Prozess zu Gefahrengebieten: Den Rucksack durchsucht

Wegen befürchteter Krawalle erhielt eine Schanzenviertel-Bewohnerin ein polizeiliches Aufenthaltsverbot - aus Sicht des Verwaltungsgerichts war das rechtswidrig.

Inaugenscheinnahme oder Durchsuchung? Dem Verwaltungsgericht ging es am Dienstag um Details. Bild: dpa

HAMBURG taz | Verstößt die Polizei gegen die Verfassung, wenn sie kurzfristig prophylaktische Gefahrengebiete ausruft? Über diese Grundsatzfrage wird das Verwaltungsgericht wohl nicht entscheiden. Denn dass ein Aufenthaltsverbot für die Schanzenpark-Aktivistin Claudia Falke in der Walpurgisnacht 2011 rechtswidrig war, haben die Richter unter dem Vorsitzenden Kaj Niels Larsen auch so geklärt: Das ergab zumindest vorläufig eine zweitägige Beweisaufnahme, die am Dienstag endete. Das endgültige Urteil wird Mitte des Monats erwartet.

Um den 1. Mai vergangenen Jahres herum hatte die Polizei – auch mit Blick auf eine große Mieterdemonstration am 30. April – das Schanzen- und das Karoviertel sowie weite Teile von St. Pauli, Altona und Eimsbüttel zum Gefahrengebiet erklärt. Das verfassungsrechtlich umstrittene Instrument, Teil des Polizeigesetzes zur Datenverarbeitung (PolDVG), erlaubt es Beamten, verdachtsunabhängig Personenkontrollen durchzuführen und dabei mitgeführte Sachen „in Augenschein“ zu nehmen. Die Polizei begründete das damit, dass es wie in den Vorjahren zu Krawallen kommen könnte. Besonders im Visier waren damals laut einer Dienstanweisung Gruppen von „mehr als drei Personen im Alter zwischen 16 und 35 Jahren“ und Menschen, die vom Outfit der „linken Szene“ zuzurechnen seien.

Objekt einer solchen Behandlung wurde an jenem Abend auch die Aktivistin Falke, 49, die wegen ihres Engagements für den Erhalt des Schanzenparks bei der Polizei bekannt ist, sowie ihre drei Begleiter: In der Eifflerstraße forderte die Beamtin Johanna L. die Gruppe auf, sich auszuweisen, was Falke als „rechtswidrig“ zurückwies. Daraufhin durchsuchte L. Falkes Rucksack – nach Gegenständen, „mit denen Straftaten begangen werden können“, so die 29-Jährige vor Gericht. Die Richter hatten den Verfahrensbeteiligten deutlich gemacht, dass es „ums Detail“ gehe: Ob es sich um eine reine „Inaugenscheinnahme“ gehandelt habe oder ob das Gepäckstück „durchsucht“ worden sei.

Von herbeigeeilten Polizisten bekam Falke, die im Schanzenviertel wohnt, ein Aufenthaltsverbot oder eingeschränkt ein „Hausarrest“ für die Nacht erteilt. Als sie ankündigte, dem nicht nachzukommen, wurde sie später sogar für einige Stunden in Gewahrsam genommen.

„Woran erkenne ich denn die gewaltbereite linke Szene“, wollte Richter Larsen mehrfach von den aussagenden Beamten wissen – was diese nicht recht beantworten konnten: Frisur? Kleidung? „Da kommt vieles zusammen“, sagte der Polizist Mark B. – „das haben wir so im Gefühl.“

Überhaupt stellte sich vor Gericht heraus, dass die an der Aktion beteiligten Beamten die Klageschrift frühzeitig gekannt haben müssen, die Falkes Anwalt Carsten Gericke im Juni 2011 einreichte. „Das ist das Problem dieses Verfahrens“, folgert Gericke: Die Angaben der Polizisten seien „frisiert, geschönt und abgestimmt worden“.

Die 2005 im „schärfsten Polizeigesetz Deutschlands“ – so der damalige Innensenator Udo Nagel (parteilos) – ermöglichten Gefahrengebiete seien „allein aus der Perspektive der Exekutive“ verfasst worden, bemängelt Gericke, und ließen die „Perspektive des Grundrechtsschutzes völlig außer Acht“. Die verdachtsunabhängige Durchsuchung von Falkes Rucksack stelle einen „Eingriff in die Intimsphäre“ dar.

Ebenfalls einen Grundrechtseingriff erkennt in dem polizeilichen Handeln Co-Anwältin Cornelia Ganten-Lange, die auch Richterin am Hamburgischen Verfassungsgericht ist: „Personenkontrollen aus dem Bauchgefühl – das geht nicht!“

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