandskämpfer erlegen war.

In diesem Fall ist Heydrich nur ein besonders makaberer, wenn auch aussagekräftiger Spitzname, den ein junger Mann aus der Oberpfalz für seine Auftritte in rechtsextremen Chats gewählt hat. Und ihm legt die Staatsanwaltschaft nun zur Last, er habe eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ geplant. Konkret: Er habe mit entsprechend umgebauten Waffen einen rechtsextremen Anschlag auf eine Synagoge oder eine Moschee begehen und dabei möglichst viele Menschen töten wollen.

Es ist kurz vor 9 Uhr am Donnerstag, als Fabian D., so der tatsächliche Name des Angeklagten, den Gerichtssaal E.006 des Strafjustizzentrums Nürnberg betritt. Sein Gesicht verbirgt er hinter einem blauen Aktenordner. Auch nachdem Kameraleute und Fotografen den Saal verlassen haben, wird man nicht viel von ihm sehen, er sitzt mit dem Rücken zu den Zuschauern, trägt Brille und einen schwarzen Anzug. Das Sakko spannt etwas. Das blonde Haar ist an den Seiten kurz rasiert.

D. soll sich vor allem in Chatgruppen im Internet herumgetrieben, mit seinen Plänen geprahlt und um Tipps gebeten haben. So habe er sich nach einem geeigneten „Ort der Andacht“ erkundigt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft müssen damit jüdische oder muslimische Gebetshäuser gemeint gewesen sein.

Die übelsten Ecken der rechten Terrorszene

Die entscheidende Frage nun, die es für die Staatsschutz-Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Bernd Zuber zu klären gilt: Wie ernst gemeint hat Fabian D. seine Sprüche tatsächlich? Haben die Behörden hier im letzten Moment einen Terroranschlag mit vielen Toten verhindert? Oder wollte sich da nur einer im Netz aufspielen? Selbst ob Fabian D. am Ende tatsächlich schon über eine funktionstüchtige Waffe verfügte, ist unklar.

So viel scheint bislang zumindest festzustehen: D. wohnte in einem 2000-Seelen-Dorf im Oberpfälzer Landkreis Cham, gleich an der tschechischen Grenze. Dort lebte er im Keller seiner Eltern. Tagsüber arbeitete er als Elektriker. So weit, so unauffällig. Doch die Anti-Terror-Ermittler verdächtigten den Mann, kurz vor einem Terroranschlag zu stehen. Am 5. Februar dieses Jahres erfolgte der Zugriff. D., damals 22 Jahre alt, wurde im Elternhaus festgenommen. Auf Antrag der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München wurde tags darauf ein Haftbefehl erlassen, D. in Untersuchungshaft genommen.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es sich bei D. nicht um einen einzelnen Wirrkopf handelt, der im stillen Kämmerchen etwas ausgeheckt hat, sondern um einen Mann mit Verbindungen in die übelsten Ecken der rechten Terrorszene. Die Feuerkrieg Division (FKD), eine international vernetzte Gruppe, scheint zwar zahlenmäßig recht überschaubar zu sein, die von ihr ausgehende Gefahr schätzen die Ermittler jedoch als sehr hoch ein. Es waren die Chatgruppen dieser Rechtsextremen, auf denen sich Fabian D. in seiner Freizeit herumtrieb.

Die FKD hängt einer zutiefst rassistischen Ideologie an, ins Visier hat sie Muslime und Juden genommen, aber auch Homosexuelle oder Kommunisten. Sie gilt als Abspaltung der „Atomwaffen Division“, die seit fünf Jahren in den USA ihre verbrecherischen Ziele verfolgt. Dort ermordeten die Neonazis bereits mehrere Menschen und planten Anschläge. Vor zwei, drei Jahren expandierte die Gruppe auch ins Ausland.

Eine Deko-AK-47

In Deutschland erhielten die Sicherheitsbehörden zum ersten Mal im Sommer 2018 konkrete Hinweise auf hiesige Mitglieder der „Atomwaffen Division“. Der Chatgruppe der FKD, in der sich Fabian D. austauschte und wohl auch weiter radikalisierte, sollen 30 bis 40 Mitglieder angehört haben, überwiegend aus Europa.

Sowohl „Atomwaffen Division“ wie auch Feuerkrieg Division agieren dezentral, folgen dem Prinzip des sogenannten führerlosen Widerstands – was ihre Verfolgung natürlich noch erschwert. Ihre Mitglieder tauschen sich vor allem in Chatforen aus. Hier soll sich der nun Angeklagte zu seinen Anschlagsplänen geäußert haben.

