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Prozess zu „NSU 2.0“Einer gegen alles

Im „NSU 2.0“-Prozess dürfte im November ein Urteil fallen. Der Angeklagte beteuert einmal mehr seine Unschuld – doch die Beweise belasten ihn schwer.

Bestreitet die Vorwürfe: der mutmaßliche Verfasser der „NSU 2.0“-Drohschreiben im Gerichtssaal Foto: Boris Roessler/picture alliance

Frankfurt/Main taz | Auch am Donnerstag erhebt Alexander M. noch einmal das Wort. Er habe mit den „NSU 2.0“-Drohschreiben nichts zu tun, beteuert der 54-jährige Berliner wiedermals vor dem Frankfurter Landgericht. Diese kämen aus einer Darknet-Chatgruppe, der er zwar angehört habe, aber „ohne selbst Straftaten begangen zu haben“. Auch sei es nie um tatsächliche Gewalt gegangen, sondern einzig darum, „Negativschlagzeilen“ zu produzieren. Letztlich seien es die Angeschriebenen und Medien gewesen, die daraus ein „Riesenspektakel“ gemacht hätten.

Für die Betroffenen aber war es kein Spektakel – die Drohserie hatte konkrete Folgen. Eine von ihnen, die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, berichtete davon zu Prozessbeginn: Sie sagte Mandate und öffentliche Termine ab, bekam Polizeischutz, ließ ihr Haus aufrüsten, sorgt sich jeden Tag um ihre kleine Tochter.

Seit Februar wurde in 27 Prozesstagen wegen der „NSU 2.0“-Drohserie gegen Alexander M. verhandelt, einem langzeiterwerbslosen, vorbestraften Informatiker. Am Donnerstag nun sollten die Plädoyers beginnen. Aber es kam anders. Aufgrund von Anträgen des Angeklagte und der Nebenklage verzögert sich die Schlussphase des Prozesses. Die Plädoyers dürften nun am 24. Oktober beginnen, ein Urteil im November fallen.

Fast drei Jahre lang soll Alexander M. 116 Drohschreiben als selbsternannter „NSU 2.0“ verschickt haben, zumeist an Prominente, die sich gegen Rassismus engagieren wie Başay-Yıldız, die wüst beschimpft wurden. Alexander M. bestreitet das. Das Brisante: In einigen Schreiben tauchten auch private Daten der Bedrohten auf, die zuvor auf Polizeicomputern in Frankfurt/Main, Wiesbaden oder Berlin abgerufen wurden.

Verschickte ein Polizist das erste Drohschreiben?

Başay-Yıldız glaubt deshalb, dass mindestens das erste Drohschreiben an sie, das am 2. August 2018 per Fax an ihre Kanzlei ging und die Drohserie eröffnete, nicht von Alexander M., sondern von einem Polizisten des 1. Frankfurter Polizeireviers, Johannes S., gekommen ist. Dort waren ihre Daten kurz zuvor umfangreich abgerufen worden. Johannes S. steht schon länger unter Rechtsextremismusverdacht, war zur Zeit des Datenabrufs im Revier und hatte zuvor auf seinem Handy nach „Yildiz in Frankfurt“ gesucht.

Antonia von der Behrens, die Nebenklageanwältin von Basay-Yildiz, versuchte diesen Verdacht am Donnerstag mit mehreren Anträgen nochmal zu untermauern. Sie beantragte etwa, nochmal einen Ermittler anzuhören, der festgestellt hatte, dass das Drohfax tor-verschlüsselt sehr wahrscheinlich über ein mobiles Endgerät verschickt wurde – das Alexander M. damals nicht besessen habe. Der Angeklagte schloss sich dem Antrag prompt an.

Die Vorsitzende Richterin Corinna Distler kündigte an, die Anträge prüfen zu müssen, weshalb sich das Ende der Beweisaufnahme verzögere. Gleichzeitig erteilte Distler dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis, dass einige der Drohschreiben auch als besonders schwerer Fall der Nötigung verurteilt werden könnten. Dafür droht eine bis zu fünfjährige Haftstrafe.

Aussetzung des Verfahrens? Die Richterin lehnt ab

Alexander M. ging auch hier, wie den ganzen Prozess schon, sofort dazwischen und forderte eine Aussetzung des Verfahrens, weil er mit diesem Vorwurf nicht gerechnet habe. Diesen Antrag wies Distler zurück: Es gehe nicht um neue Vorwürfe, sondern um deren rechtliche Bewertung.

Tatsächlich sieht es für einen Freispruch, den Alexander M. will, schlecht aus. So fanden sich eine „NSU 2.0“-Drohmail und Fragmente von weiteren Schreiben auf seinem Computer, als er im Mai 2021 verhaftet wurde. Dazu konnten die Ermittler nachweisen, dass Alexander M. Zugang zum Postfach derjenigen Yandex-Emailadresse hatte, von dem aus die Schreiben verschickt wurden. Auch fanden sich auf seinem PC Suchanfragen zu einigen der Bedrohten, allen voran zu Başay-Yıldız. Und immer wieder fiel Alexander M. schon früher mit Wutausbrüchen und wüsten Beschimpfungen auf.

Bei den Polizeidaten glaubt die Anklage, dass Alexander M. diese über fingierte Anrufe erlangte, in denen er sich als Behördenvertreter ausgab. Auch dies bestreitet der 54-Jährige jedoch. Und zu den „NSU 2.0“-Drohschreiben und Fragmenten auf seinem Computer erklärte er am Donnerstag, dass er diese wohl aus dem Darknetforum auf seinen PC kopiert habe, auch wenn er daran „nicht die geringste Erinnerung“ mehr habe.

Auch seien in seiner Wohnung regelmäßig Personen gewesen, die er aus alten Haftzeiten kannte, und die auch Zugang zu seinem PC gehabt hätten. Welche, das will Alexander M. indes nicht sagen. Genauso wenig, wie er Namen der angeblichen Darknet-Drohschreiber nennen will. So bleibt am Ende weiter nur ein konkreter Verdächtiger für die „NSU 2.0“-Serie: Alexander M.

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1 Kommentar

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  • Aha, also einer Polizei, die es nicht auf die Kette kriegt mehrere(!) fingierte Behördenanfrage zu überprüfen und Daten auf Anfrage scheinbar einfach irgendwohin schickt, statt an offizielle Behörden-(E-Mail-)Adressen, soll ich vor Gericht also uneingeschränkt (oder doch zumindest priorisiert) Glauben schenken, wenn sie Zeugenaussagen zu eigenen Verfehlungen macht. So, so...

    Und kein verdammter Richter in diesem Land sieht da ein grundlegendes Problem? oder die Not in Zukunft gründlicher zu hinterfragen?; bei der Arbeitsmoral und -qualität? Stattdessen werden Falschaussagen/Zeugenabsprachen und Beweismittelvernichtung mit "Dudu" geahndet...

    Ja, der Mann gehört in den Knast. Aber die Beamten mindestens genauso. Für das Privileg diese sensiblen Daten zu besitzen verlangen wir Bürger nämlich Sorgfalt und Verantwortung; die wird hier mal wieder großzügig nicht übernommen.