Dass er sich auf einen Anschlag schon konkret vorbereitete, geht für die Ermittler unter anderem daraus hervor, dass sich D. im Mai 2019 bei einem Internethändler ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, eine AK 47, als sogenannten Deko-Nachbau bestellt hat.

Der Nachbau, so nimmt die Staatsanwaltschaft an, soll als Vorlage für den Umbau zu einer funktionstüchtigen Waffe gedient haben. Hierzu beschaffte sich D. auch einige originale Waffenteile, einschließlich eines Leuchtpunktzielgerätes. Außerdem kaufte er beim einem Waffengeschäft in Cham noch zwei Luftgewehre und drei Schreckschusswaffen. Sie hätten ihm zu Übungszwecken gedient, so die Ermittler.

Bombenbau à la Netz

Über ein Archiv der Chatgruppe soll sich D. zudem Anleitungen zum Bombenbau sowie Anschlagsvideos und rechtsextreme Schriftstücke heruntergeladen haben wie die Manifeste verschiedener rechter Attentäter. Besonders intensiv muss er sich mit dem Anschlag in Halle beschäftigt haben, bei dem es dem Täter nicht gelang, eine Synagogentür zu überwinden. Entsprechend soll D. sich eingehend mit Schließtechniken von Türen auseinandergesetzt haben.

Ja, sein Mandant werde sich zur Sache einlassen, kündigte Verteidiger Christian Schulz an. Er gebe auch die ihm vorgeworfenen Taten zu, bloß habe er niemals vorgehabt, einen Anschlag zu verüben oder auch nur anderen Menschen Leid zuzufügen. „In diese Richtung sollte das, was der Herr D. gemacht hat, niemals gehen.“

Die Kalaschnikow, so die Verteidigung, habe er sich beispielsweise nur gekauft, um im Schützenverein zu schießen. Die Schreckschusspistolen und Luftdruckgewehre habe er sich zugelegt, weil er „technikaffin“ sei. Und auch aus den Äußerungen in den Chatforen dürfe man nicht ableiten, dass D. irgendwelche bösen Pläne gehegt habe. Vielmehr hingen sie mit einer Erkrankung zusammen, auf die man im Laufe des Verfahrens sicher noch zu sprechen komme.

Um sich einen besseren Eindruck von D. machen zu können, hörte das Gericht am Donnerstag zunächst Zeugen aus seinem Umfeld. Aber aus den Aussagen von Familienmitglieder ergibt sich nur ein schemenhaftes Bild von dem Mann, der so Ungeheuerliches geplant haben soll. Als „ganz normal“, „tierlieb“ und „in der Pubertät ein bisschen aufsässig“, schildert ihn etwa seine Mutter, als „netten Kerl“ die Oma. Doch nicht alles, was sie und die übrigen Zeugen zu erzählen haben, entspricht dem Standardlebenslauf eines Jugendlichen auf dem bayerischen Land.

Ein normaler, tierlieber „Mein Kampf“-Leser

Zum Beispiel dass er sich an die Adresse der Großeltern eine Ausgabe von „Mein Kampf“ habe schicken lassen. Oder dass er sich von seinem Cousin im Wald in Tarnkleidung und mit seiner Deko-Kalaschnikow im Anschlag hat fotografieren lassen. Das Bild teilte er dann im Chat, das Gesicht mit einem Totenkopf verdeckt. Überhaupt sei er zuletzt fast nur noch in Militärklamotten unterwegs gewesen, er habe halt alle zwei Jahre einen neuen Spleen gehabt.

Dem Cousin schickte er auch das Video, das der Attentäter von Christchurch während des Massenmordes gedreht hatte. Und einmal zeigte er ihm ein „Video von dieser komischen Atomwaffen Division“ – die seien „politisch engagiert“. Und Heydrich, den Spitznamen hätten ihm ja eigentlich seine Arbeitskollegen gegeben, vermutlich weil er damals so einen Seitenscheitel getragen habe.

Und sonst: Der Fabian, der sei halt schon immer ein Eigenbrötler gewesen. Sprechen tue er ja sowieso recht wenig. Er sei auch sehr schüchtern und vermeide es, unter Leute zu gehen. Sein Zimmer habe er vermüllen lassen, klagt seine Mutter. Und wenn sie dort nach dem Rechten habe sehen wollen, sei sie von einer Überwachungskamera beobachtet worden, die er dort ihretwegen installiert habe.

Ist Fabian D. also nur ein kleiner Spinner? Oder ein ernstlich psychisch Erkrankter? Oder doch ein gefährlicher Terrorist? Um das herauszufinden, hat Richter Zuber zunächst vier Verhandlungstage angesetzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.